© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Böses Erwachen aus dem Dornröschenschlaf
Karpaten: Europas grünes Rückgrat leidet unter Zugriff der Holz-Mafia / Nationalpark im Fogarasch-Gebirge?
Christoph Keller

Ihr Name könnte zwar zu dieser Ansicht verleiten, aber die Zoologische Gesellschaft Frankfurt von 1858 e.V. (ZGF) ist alles andere als ein Verein hessischer Naturfreunde. Vielmehr zählt die ZGF heute zu den weltweit in Großprojekten engagierten Global Playern des Umwelt- und Artenschutzes (JF 26/16). Im Vergleich mit ihren tropischen Destinationen wirkt ihre jüngste Unternehmung daher fast schon provinziell. Zumal die Karpaten, anders als die Regenwälder am Amazonas und auf Sumatra, gewissermaßen vor der Frankfurter Haustür liegen. In zweierlei Hinsicht besteht allerdings kein Unterschied: Europas letzte Urwälder können es in puncto Tier- und Pflanzenvielfalt mit überseeischer Konkurrenz aufnehmen, und sie werden in gleicher Weise von aggressiver menschlicher Profitgier bedroht.

Mit knapp 21 Millionen Hektar, davon die Hälfte bewaldet, sind die Karpaten, die sich in einem tausend Kilometer langen und bis zu 350 Kilometer breiten Bogen von Nierderösterreich, Mähren, Oberungarn und Galizien durch die Bukowina bis nach Siebenbürgen hin erstrecken, die flächenmäßig größte Gebirgskette Europas. Als „Hochburg der Artenvielfalt“ rühmt ZGF-Geschäftsführer Christof Schenck den gigantischen Gebirgszug (Gorilla, 1/17). Hier könne man noch Wildnis erleben, da die Ökosysteme der dünnbesiedelten Hochregionen bis zum 21. Jahrhundert weitgehend ohne die verändernde Macht des Menschen funktionierten.

In ausgedehnten Tannen- und Buchenwäldern tummeln sich daher noch nennenswerte Bestände von Bär (8.000 Tiere), Wolf (4.000) und Luchs (3.000). Fischotter finden in unverbauten Flüssen und Bächen Nahrung. Alle zehn europäischen Spechtarten hämmerten hier ihre Höhlen in die Bäume. Ein Drittel der 12.500 europäischen Gefäßpflanzenarten ist in der heterogenen Landschaft anzutreffen, seltene Vogelarten wie Schreiadler, Habichtskäuze oder Rauhfußhühner bevölkern die mit üppig Totholz gefüllten weitläufigen Wälder.

Die Schatzkammer der europäischen Artenvielfalt

In den einst zur k.u.k. Monarchie gehörenden Karpaten öffne sich eine „Schatzkammer“ der Biodiversität, wie die Journalistin Kerstin Viering der Einschätzung Christof Schencks zustimmt. Die gebirgige Isolation, die 800 bis 2.400 Meter Höhe Flora und Fauna bescherten, begünstigte überdies die Entstehung neuer, nirgendwo sonst vorkommender Arten. Die Palette solcher sogenannten Endemiten reicht von der Tatra-Wühlmaus bis zum Karpatenmolch, vom Zwerg-Eisenhut bis zur Polnischen Primel. Auch Wisente, die nur in den heute polnischen Karpaten überlebten, sollen zumindest in Rumänien wieder angesiedelt werden. 

Das klingt alles nach märchenhaft heiler ökologischer Welt, was da in Osteu­ropa unter der Ägide von Michael Brombacher, dem Europa-Referatsleiter der ZGF, mit dem „Karpatenprogramm“ der Gesellschaft allenfalls zu perfektionieren wäre. Doch umgekehrt wird ein Schuh daraus, wie Brombacher in einem Interview beklagt. Gerade weil der vieltausendjährige „Dornröschenschlaf“ der Karpaten jetzt ende, da großflächig abgeholzt werde, kämpfe die ZGF in Rumänien und in der Ukraine seit kurzem um den Fortbestand dieser „Schatzkammer“. Denn vom prekären Zustand der Karpaten Rumäniens könne sich jeder mit ein paar Mausklicks selbst überzeugen. Google Earth zeige „wirklich schockierende“ Bilder von abgeholzten, bis zur ukrainischen Grenze reichenden „Mondlandschaften“. Auch in der Ukraine seien bereits viele alte Wälder verlorengegangen, andere habe man „in kleinere Fragmente zerschnitten“.

Die Intitialzündung für den rumänischen Kahlschlag löste die übliche neoliberale Roßkur für postsozialistische Volkswirtschaften aus: Privatisierung. Selbst unter dem 1989 gestürzten Ceausescu-Regime seien die verstaatlichten Wälder, woran der Wildbiologe Christoph Promberger erinnert, 50 Jahre lang auf „durchaus recht nachhaltige Weise verwaltet“ worden. Erst als die Bukarester Regierung 2005 damit begann, Wälder in großem Maßstab ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzugeben, leitete sie ein, was Rumäniens Präsident Klaus Johannis 2016 eine Bedrohung der nationalen Sicherheit nannte: den illegalen Holzeinschlag.

Viele der Alteigentümer machten ihre Wälder nämlich rasch zu Geld. An Interessenten war kein Mangel. Allen voran die Wiener Schweighofer-Gruppe, einer der größten Holzverarbeiter Europas, der an der einstigen Ostgrenze des Habsburgerreiches bald zum Hauptabnehmer für Waldgrundstücke und Bäume aufstieg. Die Österreicher verfuhren in ihren rumänischen Sägewerken und Fabriken nicht nur nach den von ökologischen Skrupeln ohnehin selten irritierten kapitalistischen Spielregeln.

Holzgewinnung ohne ökologische Skrupel

Seit 2012 gerieten sie daher regelmäßig in die Schlagzeilen. Stets wegen des Vorwurfs, von illegalen Rodungen zu profitieren. Klagen, die sich häuften, seitdem die Gruppe vermehrt Holz aus der Ukraine abnimmt. 2015 belief sich dieser Import auf fast eine Million Kubikmeter Fichten- und Kiefernholz. Im gleichen Jahr regte der WWF Deutschland beim Forest Stewardship Council (FSC) eine Untersuchungskommission an, mit dem Ergebnis, Schweighofer sei in Rumänien in „ungesetzliche Rodungen verwickelt“.

Im Februar 2017 entzog der FSC dem Konzern das Nachhaltigkeitssiegel, das den Holzindustriellen voreilig bescheinigt hatte, ihre Bäume kämen nicht aus Nationalparks. Inzwischen leisteten illegale Holzfäller ganze Arbeit. Von 2008 bis 2014 schafften sie stolze 8,8 Millionen Kubikmeter aus Rumäniens Karpatenwäldern heraus. Insgesamt verschwanden dort seit 1997 400.000 Hektar Wald – das entspricht etwa der doppelten Fläche des Saarlandes.

Die ZGF, die sich auch in Rumänien einsetzt und im Südzipfel der Karpaten, im Fogarasch-Gebirge (Fagaras), Flächenankäufe unterstützt, um einen Nationalpark einzurichten, setzt den Schwerpunkt dort, wo die Holz-Mafia noch nicht so verheerend zugeschlagen hat: in den ukrainischen Karpaten (Ostgalizien, Bukowina). Hier könne man entlang der Grenze zu Rumänien eine grüne Brandmauer errichten, indem man bestehende Nationalparks stärkt und, so Brombachers Nahziel, um 100.000 Hektar Wald erweitert. Ebenso wolle man das im Dreiländereck gelegene slowakische Projekt Wolf Mountains fördern, wo sich jedoch lokaler Widerstand gegen Nationalparkpläne formiert. 

Obwohl sich Brombacher optimistisch gibt, das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit 14 Millionen Euro für die ukrainischen Schutzgebiete zur Verfügung stellt und auch die Verantwortlichen in Kiew mitziehen, ist der „gute Weg“, den die ZGF gerade dort beschritten habe, mit Hindernissen gepflastert, da die Schutzgebiete in dem politisch instabilen und wirtschaftlich prekären Land seit langem „völlig unterfinanziert“ seien. Es fehle selbst an banalen Dingen wie Uniformen für das Personal der Nationalparks.

Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF):  fzs.org/