© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Im Detail ist es nicht so leicht
CRISPR-Cas9: Bei der Neukombination der Erbinformation in den Chromosomen können Fehler passieren – was dann?
Ira Austenat

Vereinfacht gesehen, besteht der Mensch biochemisch aus einem fein abgestimmten System von Aminosäurebausteinen, die – gleich den Buchstaben des Alphabets – in einer filigranen Anordnung zu Wörtern und Formulierungen zusammengefügt sind. Diese enthalten wie in einer wohlsortierten Bibliothek ein Informationssystem: den genetischen Code. Dieser bildet die Grundlage unserer genetischen Erbinformation, die wir im Rahmen der Zeugung je zur Hälfte von unseren Eltern erhalten. Bei der Neukombination der mütterlichen und väterlichen Gene können Sequenzen geändert, ausgetauscht oder neu hinzugefügt werden. Dies ist der natürliche Weg. Bei dieser Weitergabe und Neukombination der Erbinformation in den Chromosomen können Fehler passieren. Diese sind manchmal bedeutungslos, manchmal Ursache schlimmer Erkrankungen, die, um im Bild zu bleiben, den Betrieb der gesamten Bibliothek zerstören.

Mehrere solcher Methoden, zumeist teure und langwierige Verfahren, wurden bereits in den vergangenen Jahren entwickelt. So ist es seit längerer Zeit möglich, Gensequenzen von einem Chromosom zu löschen und neue Sequenzen einzufügen. 

CRISPR-Cas9 ist ein ebensolches Verfahren. Dennoch revolutioniert es die Möglichkeiten. Im Vergleich zu den bisherigen Verfahren ist es eine Methode, mit der Genveränderungen schneller, kostengünstiger und sehr präzise am Erbgut vorgenommen werden können. 

Das Prinzip ist von der Interaktion zwischen Viren und Bakterien abgeschaut. Die Viren sind in der Lage, ihre DNS in die Bakterien einzuschleusen. Dabei entstehen sich wiederholende Sequenzen (Clustered regularly interspaced short palindromic repeats), die von speziellen Bakterienmolekülen (CRISPR-assoziierte Gene) erkannt werden können. An den entsprechenden Stellen werden dann Brüche (Schnitte) im DNS-Doppelstrang erzeugt. Der richtige Zielort des Schnittes wird durch kurze RNS-Stränge (sgRNS) angesteuert. Der Organismus muß solche Brüche im Erbgut reparieren. Als Reparaturvorlage dient der verbliebene intakte Teil des Doppelstranges.

Mäuse und andere Vielzeller unterscheiden sich von Bakterien. Sie haben keine Cas-Proteine, die einen Bruch im DNS-Doppelstrang verursachen. In den vergangenen Jahren ist es Wissenschaftlern jedoch gelungen, Cas-Proteine und sgRNS künstlich einzuschleusen. So erfährt auch diese Zelle, wo im Genom sie Cas-Proteine ausliefern und den Bruch im Doppelstrang herbeiführen soll. Dergestalt ist es möglich, in bestimmte Gene von Vielzellern einzugreifen. 

Mit anderen Worten: Gelingt es, gezielt einen gewünschten – zum Beispiel kranken – DNS-Abschnitt in der menschlichen Zelle anzusteuern, kann dieser herausgeschnitten werden. Der gesunde DNS-Abschnitt dient als Reparaturschablone. Durch den Reparaturmechanismus wird ein intaktes DNS-Stück erzeugt. Das Ergebnis ist Heilung. Wenn alles glatt läuft. Aber wie hoch liegt die Häufigkeit von Fehlschnitten im Doppelstrang? Wie erfolgt die Reparatur für den Fall, daß die Schablone plötzlich eine andere ist? Und welche Konsequenzen erwachsen aus einer solchen Falschreparatur? Mag die Fehlerquote auch sehr gering sein, bedeutet dies jedoch nicht, daß die daraus erwachsenden Konsequenzen nicht dennoch immens sein können. 

Bisher wird das System in Zell- und Tierversuchen verwendet. So können genetische Veränderungen, die Ursache von Erkrankungen sind, künstlich erzeugt werden und dann als Beobachtungsgrundlage dienen. Das erleichtert die Erforschung ihrer Beeinflußbarkeit mit Blick auf mögliche Therapieformen beträchtlich. 

Doch dürfen menschliche Keimzellen manipuliert werden? Veränderungen könnten für Zellen tödlich sein. Oder aber sie erzeugen neue, unerwünschte Defekte. Betreffen diese die Keimzellen, gelten sie auch für die daraus erwachsenden Nachfolgegenerationen.

 Im Detail ist es nicht so leicht. Was ist mit Defekten/Erbkrankheiten, die auf mehreren Genmutationen an mehreren Orten des Genoms beruhen? Kennen wir wirklich die Interaktionen in unserem genetischen Code so restlos? Nein! Vieles wissen wir überhaupt nicht oder haben nur erste Theorien über das Zusammenwirken an sich geklärter Einzelmechanismen. Aber wie ändert sich das komplexe Gefüge, wenn man einzelne Bausteine verändert, und wie viele darf man verändern, bis ein völlig anderes Gesamtkonstrukt entsteht? Zur Herstellung eines RNS-Abschnitts, der den Zielort des Schnittes sucht, benötigt man etwa drei Tage. Die Kosten werden mit rund 20 Euro beziffert.