© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Der Rubikon ist längst überschritten
Genforschung: Nach der Tierzucht kann mit CRISPR-Cas9 die Optimierung des Menschen beginnen
Rolf Schramm

Das wichtigste Resulat, mit dem im Dezember 2015 der Weltgipfel der Gentechnik endete, bestand in der Schlagzeile, daß es kein Forschungsmoratorium beim Genom-Editing, dem kontrollierten Verändern von Erbfaktoren, geben werde. Es war daher abzusehen, daß die Debatte über die genetische Optimierung des Menschen mit jeder erfolgreichen Anwendung der 2012 von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna entdeckten Methode CRISPR-Cas9, DNS-Sequenzen mit unbekannter Präzision zu zerschneiden und die Bauteile des Lebens neu zu kombinieren, wieder aufflammen würde. 

Wie im Frühjahr 2016, als chinesische Forscher meldeten, ihnen sei gelungen, ein Rezept zum Produzieren von Keimbahnzellen in vitro zu entwickeln. Aus ihren in Kulturgefäßen gezogenen, Spermien produzierenden Stammzellen, eingespritzt in Eizellen, seien vermehrungsfähige Mäuse entstanden. Gleichzeitig gab die britische Regierung den Weg für Genveränderungsexperimente an menschlichen Embryonen frei. In den USA läuft ein Gesetz aus, das die staatliche Finanzierung von Keimbahntherapie und Embryonenforschung verbot.

Ethische Hürden werden bald nicht mehr stören 

Zuvor hatten im Februar 2017 drei Akademien eine Resolution veröffentlicht, die den US-Gesetzgeber aufforderte, Genom-Editing an Embryonen für klinische Studien freizugeben. In der Bundesrepublik wagten Ende März 2017 elf Wissenschaftler der Nationalen Akademie Leopoldina einen Vorstoß, um das Embryonenschutzgesetz von 1990 zumindest aufzuweichen und auf lange Sicht obsolet zu machen. „Verwaiste“ Embryonen, ursprünglich für die In-vitro-Fertilisation vorgesehen, aber nicht mehr benötigt, sollten für Genom-Editing, so heißt es in dem zur Neubelebung der bioethischen Debatte verfaßten Papier, zur Verfügung stehen, um Forschung an humanen Zellen zu „therapeutischen Zwecken“, zur Korrektur defekter Gene mit entsprechenden Gesundheitsschäden zu ermöglichen. Bliebe diese Legalisierung aus, verlöre die deutsche Forschung, ohnehin durch das restriktive Embryonenschutzgesetz benachteiligt, ihre Wettbewerbsfähigkeit. 

In US-Laboren näherten sich, wie der der New Yorker Wissenschaftspublizist Stephen S. Hall berichtet (Spektrum der Wissenschaft, 4/17), Genetiker nun zügig der „roten Linie“ Richtung „Menschendesign“, wenn auch unterhalb der Ebene technisch weiterhin schwieriger Eingriffe in Embryonen-Gene. Kyle E. Orwig, Professor an der Universität Pittsburgh, veröffentlichte vor kurzem in Fertility und Sterility (105/2016) eine Studie über Genom-Editing bei unfruchtbaren Mäusen. Orwig beschreibt, wie er den genetischen Defekt von Stammzellen, die keine Samenzellen bildeten, mittels CRISPR-Cas9 behob, die so behandelten Zellen den unfruchtbaren Tieren wieder einpflanzte und ihnen zu Nachwuchs verhalf. Damit, so versichert er, habe er eine „potentielle Behandlungsmethode für männliche Sterilität aufgezeigt“.  

In vielen US-Laboren registrierte Hall  einen ähnlichen Enthusiasmus wie bei Orwig. Überall bereite sich das optimistische Gefühl aus, kurz davor zu stehen, in die Vererbung des Menschen eingreifen zu können. Zwar werde vielfach noch abgewiegelt, Keimbahnmodifikationen seien derzeit keine realistische Option.

Allerdings, so zitiert Hall den Biologen George Church (Harvard Medical School), habe man gerade bei der genetischen Veränderung von Keimzellen im Reagenzglas inzwischen derart große Fortschritte erreicht, daß eine „Ruhigstellung“ der Öffentlichkeit, wie sie die Beteuerung der aktuell mangelnden praktischen Relevanz des Gen-Editing intendiere, unredlich sei, da der „Keimbahn-Rubikon“ schlicht überschritten wurde. So sieht es auch Ina Dobrinski. Doch für die Reproduktionsbiologin an der Universität Calgary stellt sich ein Problem: „In der Praxis traut sich wegen der ethischen Fragen niemand heran“.

Auf die bioethisch eher unbekümmert operierenden Tierzüchter können die in den Startlöchern sitzenden „Menschendesigner“ (Hall) nur neidvoll schauen, wie die Übersicht über deren Aktivitäten zeigt, den die habilitierte Biochemikerin Annette Hille-Rehfeld gibt (Naturwissenschaftliche Rundschau, 1/17). Auf der Wunschliste von Züchtern und Händlern scheint es keine Variante zu geben, die mit Genom-Editing nicht Realität wird. Solch Zucht wähnt sich im Dienst der Nahrungsbeschaffung für eine „unaufhaltsam wachsende Menschheit“ moralisch auf sicherer Seite. Ob das so bleibt, wagt Hille-Rehfeld zu bezweifeln. Denn selbst die Deutsche Gesellschaft für Züchtungskunde mahnt eine Debatte über die „verantwortungsvolle Entwicklung der Nutztierzucht“ an. 

Deuten sich damit strengere Maßstäbe in der Tierzucht an, signalisieren die jüngsten Vorstöße von Humangenetikern, daß dort ethische Hürden bald nicht mehr stören. Eine Einschätzung, die  Stephen Hall mit dem Wissenschaftsautor Reinhard Lassek teilt. Unter Hinweis auf den „verhängnisvollen Werteverfall“ im Zeichen der Globalisierung glaubt er prognostizieren zu dürfen, daß sich künftig kaum noch ein moralischer Konsens mit der bloßen Berufung auf die Grundrechte erzielen lassen werde.