© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Kirchenvertreter warnten vergebens
Italien: Nach jahrelangen Debatten über lebensverlängernde Maßnahmen stimmte das Parlament für mehr Mitsprache der Schwerstkranken
Marco F. Hermann

Gähnende Leere herrscht im italienischen Abgeordnetenhaus. Nur ein paar Mitglieder aus den Reihen der linken Parteien fanden sich am 5. April im Palazzo Montecitorio ein. Die Situation ist nicht Desinteresse, sondern der brisanten Tagesordnung geschuldet: Auf dem Plan steht die Generaldebatte über das „Biotestamento“. Seit 2013 diskutieren die Parlamentarier über einen Gesetzesentwurf, nachdem Patienten auch lebensverlängernde Maßnahmen verweigern können. Ausdrücklich wird dabei die Abstellung der künstlichen Ernährung erwähnt. Im erzkatholischen Italien ein Tabubruch. Die bürgerlichen Parteien blieben deswegen der ersten Sitzung fern.

Dem Eklat ging der Suizid des DJs Fabiano Antoniani voraus. Der 39jährige verunglückte 2014 bei einem Autounfall schwer. Antoniani erblindete und war danach nahezu komplett gelähmt. Im Januar bat er Staatspräsident Sergio Mattarella darum, sich für eine Reform einzusetzen, welche die Sterbehilfe ermöglichte: „Ich möchte sterben dürfen, ohne zu leiden.“ Eine Antwort blieb aus. 

Ende Februar reiste Antoniani in die Schweiz, wo das Gesetz den assistierten Suizid erlaubt. Der Fall ist nur einer von vielen in den vergangenen Jahren, der in Italien für mediales Aufsehen sorgte. Im Jahr 1992 verunglückte die 21jährige Eluana Englaro bei einem Autounfall so schwer, daß sie 17 Jahre lang in einem komatösen Zustand dahinvegetierte. 

Das Schicksal Englaros wurde zu einem Politikum. Als ein Gericht der Familie das Recht zugestand, die Geräte abzuschalten, versuchte die Regierung Berlusconi die Entscheidung mit einem Dekret aufzuheben. Auch der Vatikan mischte sich ein und sprach sich entschlossen gegen die Sterbehilfe aus. Der Versuch blieb erfolglos, Englaro starb 2009, nachdem die Ärzte die künstliche Nahrungsversorgung gestoppt hatten.

Papst Franziskus hielt sich aus Debatte heraus 

Die Fronten sind auch heute dieselben. Obwohl sich Papst Franziskus bisher nicht direkt zum „Biotestamento“ äußerte, machten Kirchenvertreter wie der Kurienerzbischof Vincenzo Paglia  die Position der katholischen Kirche deutlich und warnten vor einer „Wegwerfkultur“. 

Politisch verläuft der Riß quer durch die Regierung: Die Sozialdemokraten unterstützen die Reform, die Koalitionspartner von der gemäßigten Rechten hingegen wehren sich gegen den Vorstoß.

Mario Adolfini, der Präsident der Bewegung „Popolo della Famiglia“ (Volk der Familie), verglich den Vorstoß zur Sterbehilfe mit der nationalsozialistischen Euthanasie. Adolfini initiierte in der Vergangenheit bereits mehrere Demonstrationen, darunter gegen die gleichgeschlechtliche Partnerschaft. 

Die Befürworter der Sterbehilfe rechnen indes vor, daß sich bereits ein Sterbetourismus Richtung Schweiz etabliert habe, bei dem die Italiener mehrere tausend Euro für einen würdigen Tod ausgeben. Der Vorsteher der Associazione Luca Coscioni, Rocco Berardo, beruft sich dagegen auf Artikel 32 der Verfassung, demnach jeder Italiener das Recht darauf habe, wie er bei einer Krankheit behandelt oder nicht behandelt werden wolle. 

Die Organisation Coscioni war darüber hinaus federführend am Gesetzesentwurf beteiligt und brachte diesen ein. Dieser wurde in den vergangenen Wochen immer wieder verändert. Noch am 19. April fügte das Abgeordnetenhaus eine Klausel ein. Demnach kann ein Patient zwar auf ein Ende der Behandlung bestehen, der Arzt sei aber nicht verpflichtet, die Geräte abzuschalten, wenn Gewissensgründe dagegen sprächen.

 Daß auch katholische Kliniken von der neuen Patientenverfügung, die Schwerkranken mehr Entscheidungsbefugnisse gibt, betroffen sind, führte parteiübergreifend zum Protest vieler katholischer Abgeordneter: „Das ist verordneter Mord durch Hunger und Durst.“ Die Worte verhallten. Am selben Tag wurde das „Biotestamento“ von einer Mehrheit des Abgeordnetenhauses verabschiedet.