© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Et hätt noch immer jot jejange
Bundesparteitag in Köln: Alice Weidel und Alexander Gauland sind das Spitzenteam der AfD im Wahlkampf / Niederlage für Frauke Petry
Hinrich Rohbohm / Christian Vollradt

Die Aggressivität der Demonstranten ist hoch, als die Polizei AfD-Delegierten einen Korridor durch die von Linksradikalen aufgehetzte Menge bahnt. In kleinen Gruppen geleitet sie so die Parteitagsbesucher zum Maritim-Hotel. Es ist ein Spießrutenlauf durch einen im Vorfeld von Parteien, Medien, Kirchen und Gewerkschaften angestachelten linken Mob, der die Gäste und Delegierten mit Schmährufen überzieht. 4.000 Polizisten stehen zum Schutz des Parteitags bereit. Ohne sie dürfte an diesem Wochenende Blut geflossen sein. So sind es zumeist nur Becher, mit denen linke Randalierer um sich werfen. Einige Parteitagsgäste werden mit Kaffee überschüttet. Ein Polizeibeamter wird von vermummten Krawallmachern mit einer Holzlatte verletzt, als er sich schützend vor einen Delegierten stellt. 

Daß bei den Krawallen lediglich zwei Polizisten verletzt werden, liegt nicht zuletzt daran, daß die Beamten die Lage jederzeit unter Kontrolle haben. „Sie kommen nicht durch“, hatten linksradikale Gruppen ihre Blockadeabsicht im Internet verkündet. Doch es sollten vielmehr linksextreme Randalierer sein, die nicht zum Tagungshotel durchkommen. Bereits am Abend zuvor baut die Polizei doppelte Absperrgitter auf, läßt den Bahnverkehr zum Heumarkt einstellen. Einsatzfahrzeuge der Polizei blockieren die Zufahrtswege zum Hotel, Wasserwerfer und Räumfahrzeuge stehen zum Einsatz bereit. 

 „Haut ab“ und „Es gibt kein Recht auf Nazi-Propaganda“ schreien fanatisierte und haßerfüllte Teilnehmer der Blockadeversuche. Dabei geht der linke Mob auf jeden los, der AfD-Delegierter sein könnte. Auch Journalisten machen diese Erfahrung. Wer ein Jackett trägt oder sonst in irgendeiner Weise bürgerlich gekleidet sich dem Veranstaltungsort nähert, wird von dem aufgepeitschten Mob als Nazi beschimpft. „Ich bin Journalist“, ruft einer von ihnen. „Weis dich aus“ wird er angeschrien. 

Linke Mobilisierung bleibt hinter Erwartungen zurück

Autos, die zum Maritim-Hotel fahren und in denen Antifa-Anhänger AfD-Delegierte vermuten, werden bespuckt, Hotels, in denen AfDler wohnen könnten, blockiert. „Einpeitscher“ in Lautsprecherwagen wiegeln die Menge auf, sorgen mit Falschinformationen und Haßtiraden gegen die Polizei für eine zusätzlich vergiftete Atmosphäre. Auf einem der Wagen sind auch der linksradikale Pfarrer Lothar König aus Jena und seine Tochter, die Thüringer Landtagsabgeordnete Katharina König (Linkspartei), mit dabei. 

An der Fensterfront eines Gebäudes am Heumarkt haben linke Demonstranten ein Transparent angebracht: „Wir sehen was, was du nicht siehst – und das ist Rechtsradikal“ steht darauf geschrieben. Das Wort „Rechtsradikal“ ist in den Parteifarben der AfD geschrieben. Nicht zu übersehen ist hingegen die Anwesenheit zahlreicher linksextremer Gruppierungen unter den Demonstranten. Tausende Gewalttäter aus den Reihen des Schwarzen Blocks, der sogenannten linksautonomen Szene aus ganz Europa, sind nach Köln gereist, um die AfD mit „Feuer statt Konfetti“ zu empfangen. 

Die Polizei kann auch sie unter Kontrolle halten, es bleibt bei vereinzelten Rangeleien. Unter den Demonstranten befinden sich auch zahlreiche Vertreter  linksextremer Parteien, wie DKP und MLPD. Seite an Seite mit ihnen demonstriert nicht nur die Linkspartei, sondern auch Vertreter der Grünen. Mit „Köln gegen Rechts“ und „Köln stellt sich quer“ haben sich zwar unterschiedliche Demo-Bündnisse gebildet, von denen sich das letztere als „friedlich“ und „bürgerlich“ geben will. Doch die Übergänge sind fließend, Linksextremisten sind bei beiden Bündnissen mit von der Partie. Doch die Mobilisierung der linken Szene bleibt weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Mit 50.000 Demonstranten hatte man gerechnet. Gekommen waren weniger als 10.000. Mit ein Grund dafür, daß die Polizei die Krawallmacher leicht unter Kontrolle bringen konnte. 

„Seid kreativ“ hatten die Organisatoren der Demonstrationen von ihren Anhängern gefordert. Kreativ wurde aber auch mancher AfD-Parteitagsbesucher. Einer von ihnen ist Eugene Harschack. Der stellvertretende Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Ahrweiler in Rheinland-Pfalz hatte eigentlich seinen besten Anzug zum Parteitag anziehen wollen. Aufgrund der Blockade-Ankündigungen hatte er sich aber sicherheitshalber für eine Kostümierung entschieden. „Ich habe mir eine zerfetzte Jeans angezogen, Ohrringe getragen, einen bunten Schal umgehängt und einen Backpacker-Rucksack mitgenommen“, erzählt er der JF. So war er durch die Blockaden geschlüpft. Im Hotel habe er sich dann umgezogen. „Trotzdem fühlte ich mich dabei sehr unwohl“ sagt er. Seinen neuesten Anzug hat er lieber im Kleiderschrank gelassen. „Falls ich doch noch einen Farbbeutel abbekommen sollte.“


***


Nehmen wir an, jemand hätte beim Bundesparteitag der AfD in Köln nur mal kurz am Samstag vormittag und dann erst wieder am Sonntag nachmittag in den Tagungssaal geschaut. Einem solchen Kurzzeitgast hätte sich der Eindruck aufgedrängt, hier feiere eine Partei ihre Vorsitzende ab: in beiden Augenblicken viel Applaus, „Frauke, Frauke“-Rufe, Delegierte, die sich von ihren Stühlen erhoben haben. Ja, so war es. Und dennoch wäre dieser Eindruck vollkommen falsch und das komplette Gegenteil dessen, was Mitglieder und Beobachter der AfD an diesem Wochenende erlebten. 

Ein „Applausometer“ taugt nicht zur Prognose für Entscheidungen. Das war eine Lehre dieses Parteitags. Schon am Vorabend bemühten sich die Vorstände, die internen Konflikte herunterzudimmen; man werde schon einen Kompromiß finden, den großen Knall schien keiner mehr zu befürchten.

In ihrer Eröffnungsrede sandte Petry dann auch ein paar versöhnliche Signale aus, als sie mit Blick auf ihren Antrag zur strategischen Ausrichtung der Partei (JF 16/17) eingestand: Es tue ihr leid, daß Gauland seine Erwähnung darin „möglicherweise als persönlichen Angriff verstanden“ habe. „Zu verletzen lag nicht in meiner Absicht und war in diesem Kontext ein Fehler, von dem ich aber hoffe, daß wir ihn gemeinsam mit einer Umformulierung des Textes aus der Welt schaffen können.“  

Doch dann kam es anders. Petrys Fehler wurde nicht aus der Welt, ihr  Antrag wurde von der Tagesordnung geschafft. Genauso wie ein Antrag des Bremer Landesverbands, in dem gefordert wurde, das Parteiausschlußverfahren gegen Björn Höcke (JF 5/17) zu stoppen. Es war die erste Niederlage Petrys auf diesem Parteitag. Fortan starrte die Vorsitzende auf der Bühne nur noch auf ihren Bildschirm, blätterte durch ihre Papiere, wirkte zeitweise völlig abwesend. Die Partei – jedenfall die Mehrheit im Saal – hatte ihrer Vorsitzenden an diesem Punkt die Gefolgschaft verweigert. Oder besser gesagt: Petry hatte offensichtlich die Situation falsch eigeschätzt. 

Die Delegierten wollten das Wahlprogramm debattieren – das sie tags darauf mit 92 Prozent Zustimmung beschlossen. Was auch immer die Parteifühung zuvor in Hinterzimmergesprächen als Kompromißlösungen ausgehandelt hatte: die Basis zeigte sich davon erstaunlich unbeeindruckt. 

„Ich glaube, daß die Partei hier einen Fehler macht“, meinte Petry später bei einem spontanen Pressestatement. Viele hätten nicht begriffen, so sagte die Parteivorsitzende später der JUNGEN FREIHEIT, „daß keine Entscheidung über eine Strategie auch eine Entscheidung ist.“ Manche befänden sich in einer „Echokammer“ und vergäßen, daß Politik „nicht für 26.000 AfD-Mitglieder, sondern für 80 Millionen Deutsche“ gemacht werden müsse. 

Petrys These vom Gegeneinander zweier Strategien hatte zuvor ihr Co-Vorsitzender Jörg Meuthen in seinem Grußwort nochmals vehement widersprochen: „Debatten über einen vermeintlichen realpolitischen und einen vermeintlichen fundamentaloppositionellen Flügel, aus meiner Sicht sowieso eine komplett trügerische Wahrnehmung, helfen uns da kein Jota weiter, ganz im Gegenteil.“ Meuthen massierte die Seele der anwesenden Parteimitglieder, seine kämpferische Rhetorik und sein Pathos riß die Leute von den Stühlen: „Dieses Land Deutschland ist unser Land. Es ist das Land unserer Großeltern und Eltern, und es ist unsere Bürgerpflicht, es auch noch das Land unserer Kinder und Enkel sein zu lassen.“ Meuthen widersprach vehement der Bewertung vieler Journalisten und AfDler, seine Rede sei eine Abrechnung mit Petry gewesen, ein Racheakt sozusagen für ihr Verhalten, als er während der Affäre Gedeon im Schlamassel steckte (JF 26/16). Ohne Zweifel war es das bundespolitsche Comeback eines Parteivorsitzenden, den manch einer längst abgeschrieben hatte. In diesen Momenten schien es, als hätten Meuthen und Petry die Rollen getauscht. Erst recht, nachdem das Lager der Sächsin auch beim Versuch scheiterte, wenigstens im Gegenzug das Thema „Spitzenteam“ von der Tagesordnung zu streichen. 

Und so kürte dann am Sonntag die Partei in überraschend kurzer Zeit die Köpfe, die das zuvor beschlossene Wahlprogramm repräsentieren sollen: Alice Weidel und Alexander Gauland. „Habemus Spitzenteam“, frohlockte anschließend Jörg Meuthen im Gespräch mit der JF. Und wie bei einer Papstwahl herrschte auch bei der AfD bis kurz vor dem „weißen Rauch“ Unklarheit, wer es denn nun wird. Noch am Morgen kursierten zahlreiche Namen. Selbst die Größe des Spitzenteams schien noch vollkommen offen zu sein. Von der Anzahl null (überhaupt kein Spitzenteam) bis 16 (es solle aus den Spitzenkandidaten aller Landesverbände bestehen) war die Rede; nur die Zahl 1 – das war seit den vorausgegangenen Auseinandersetzungen klar – kam nicht vor. 

So rieben sich viele Medienvertreter verwundert die Augen, als die Sache dann so rasch eingetütet wurde. Ein Delegierter aus Rheinland-Pfalz stellte mit einer knappen Begründung den Antrag, den brandenburgischen Listenersten Gauland sowie die Listenerste aus Baden-Württemberg zu den bundesweiten Chef-Wahlkämpfern zu machen. Sichtlich verdattert waren auch manche andere Delegierte, die dann versuchten, weitere Mitglieder zu nominieren. Das wurde per Geschäftsordnungsantrag verhindert. 

Der geschickteste Schachzug war der Satz Gaulands: „Ich trete aber nur gemeinsam mit Alice Weidel an.“ Beatrix von Storch hatte ihn auf dem Podium ermahnt, diese Bedingung noch deutlich zu machen. Denn dadurch schützte er Weidel, der die Parteirechten ihre klare Frontstellung gegen Höcke verübeln oder ihre zu wirtschaftsfreundlichen Positionen. Gut 67 Prozent wählen das Duo schließlich. Mit minimaler Größe das maximale Parteispektrum abzubilden, das ist der Partei gelungen. Die eher libertär (sowie exponiert islamkritisch) eingestellte junge Frau aus dem Südwesten und der nationalkonservative Grande aus dem Osten. Für den inneren Zusammenhalt funktioniert das; ob es beim Wähler genauso verfängt, wird der September zeigen.  

Geschäftig wurde es gegen Ende des Parteitags noch einmal, als die vakanten Posten des Bundesschiedsgerichts gewählt werden mußten. Denn die Besetzung dieses Gremiums kann erheblichen Einfluß auf den Ausgang des Parteiausschlußverfahrens gegen Thüringens Landesvorsitzenden Björn Höcke haben. Dessen Chancen dürften sich nun mit den neugewählten Richtern nicht verbessert haben. Im Gegenteil. 

In der Summe läßt sich ein „Rechtsruck“ in Köln also nicht feststellen. Gerutscht ist in erster Linie die Position Frauke Petrys – und zwar ein gutes Stück nach hinten. Doch Alexander Gauland hatte die von vielen erhoffte versöhnende Geste parat: „Liebe Frauke Petry, ich weiß, daß Sie gestern einen schwierigen Tag hatten. Aber wir brauchen Sie in der Partei.“ Es war der Auslöser für den oben beschriebenen Jubel. 

Vorstandswahlen auf Bundesebene stehen erst im Herbst an, nach der Bundestagswahl. Am Ergebnis für die AfD wird sich auch festmachen, wer recht behält. Für Abgesänge, auch das lehrte das Kölner Wochenende, ist es in der AfD meistens zu früh.