© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 18/17 / 28. April 2017

Zivilcourage ist nicht strafbar
„Fall Arnsdorf“: Das Verfahren gegen die vermeintliche Bürgerwehr wird eingestellt
Lukas Steinwandter

Rund ein Dutzend Menschen drängelt sich vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes. In eineinhalb Stunden, um 9 Uhr, soll an diesem Montag der Prozeß gegen vier Männer stattfinden, die im Mai 2016 einen irakischen Flüchtling aus einem Supermarkt im sächsischen Arnsdorf zerrten und an einen Baum fesselten. Fast im Minutentakt treffen weitere Interessierte ein. Kurz vor Prozeßbeginn werden es 50 bis 60 sein, die den vier Angeklagten im Gerichtssaal moralische Unterstützung geben wollen. Hinzu kommen gut 30 Journalisten. Die Justiz hat offenbar nicht mit dem großen Andrang gerechnet. Der größte Saal im Amtsgericht Kamenz bietet gerade einmal 30 Plätze. 

Der Dorffrieden muß     wiederhergestellt werden

Je näher der Prozeßbeginn rückt, desto angespannter wird die Laune der meist älteren Semester auf dem Parkplatz vor dem Gericht. „Solidarität mit den Arnsbacher Helden“ oder „Fairer Prozeß“, steht auf Schildern und Plakaten. „Das ist ganz klar ein Schauprozeß“, sagt ein Mann mit weißen Haaren und Schildmütze der JF. Die Angeklagten kenne er nicht. In der Hand hält er eine gelbe Tafel mit der Parole „Zivilcourage ist kein Verbrechen“.

Ein anderer ruft dazwischen: „Das ist ein Schauprozeß wie im Nationalsozialismus hier.“ Schräge Vergleiche finden sich auch auf den Schildern. Auf einem Plakat wird Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) mit der Stasi verglichen, auf einem anderen mit dem berüchtigten Richter an Hitlers Volksgerichtshof, Roland Freisler. Ein Mann mit einer schwarzrotgoldenen Flagge, auf der eine Banane abgebildet ist, steht mit einem Bekannten abseits der Gruppe, die sich vor dem Eingang drängelt. Die Fahne soll die „Bananenrepublik Deutschland“ symbolisieren. „Jeder, der gegen die Meinung der Regierung ist, wird eingesperrt“, meint der Mann. 

Als die vier Arnsdorfer kurz vor 9 Uhr eintreffen, werden sie mit Applaus empfangen. Ob an Bernd G., Felix L., Sebastian R. und CDU-Politiker Benno Detlef Oelsner ein „Exempel statuiert wird“, wie viele hier glauben, entscheidet das Gericht. Die Staatsanwaltschaft Görlitz wirft den vier Männern Freiheitsberaubung vor. Darauf stehen bis zu zehn Jahre Haft. 

Das Gericht hatte zehn Verhandlungstage veranschlagt. Doch Amtsrichter Eckhard Laschewski will es erst gar nicht zum zweiten Tag kommen lassen.Rund vier Stunden nach Prozeßbeginn stellt er das Verfahren wegen geringer Schuld ein. Darauf haben sich Richter, Staatsanwälte und Verteidiger in einem sogenannten Rechtsgespräch geeinigt. Die Kosten wird die Staatskasse tragen. 

Maximilian Krah, Anwalt von Oelsner, zeigt sich wenig später gegenüber der JF zufrieden: „Zivilcourage darf nicht strafbar sein – um diese Botschaft ging es von Anfang an. Und das steht nun fest. Wir haben am ersten von zehn angesetzten Verhandlungstagen das Ziel erreicht, für das wir bereit waren, durch drei Instanzen zu streiten. Mehr Erfolg geht nicht.“ Auch sein Mandant ist froh über das jähe Prozeßende: „Wir sind alle arbeitstätig und ein Verfahren kostet uns viel Geld“, sagt er. „Es hätte gar nicht erst zu einer Anklage kommen dürfen.“ Rund 17.000 der 20.000 Euro Anwaltskosten konnten durch Spenden, unter anderem von der Initiative „Ein Prozent“, aufgebracht werden.

Laschewski bezeichnete die Verfahrenseinstellung als „einzig angemessene Entscheidung“. In einer fast halbstündigen Erklärung begründet er das und zeichnet die Geschehnisse vom 21. Mai 2016 in und vor dem Netto-Supermarkt nach – so gut es ohne Beweisaufnahme möglich ist (JF 24/16). Am Vorwurf der Freiheitsberaubung gebe es keine Zweifel, merkt er an, doch auch gewöhnliche Bürger dürften jemanden bis zum Eintreffen der Polizei festhalten, wenn er auf frischer Tat ertappt worden ist. 

Und genau das machten demnach die vier Angeklagten im Alter von 29 bis 56 Jahren. Laschewski bezieht sich hauptsächlich auf ein Handy-Video, das eine Frau in dem Supermarkt aufgenommen hatte. Nach dem festgestellten Tod des Irakers am vorvergangenen Montag ist es das wichtigste Beweismittel. 

Der Asylsuchende habe in dem Arnsdorfer Supermarkt eine Handykarte gekauft. Am nächsten Tag sei er wiedergekommen, weil sie angeblich nicht funktionierte. Da er nicht gehen wollte, mußte die Polizei anrücken. Dasselbe wiederholte sich noch einmal. Schließlich betrat er ein drittes Mal den Laden. Nun wollte der Iraker zudem zwei Weinflaschen mitnehmen – ohne zu bezahlen. Die Situation sei nicht ganz ungefährlich gewesen, erklärte der Richter, „weil man nicht wußte: Was will der eigentlich?“ Nachdem sich der Flüchtling einem Hausverweis widersetzt, ist in dem Video als nächstes zu sehen, wie vier Männer den Laden betreten, dem Iraker eine Flasche Wein aus der Hand nehmen und ihn hinauszerren. Dort hätten sie ihn laut Laschewski mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt der Polizei übergeben.

Selbst im Falle einer Verurteilung hätte es für die Angeklagten „nur eine ganz geringe Geldstrafe“ gegeben. Alle vier seien nicht vorbestraft. Der Iraker habe zudem kein großes Interesse an einer Strafverfolgung gezeigt. Der Richter bestätigte, daß sich der Mann in psychiatrischer Behandlung befand. Laut JF-Informationen soll er unter anderem mit einer Eisenstange auf Menschen losgegangen sein. 

Erstaunt habe Laschewski, welche Resonanz der Fall in der Öffentlichkeit entwickelt hatte. „Da hat einer am Berg einen ganz kleinen Schneeball angerollt.“ Schließlich sei eine Lawine bei Polizei, Staatsanwaltschaft und „dann unglücklicherweise bei uns vor Gericht“ gelandet. Einige Zeitungen und Politiker hatten nach Bekanntwerden des Videos die vier Männer als „rechte Bürgerwehr“ bezeichnet, die einen „kranken Flüchtling“ an einen Baum fesselten. 

Der Richter betont, der Vorfall habe keinen rassistischen Hintergrund gehabt, es „ist völlig wurscht, welche Nationalität der Tatverdächtige hatte“. Auch gebe es keinerlei Anhaltspunkte, daß das Quartett eine Bürgerwehr gebildet habe. „Vielleicht kann man jetzt den Dorffrieden wiederherstellen.“