© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

„Eine ökologische Katastrophe droht“
Das Insektensterben ist hausgemacht – und es wird nicht nur die Landwirtschaft, sondern uns alle teuer zu stehen kommen
Mathias Pellack

Das gefährliche Denguefieber war ein Problem der tropischen und subtropischen Regionen. Doch 2010 traten erste Fälle des „Knochenbrecherfiebers“ in Kroatien und in der französischen Region Provence-Alpes-Côte d’Azur auf. Höchstwahrscheinlich wurde das Dengue-Virus von der tagaktiven Tigermücke (Aedes albopictus) übertragen.

Das ursprünglich aus Asien stammende und zwischen zwei und zehn Millimeter große Insekt wurde bereits 1979 erstmals in Europa nachgewiesen, in Deutschland wurden erste Exemplare des Bioinvasors 2005 gefunden. Das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) in Müncheberg bei Berlin arbeitet daher zusammen mit dem Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) in Greifswald seit fünf Jahren an einem deutschlandweiten „Mückenatlas“.

Einheimische Insekten auf der „Roten Liste“

Dazu haben die Forscher 120 Mückenfallen aufgestellt. Zudem sind auch Tausende interessierte Bürger bei der Mückenjagd aktiv: 7.250 Briefe mit Mücken haben sie vergangenes Jahr ans Zalf gesendet. Und so wurde bestätigt, daß sich die Asiatische Buschmücke (Aedes japonicus) – sie kann unter anderem Enzephalitis-Viren übertragen – in Deutschland ausbreitet. Etwa 50 von weltweit 3.500 Stechmückenarten sind bislang im Mückenatlas registriert.

Gleichzeitig stehen aber immer mehr einheimische Insekten auf der Roten Liste. Und dieses Sterben ist hausgemacht – und es wird uns teuer zu stehen kommen. Insekten sind die umfangreichste Gruppe im Tierreich mit bisher über einer Million beschriebenen Arten. Sie leben an den Küsten bis in 6.000 Meter Höhe im Gebirge. Anpassungsfähig, vielseitig, uralt – die ersten Insekten dürften im Devon (vor 410 bis 360 Millionen Jahren) entstanden sein. Heute sind sie ein Wirtschaftsfaktor, der berechenbar ist. Weltweit beträgt der Anteil der Honigbiene und wilden Bestäuber an der Weltwirtschaftsproduktion, die von Bestäubung abhängig ist, rund 577 Milliarden Dollar (JF 17/15). „In Deutschland sind 85 Prozent der landwirtschaftlichen Erträge von der Bestäubung durch die Honigbiene abhängig. So beträgt der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Bestäubungsart rund zwei Milliarden Euro“, sagt Petra Friedrich, Sprecherin des 109.000 Mitglieder zählenden Deutschen Imkerbunds (DIB), der der JUNGEN FREIHEIT.

Die Bestäubungskosten könnte die Agrarindustrie bald aus eigener Tasche zahlen. Denn in vielen Regionen Deutschlands sind dramatische Artenrückgänge bei den rund 30.000 Insektenarten zu verzeichnen. Zahlen aus dem Orbroicher Bruch weisen das nach. Dort werden systematisch seit Jahren durch den Entomologischen Verein Krefeld Insekten gezählt. „Wir stellen zwischen Mai und Oktober an immer denselben Stellen immer gleich große Fallen auf und leeren die Netze im Zwei-Wochen-Rhythmus“, sagt Martin Sorg, Kurator des Vereins, der jungen freiheit. Gingen den Bürgerwissenschaftlern 1989 noch 1.117,1 und 1.425,6 Gramm Biomasse an flugaktiven Insekten in zwei Fallen, waren es 2013 nur noch 257,3 und 294,4 Gramm. Der Verlust liegt damit für beide Standorte bei über 75 Prozent der Biomasse gegenüber 1989.

Im Jahr 2016 unterzeichneten 77 Wissenschaftler eine Resolution initiiert vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart und der Universität Hohenheim an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks: „Auch bei uns ist der Bestand von Wildbienen und anderen Insekten drastisch gesunken“, heißt es ihrem alarmierenden Appell an die SPD-Politikerin. Wenn sich dieser Trend fortsetze, „sterben sie in weniger als zehn Jahren aus. Die Folgen wären eine ökologische Katastrophe, die nicht zuletzt massive wirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe für die Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion mit sich bringen würde.“

Die Forscher fordern, genauso wie der Imkerbund, ein vollständiges Verbot von Insektengiften der Gruppe der Neonicotinoide bis zum wissenschaftlich sauberen Nachweis ihrer Umweltverträglichkeit. Maßnahmen zur Erhöhung der Strukturvielfalt in der Kulturlandschaft. Langzeit-Monitoring von Insekten, also eine systematische Erfassung, insbesondere von Wildbienen, um gefährdete Bestände zukünftig besser zu lokalisieren und rechtzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten sowie die Einführung eines strengeren Schutzstatus.

Ganz ohne Pflanzenschutz geht es auch nicht

Auch für den Naturschutzbundstehen besonders Neonikotinoide (JF 27/16), die seit Mitte der 1990er Jahre in der Landwirtschaft eingesetzt werden, im Verdacht, für das Insektensterben verantwortlich zu sein. Neonikotinoide sind synthetisch hergestellte Insektizide, die Saatgut und Pflanzen vor Schadinsekten schützen sollen. Sie wirken auf das Nervensystem der Tiere. Sie sind in allen Pflanzenteilen nachzuweisen, 95 Prozent der Wirkstoffmenge, so schätzen Experten, gelangen allerdings auch in den Boden und die Gewässer. Das Problem: Die Substanzen werden auch von „Nichtziel-Organismen“ aufgenommen.

Der DIB beteiligt sich seit Jahren am Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutz, der zum Ziel hat, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in den nächsten Jahrzehnten zu reduzieren. „Nur wer glaubt, daß die Landwirtschaft ganz ohne Pflanzenschutz auskommt, der lebt auf der Insel der Glückseligen“, sagt Friedrich. „Wir müssen gemeinsam mit der Landwirtschaft und der Politik schauen, daß jeder so gut wie möglich leben kann und jeder vom anderen die Probleme kennt.“ Andere Gründe für den Artenrückgang könnten Überdüngung, eine Verarmung der Landschaften, die eine Verringerung des Artenreichtums zur Folge hat, Pestizideinsatz oder auch Windkrafträder sein (JF 16/15).

Aber welche Folgen hat der Rückgang der Insekten für unsere Pflanzen- und Tierwelt? Viele Insekten haben sich auf spezielle Pflanzen spezialisiert. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, was zuerst stirbt. Beide, also Pflanze und Tier, sterben aus, wenn ein Teil dieser Symbiose entfällt. Die heimische Vogelwelt ist auf Insekten angewiesen, gerade in der Brutzeit. 

Weil es bisher immer noch kein nationales Monitoringprogramm für Insekten gibt, hat das Zoologische Forschungsmuseum Alexander Koenig eine „Wetterstation für Artenvielfalt“ gegründet. Mit Hilfe verschiedener Technologien, wie zum Beispiel einer automatischen Bilderkennung oder eine automatischen Analyse der Landschaftsdüfte, sollen Arten registriert werden.

Und was macht das Bundesumweltministerium? Auf der Grünen Woche hat es das Projekt „Summendes Rheinland“ der Stiftung Rheinische Kulturlandschaft ausgezeichnet, fördert es mit 800.000 Euro. Landwirte und Naturschützer wollen gemeinsam die Lebensbedingungen für bestäubende Insekten in der Niederrheinischen Bucht verbessern. Durch Einsaat blühender Zwischenfrüchte, Anlage mehrjähriger Blühstreifen an Ackerrändern und die Installation von Wildbienen-Nisthilfen.

Deutscher Imkerbund: deutscherimkerbund.de

Initiative „Summendes Rheinland – Landwirte für Ackervielfalt“: www.rheinische-kulturlandschaft.de

Deutscher Mückenatlas: www.mueckenatlas.de