© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

„Euer Blut tränke unserer Äcker Furchen“
Die Revolutionäre in Frankreich ziehen in den Kampf: Vor 225 Jahren begann der Erste Koalitionskrieg
Dag Krienen

Da ihm die französische Regierung keinen Paß für einen diplomatischen Kurier ausstellte, vertraute der österreichische Geschäftsträger in Paris die wichtige Nachricht erst mit Verspätung der normalen Post an. Am 24. April 1792 benachrichtigte Franz Paul von Blumendorf den österreichischen Kanzler, Fürst Kaunitz, „von der so unerwarteten wie befremdlichen Entschließung (...), welche am 20ten dieses Monats der Allerchristliche König [Frankreichs] auf Anrathen seines Conseils der Nazionalversammlung vorgeschlagen und die von dieser lezteren am 21ten in der nämlichen Sitzung fast einstimmig bestättiget worden ist. Diese besteht in der förmlichen Kriegserklärung gegen Seine Königlich Apostolische Majestät [Franz II., zu diesem Zeitpunkt noch nicht zum Kaiser gekrönt], so daß von jenem Augenblicke an, ohne alle weiteren gewöhnlichen Formalitäten die Feindseligkeiten gegen die österreichischen Gränzlande ausgeübet werden können und sollen“. Tatsächlich hatte am 20. April 1792 die gesetzgebende Versammlung, gemäß den Erinnerungen der Madame de Staël in fast nonchalanter Stimmung, bei nur sieben Gegenstimmen, Franz als dem „König von Ungarn und Böhmen“ den Krieg erklärt. 

Preußen, das im Februar 1792 mit Wien ein Defensivbündnis abgeschlossen hatte, trat Österreich sofort zur Seite. Das revolutionäre Frankreich vermehrte in der Folgezeit, meist durch eigene Kriegserklärungen, rasch die Zahl seiner Feinde und sah sich bald einer Koalition gegenüber, zu der neben Österreich und Preußen auch Großbritannien, Holland, die meisten italienischen Staaten, Spanien sowie das Reich gehörten. Der 20. April 1792 bildete aber nicht nur den Auftakt zum Ersten Koalitionskrieg, der 1797 sein Ende fand, sondern auch den Beginn fast eines Vierteljahrhunderts nahezu ununterbrochenen Krieges in Eu-ropa, den das revolutionäre und dann das napoleonische Frankreich bis 1815 gegen wechselnde Gegner führte. 

Kontributionen der „befreiten“ Völker im Visier

Vor allem innenpolitische Entwicklungen in Frankreich hatten 1792 zum Krieg geführt. Insbesondere die Girondisten lehnten nicht nur die im September 1791 etablierte konstitutionelle Monarchie ab, sondern wollten, um die Revolution voranzutreiben, auch einen Krieg gegen die „reaktionären“ Mächte, insbesondere das in Frankreich ungeliebte Österreich entfesseln. Denn dann würde jeder Gegner der Revolution, ja jeder bloße Zauderer, als ein (innerer) Feind und Verräter des Vaterlandes denunziert werden können; eine Möglichkeit, von der 1793 und 1794 auch in furchtbarer Weise gebraucht gemacht werden sollte. 

Zudem könnte ein Krieg von der wachsenden Unzufriedenheit wegen der sich verschlechternden Wirtschafts- und Versorgungslage ablenken und die inneren Reihen der Revolution schließen. Bereits wenige Tage nach der Kriegserklärung komponierte Claude Rouget de Lisle in Staßburg die „Marseillaise“ mit ihren Haßbotschaften gegen die „ausländischen Kohorten“ („Unreines Blut – Tränke unserer Äcker Furchen!“), die in den Koalitionskriegen rasch propagandistische Wirkung entfaltete. 

Anfangs nur unterschwellig als Motiv wirksam, aber schon Ende 1792 als offizielle Doktrin verkündet, hatte der offensiv in das Gebiet der Nachbarn zu tragende Krieg zudem die französischen Truppen und soweit als möglich auch Frankreich selbst zu ernähren und zu finanzieren – auch durch die Kontributionen der „befreiten“ Völker, die so ihre „Dankesschuld“ abzutragen hatten. Diese nahtlos von Napoleon übernommene Tradition führte im übrigen dazu, daß in den folgenden Jahrzehnten gerade die einfache Bevölkerung der Gegner, aber auch der Verbündeten Frankreichs schwere Lasten tragen mußte. 

Den rasch an Einfluß gewinnenden Girondisten gelang es im Winter 1791/92 – unter anderem durch das Aufbauschen der von den Émigrés, den sich bei Koblenz sammelnden adeligen Flüchtlingen ausgehenden Gefahren und durch die Unterstellung, die benachbarten „reaktionären“ Fürsten wollten die Revolution zerschlagen –, fast alle Mitglieder der Legislative in Kriegsstimmung zu versetzen und schließlich zur Kriegserklärung zu bewegen.

Entgegen den Behauptungen der Girondisten saßen in Wien keine Kriegstreiber, die nur darauf gewartet hätten, die Revolution in Frankreich niederzuwerfen, das Ancien régime wiedereinzusetzen und bei der Gelegenheit die eine oder andere Erwerbung auf Kosten Frankreichs zu machen. Tatsächlich hatten sich die europäischen Höfe durch den Ausbruch der Revolution 1789 zunächst kaum herausgefordert oder gar gefährdet gesehen. Die temporäre Schwächung Frankreichs wurde an vielen Orten sogar begrüßt, da sie die Verfolgung eigener Machtinteressen an anderer Stelle erleichterte. 

Der Gedanke der monarchischen Solidarität spielte zunächst keine große Rolle. Dies galt selbst für den Hof in Wien, wo man die geheimen Hilferufe der französischen Königin Marie Antoi-nette, einer gebürtigen Habsburgerin, faktisch ignorierte. Auch die Émigrés fanden dort keine Unterstützung. Sich ganz der monarchischen Solidarität entschlagen konnte sich der Kaiser allerdings 1791 nicht mehr. Ende August 1791 forderten er und der preußische König in der Pillnitzer Erklärung die europäischen Monarchen dazu auf, durch gemeinsame Anstrengungen Ludwig XVI. wieder zu Handlungsfreiheit auf der Basis einer ordentlichen monarchischen Regierung zu verhelfen. Das Inkraftsetzen der konstitutionellen Verfassung im September sahen sie als ihren Erfolg an. 

Als sich die Situation Ludwigs später wieder verschlechterte, griff Wien noch mehrfach zu diesem scheinbar bewährten Mittel, weil es glaubte, daß öffentliche Drohungen direkte militärische Interventionen überflüssig machen würden. Die Drohungen bewirkten jedoch in Frankreich das Gegenteil, nämlich eine Steigerung des Kriegsfiebers. Die schließliche Kriegserklärung kam für das Habsburgerreich zwar nicht völlig überraschend, fand es jedoch unzureichend vorbereitet vor.

Die Massenrekrutierung gab entscheidenden Ausschlag

Völlig unvorbereitet waren Wien und die übrigen europäischen Höfe indes vor allem auf die Dimensionen, die der 1792 begonnene Krieg annehmen sollte. Daß es den Franzosen in den nächsten Jahrzehnten gelingen sollte, ganz Europa militärisch in Atem zu halten, war damals unvorstellbar. Daß mit patriotischem Eifer und Elan erfüllte französische Soldaten ständig die unflexiblen, aus gepreßten Söldnern bestehenden Truppen der alten feudalen Mächte einfach vor sich hertrieben, war aber auch nur revolutionäre Propaganda. 

Der Zerfall der alten königlichen Armee Frankreichs, deren meist adelige Offiziere zum großen Teil emigriert waren, ließ sich nicht so einfach kompensieren. Die dienstwilligen, aber militärisch kaum geschulten Freiwilligen erlitten bei ihren ersten Vorstößen im Sommer 1792 gegen die österreichischen Niederlande, das heutige Belgien, derbe Schlappen. Die Österreicher spotteten, daß ihre Devise in Wirklichkeit nicht „vaincre ou mourir“ (siegen oder sterben) sei, sondern „ne pas vaincre mais courir“ (nicht siegen, sondern davonlaufen).

Die verbündeten Österreicher und Preußen unterlagen aber ihrerseits dem verhängnisvollen Irrtum, daß schon relativ kleine Kontingente professioneller Truppen erfolgreich Krieg gegen die Revolutionäre führen könnten. Sie stellten 1792 gegen sie nur etwa 80.000 Mann bereit. Der vom Herzog von Braunschweig geführten Armee gelang es zunächst, die französischen Grenzfestungen einschließlich Verduns nahezu mühelos zu nehmen. Am 20. September kam es jedoch im Argonner Wald zu einer Wende, die der anwesende junge Goethe als welthistorisch feierte. 

Die „Kanonade von Valmy“ war eigentlich nur eine unentschiedene, weil von keiner Seite aus durchgeschlagene Schlacht, in der fast nur Kanonenschüsse ausgetauscht wurden. Den kaum begonnenen Vorstoß der preußischen Infanterie ließ der Herzog von Braunschweig hingegen anhalten, weil er zu einem verlustreichen Frontalkampf mit einem unerschütterten, numerisch überlegenen Gegner zu führen drohte. Der Verlust vieler kostbarer, sorgfältig ausgebildeter Soldaten wäre selbst bei einem Sieg nur schwer zu verkraften gewesen. Der Herzog brach aber nicht nur die Schlacht ab, sondern trat sogar den Rückzug zum Rhein an. 

Die Franzosen „siegten“ bei Valmy dadurch, daß sie hier erstmals ihre durch verbesserte Ausbildung und Organisation erworbene Fähigkeit zum Standhalten gegenüber regulären Truppen demonstrierten. Am 20. Oktober gelang ihnen zudem bei Jemappes ein „richtiger“ Sieg über eine österreichische Armeeabteilung. Sie besetzten daraufhin bis Jahresende Belgien und den größten Teil des linksrheinischen Deutschlands. 1793 allerdings wurden sie von den Verbündeten wieder zur französischen Grenze zurückgetrieben. Paris reagierte darauf durch die „levée en masse“, das heißt die prinzipielle Verpflichtung aller geeigneten Männer zum Militärdienst. 

Nun erst begann eine Zeit regelmäßig wiederkehrender Erfolge der Franzosen auf dem Schlachtfeld, vor allem weil sie nun immer öfter ihren Gegnern schon rein zahlenmäßig überlegen waren. Zudem entstand allmählich ein neues, karriereorientiertes Offizierskorps aus fähigen bürgerlichen Aufsteigern, die eine energische, aggressive Kampfführung bevorzugten und das nun fast unbegrenzt vorhandene willige „Menschenmaterial“ bedenkenlos zu opfern bereit waren – die französischen Verluste waren selbst in siegreichen Schlachten meist höher als die ihrer Gegner. 1793 und 1794 waren französische Generäle zudem maximal motiviert; 83 von ihnen wurden in dieser Zeit hingerichtet, weil sie nicht die erwünschten militärischen Erfolge lieferten. Numerische Überlegenheit blieb allerdings bis zum Auftreten Napoleons die Vorbedingung für französische Erfolge. Wo sie fehlte, siegten weiterhin die „tumben Söldner“ der Monarchen.

Preußen zog sich 1795 aus der Koalition zurück

1794 konnten die Truppen der Republik so zwar bei weitem nicht alle Schlachten gewinnen, jedoch machten sie die „Big Points“ und eroberten, diesmal endgültig, Belgien und das links-rheinische Deutschland. Dabei kam ihnen zugute, daß sich Preußen immer weniger engagierte, weil es zunehmend durch die Ereignisse in Polen, die zweite (1793) und dritte Teilung (1795) und den Kosciuszko-Aufstand in Anspruch genommen wurde. Am 5. April 1795 schloß Preußen mit den Franzosen dann den Frieden von Basel. Es erkannte faktisch die französischen Eroberungen an und erreichte dafür im Gegenzug die Neutralisierung des gesamten norddeutschen Raumes, die bis 1805/06 Bestand haben sollte. 

Nach dem Ausscheiden Preußens und Spaniens aus der Koalition sowie der Niederwerfung der Niederlande verblieb auf dem Kontinent nur noch Österreich als bedeutender Gegner. Weithin ernstzunehmend war es: Die Vorstöße zweier französischer Armeen 1796 nach Süddeutschland wurden von Erzherzog Karl abgefangen und die Franzosen zum Rhein zurückgetrieben. 

Die endgültige Entscheidung fiel in Italien. Ein dort neu eingesetzter junger General namens Napoleon Bonaparte erwies sich als überragender Taktiker und Stratege. In einer Reihe von Feldzügen unterwarf er Norditalien und stieß von dort aus in Richtung Wien vor. Österreich war nun zum Nachgeben bereit. Am 17. Okotber 1797 schloß es den Frieden von Campo Formio und erkannte gegen einige Kompensationen die Rheingrenze an. Auch wenn Großbritannien den Seekrieg noch weiterführte, war damit die Erste Koalition an ihr Ende gelangt.