© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

„Wiederanknüpfung nach vorwärts“
Der Kieler Ideenhistoriker Michael Seelig macht das Revolutionäre der KR stark
Wolfgang Müller

Frankreichs „Konservative Revolution“, die „Action Française“, ist zurück in der politischen Arena. Zumindest zurück in einem transatlantischen Randdiskurs über deren Begründer, den katholischen Atheisten, Monarchisten und Vordenker des integralen Nationalismus, Charles Maurras (1868–1952). So sieht es jedenfalls die Pariser FAZ-Korrespondentin Michaela Wiegel, die sich dafür auf Erkenntnisse der Politologin Alexandra de Hoop Scheffer beruft, die in der französischen Hauptstadt den German Marshall Fund leitet (FAS vom 2. April 2017). De Hoop Scheffer glaubt erkannt zu haben, daß Charles Maurras’ Ideologie vom Primat des Volkes und der Nation über das politische System und seine Institutionen maßgeblich Stephen Bannon, den ehemaligen Chefberater Donald Trumps, prägt (siehe Seite 16). 

Die Angst des Forschers vor dem Relativierungsvorwurf 

Glücklicher Westen, wo Mächtige noch historisch argumentieren und nicht meinen, politische Ideengeschichte gehöre ins Antiquariat oder den akademischen Elfenbeinturm. Wie in Deutschland, wo Diskussionen über die „Konservative Revolution“ (KR), die von Armin Mohler unter diesem Sammelnamen vereinte radikale Rechte der Weimarer Republik, ausschließlich unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden. Aber selbst aus dem Seminarbetrieb ist die KR, nach kurzer Konjunktur in den 1990ern, weitgehend verschwunden. Ideenhistoriker, die darüber publizieren wollen, müssen sich mittlerweile warnen lassen: das Thema sei „ausgeforscht“.

Michael Seelig, der an der Universität Kiel an einer Habilitationsschrift über die Kulturkritik des „wissenschaftlichen Okkultismus“ in Deutschland und Großbritannien zwischen 1870 und 1930 arbeitet, wagt gegen eine solche voreilige Schließung der Akten Einspruch zu erheben (Archiv für Kulturgeschichte 2/2016). Allerdings nicht  ohne die bei diesem Gegenstand zum Komment Politischer Korrektheit zählenden untertänigsten Verbeugungen und Distanzierungen. Er wolle mit seiner Studie über die KR als „Geisteshaltung und wissenschaftlichen Analysebegriff“ natürlich keinesfalls versuchen, diese Formation „politisch zu rehabilitieren“. Vielmehr sei „das Gegenteil der Fall“, denn „durch den hier vertretenen Ansatz wird die Konservative Revolution im Gegensatz zu ihren Apologeten wieder in die Nähe des Nationalsozialismus gerückt.“ 

Um nach solchen Devotionsformeln auch noch letzten Mißverständnissen vorzubeugen, bekommt laut Seelig der „zu Recht umstrittene“ KR-Forscher Karlheinz Weißmann einen kleinen Fußtritt, bevor der Habilitand dann eine definitiv karrieresichernde Verpflichtungserklärung unterschreibt: „Ich möchte mich ausdrücklich von den politischen Ansichten eines Armin Mohler oder anderer Apologeten der ‘Konservativen Revolution’ distanzieren.“ Folglich dürfe ihm nicht als „Relativierung“ ausgelegt werden, daß er sich leider häufiger auf Mohlers KR-Handbuch beziehen müsse.

Das wissenschaftsfeindliche, gegenintellektuelle, von unverhüllter Furcht durchsetzte Klima, das heute unter bundesrepublikanischen Historikern herrscht, könnte nicht drastischer als mit dieser Formel der Selbstkritik zum Ausdruck gebracht werden. Ganz unbegründet sind Seeligs von Angstschweiß triefende Einlassungen freilich nicht. Immerhin verteidigt er gegen den Soziologen Stefan Breuer den wissenschaftlichen Nutzen des Begriffs KR. Er ist sogar bemüht, an alte handwerkliche Standards anzudocken. Etwa an die goldene hermeneutische Regel, wonach man früheren Generationen nicht die „Sinnhaftigkeit ihrer Begriffe“ absprechen sollte, wenn man verhüten wolle, ihre Weltbilder und Wertvorstellungen über den Leisten der Gegenwart zu schlagen. 

Bestehenden Verhältnisse völlig umstürzen

Was Seelig jedoch nicht hindert, in den penetrant moralisierenden Bahnen von Volker Weiß, dem jüngsten Biographen Moeller van den Brucks (Paderborn 2012), zu wandeln und gegen die „moderne Antimoderne“ der KR als „falsche Modernität“ zu wettern. Sie sei als „gescheitertes Projekt“ des „Ultranationalismus oder Rechtsradikalismus“ zu betrachten, das „längst vergangenes Denken widerspiegelt“. Insoweit würde es Seelig niemals riskieren, wie Stephen Bannon oder auf die Ideologie des Front National einwirkende französische Rechtsintellektuelle dies realistischerweise tun, im 21. Jahrhundert weiterhin die welthistorische Relevanz von Völkern und Nationen zu behaupten.

Trotzdem findet sich im PC-Dickicht des umfangreichen Aufsatzes noch ein Goldkörnchen, verwertbar für eine volkspädagogisch unbelastete KR-Forschung. Seelig macht nämlich das Revolutionäre gegenüber dem Konservativen in dieser paradoxen Etikettierung stark. Worum es dann gehe, verdeutliche Rudolf Borchardts Wendung von der „Schöpferischen Restauration“ prägnanter als Hugo von Hofmannsthals „Konservative Revolution“. Das habe schon ein alter KR-Kritiker wie Martin Greiffenhagen treffend erfaßt: Diesen Rechten gehe es darum, „die bestehenden Verhältnisse völlig umzustürzen, reinen Tisch zu machen und den Boden zu säubern, auf dem dann das Neue“, das zugleich „das Ursprüngliche“ und „ewig Geltende“ ist, wachsen könne. Konservativ ist, wer das Bestehende radikal abräumt, um durch, wie Edgar Julius Jung forderte, die „Wiederinachtsetzung“ elementarer, anthropologisch determinierter Gesetze und Werte eine neue Ordnung, einen „völlig neuen Zustand in Volk und Staat“ zu schaffen. 

Moeller van den Bruck, ein begnadeter Werbetexter, gab dafür die Parole aus: „Wiederanknüpfung nach vorwärts“, um wieder menschenwürdige Zustände jenseits der „Wirtschafts-Gesamtverwaltung der Erde“ (Friedrich Nietzsche) zu erreichen. In der Radikalität solcher auf Umsturz zielenden Zukunftsemphase sieht Seelig konsequent das Verbindungsstück zum Nationalsozialismus. Wegen dieses revolutionären Geistes sei die KR eben kein klassischer Konservatismus, für den seit Mitte des 19. Jahrhunderts ohnehin die soziale Basis fehlte, und auch kein bloßer Neokonservatismus, sondern dem „Faschismus“ verwandt. Unter Ideenhistorikern keine originelle Einsicht. Aber eine, an die zu erinnern Seeligs Verdienst ist.