© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

In der Heimat wurzeln
Politische Theorie: Charles Maurras’ Einfluß auf den Trump-Berater Stephen Bannon
Karlheinz Weißmann

Die Abberufung Stephen Bannons Anfang April als ständiges Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats der USA hat zu Spekulationen geführt. Allerdings gibt es kaum jemanden, der davon ausgeht, daß der Chefdenker der „Alternative Right“ und Einflüsterer Trumps von der politischen Bühne verschwindet. Es wächst allerdings die Menge der Spekulationen über seine Absichten und seine ideologische Ausrichtung.

Bisher stand Bannon vor allem im Ruf, Leninist zu sein. Aber unlängst wurde noch eine andere – selbstverständlich trübe – Quelle seiner Weltanschauung ausgemacht: Charles Maurras. In einem Beitrag der Frankreich-Korrespondentin der FAZ, Michaela Wiegel, hieß es dazu unlängst, Bannon sei ein „glühender Bewunderer“ des französischen katholischen Intellektuellen und rechten Philosophen.

Wer in Deutschland (oder den USA) weniger vertraut ist mit den Feinheiten der Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert, wird diesem Namen etwas ratlos gegenüberstehen. Maurras (1868–1952) hatte erheblichen politischen und literarischen Einfluß, aber nie ein Amt. Seine Werke wurden selten übersetzt, und wenn, dann nur in romanische Sprachen. Das ist kein Zufall, sondern auch dem Haß dieses Mannes auf alles Germanische und seiner Fixierung auf die römisch-griechische Welt zu verdanken, als deren vornehmste Erbin er sein eigenes Vaterland – Frankreich – betrachtete. Dort ist er bis heute eine feste Größe, nicht nur der Vergangenheit, sondern auch der politischen Gegenwart.

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Einer liegt in der Beharrungskraft der katholischen Überlieferung, ein zweiter in der Traumatisierung durch den Königsmord von 1793, ein dritter in der bleibenden Bedeutung der Nation. Wenn man etwa die aktuellen Verwerfungen der Innenpolitik unseres Nachbarn beobachtet, kann man mit Erstaunen feststellen, daß es ein renouveau catholique gibt, das gleichzeitig konservativ, romkritisch und identitär ist, und sich in der Partei „Civitas“ auch politisch organisiert hat. Allerdings wird die Mehrzahl der Anhänger dieses Lagers bei der kommenden Präsidentschaftswahl für die Kandidatin des Front National (FN) stimmen. Die Ursache liegt in den ideologischen Schnittmengen: dem Patriotismus, der Katholizität als selbstverständlichem Bestandteil der französischen Überlieferung und der hier wie dort immer wieder bekundeten Sympathie für die Monarchie.

Der Royalismus ist in Frankreich schon lange keine selbständige Größe mehr, hat aber in der rechten Action Française (AF) eine außerordentlich beharrlich wirkende Formation. Die unterscheidet sich von den königstreuen Nostalgikern, die es auch in gewisser Zahl gibt, durch die Fortsetzung jener Linie, die ihr „Meister“ Maurras vorgegeben hat. Auf eine bündige Formel gebracht, erscheint sie bis heute im Kopf der Zeitung der AF: „Tout ce qui est national est nôtre“ – „Alles, was national ist, gehört zu uns.“

Denn Maurras hat eine politische Theorie entworfen – eine der wenigen auf der Rechten, die diesen Namen verdient –, die er als „Integralen Nationalismus“ bezeichnete. Zu deren Kerngedanken gehört, daß jeder Mensch schicksalhaft an seine Nation gebunden ist. Diese Bindung muß erhalten werden, indem man den Menschen in seiner näheren Heimat verwurzelt. Solche Regionalität darf aber nicht ausarten, es muß gleichzeitig eine starke Zentralgewalt geben, die den Staat zusammenhält. Die gipfelt natürlicherweise in einem König, dessen diktatorische Vollmachten nur durch die Vertretung der Korporationen eingeschränkt wird.

Maurras betrachtete dieses Modell eines autoritären Staates als „römisch“, und sein Plädoyer für die Krone hatte nichts mit Legitimismus oder Schwärmerei für die Vergangenheit zu tun, sondern war konstruktivistisch, genauer gesagt: es folgte dem Prinzip, das auch sein Verhältnis zur katholischen Kirche erklärt, deren Glaubensgrundlage ihm herzlich gleichgültig war, die er aber dafür bewunderte, daß sie die hierarchische und imperiale Überlieferung der Antike gerettet hatte.

Das sind selbstverständlich nur Umrisse der Lehre von Maurras. Wer sich für Details und für die Frage ihrer Wirkung interessiert, sei auf das neue Heft der von Alain de Benoist herausgegebenen Zeitschrift Nouvelle Ecole hingewiesen, das Maurras gewidmet ist (Nr. 66/2017). Die Basis seines Konzepts erhellen Aufsätze über die Einflüsse von Romantik (Alain de Benoist) und Positivismus (Francis Moury). Mit den konkreten Wirkungen beschäftigen sich eine Abhandlung über Maurras’ Geopolitik im Vorfeld des Ersten Weltkriegs (Martin Motte), eine zweite über Pierre Boutang, den man häufig als seinen Fortsetzer betrachtet hat (Francis Moury), und eine dritte über die Rezeption seines Werkes in Lateinamerika (Michel Lhomme).

Nach 1945 wurde Maurras zum Kollaborateur erklärt

Auch wenn bekannt ist, daß Einzelgänger wie der kolumbianische Philosoph Nicolás Gómez-Dávila zu den frühen Bewunderern von Maurras gehörten, erstaunt doch, in welchem Umfang es immer wieder Versuche gegeben hat, seine Theorien hier praktisch umzusetzen, vor allem aus der Annahme, daß nur so der kommunistischen Subversion wie dem allmählichen Machtverlust der europäisch geprägten Ober- und Mittelschichten gewehrt werden könnte.

Bleiben schließlich noch zwei biographische Beiträge erwähnenswert. Der eine befaßt sich mit der Phase, in der der junge Maurras durch die Ideen des Dichters Mistral und den Föderalismus geprägt wurde (Rémi Soulié), der andere behandelt sein eigentliches, also sein politisches Leben (Olivier Dard). Dabei geht es auch um einige Klarstellungen, etwa die, daß Maurras nicht auf seine wütenden Attacken gegen Juden und Freimaurer zu reduzieren ist oder man meinen darf, er sei tatsächlich die graue Eminenz des Regimes von Vichy gewesen. Selbst wenn er 1940 angesichts der Machtübernahme Marschall Pétains von einer „göttlichen Überraschung“ gesprochen hat, war Maurras weit davon entfernt, seine Aversion gegen die Deutschen und Hitler aufzugeben. Kollaboration kam für ihn nicht aus Gründen weltanschaulicher Affinität in Frage, sondern weil sie angesichts der Niederlage und der Macht des Feindes die einzige Möglichkeit schien, „la France seule“, das „einzigartige Frankreich“, zu retten. Umgekehrt war Pétain kein Monarchist und zeigte keine Neigung, einer Restauration vorzuarbeiten.

Daß man von alledem nach 1945 in Frankreich nichts wissen wollte und in Maurras jemanden sah, der zuerst die Dritte Republik unterminiert und dann mit der Errichtung des „Etat français“ zum Drahtzieher eines faschistischen und landesverräterischen Systems geworden war, steht auf einem anderen Blatt. Es erklärt allerdings auch die hysterischen Reaktionen, sobald heute der Name Maurras in politischen Zusammenhängen genannt wird.

Dabei würde genügen, auf seine scharfsinnige Kritik der Antinomien moderner Massendemokratien hinzuweisen, um verständlich zu machen, daß seine wieder in Umlauf gekommene Entgegensetzung von pays légal, dem Land der Institutionen, der Metropolen, der Politischen Klasse, und pays réel, dem tatsächlichen Land der kleinen Städte und der Provinz, des Herrn Jedermann, eine Tatsache bezeichnet, die in ruhigen Zeiten verborgen bleibt, aber mit der Krise deutlich hervortritt und politische Eruptionen heraufbeschwört.