© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

Grippostad wird anglo-amerikanisch
Pharmaindustrie: Bain Capital und Cinven übernehmen den deutschen Generika-Hersteller Stada / Biotest bald chinesisch / Geldpolitik befeuert Übernahmepoker
Jörg Schierholz

Das Pharma-Übernahmekarussell rotiert wieder schneller. Der Übernahmepoker um Stada, das letzte unabhängige Generika-Unternehmen in Deutschland, wurde vorige Woche entschieden: Der Vorstand unterstützt das Angebot der Londoner Beteiligungsgesellschaft Cinven und der Bostoner Bain Capital LLC. 66 Euro je Aktie will das anglo-amerikanische Bieterkonsortium für die 1895 in Dresden als Genossenschaft der Apotheker gegründete und seit 1956 im hessischen Bad Vilbel ansässige Firma zahlen.

Etwa 10.000 Stada-Mitarbeiter sorgten 2016 für mehr als 2,1 Milliarden Euro Umsatz und 85,9 Millionen Euro Gewinn – mit Nachahmerpräparaten, rezeptfreien Arzneimitteln wie Paracetamol und Ibuprofen, Grippostad oder dem Sonnenschützer Ladival. Die Motivation für die Stada-Übernahme durch Finanzinvestoren scheint zum einen in den Einsparmöglichkeiten zu liegen, die mit einem aggressiven Management besser als mit der alten Stada-Führung umsetzbar erscheinen. Bain wurde 1984 vom späteren US-Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney mitgegründet und ist vielseitig investiert, nicht nur in diversen Pharmafirmen.

Die Aufspaltung Stadas und der Verkauf der Filetstücke verspricht einen ordentlichen Gewinn. Auch der Zugriff auf die osteuropäischen und russischen Pharma-Märkte erscheint lukrativ. Negativ ist diese Übernahme vom Stada-Betriebsrat und in der Belegschaft aufgenommen worden, da man mit einem signifikanten Belegschaftsabbau rechnet. Das Übernahme-Konsortium leugnet solche Absichten. Die bisherigen Haupt-Aktionäre – Carl Ferdinand Oetker ist bislang Aufsichtsratschef – freuen sich über die ordentliche Übernahmeprämie und eine Kurs-Performance von hundert Prozent des schwächelnden MDax-Unternehmens innerhalb eines Jahres.

Actelion – größte Pharma-Übernahme in Europa

Die Investmentgruppe Creat hat ihre Finger ebenfalls nach Hessen ausgestreckt: Die Beteiligungsgesellschaft Ogel der Biotest-Gründerfamilie Schleussner einigte sich mit den Chinesen auf die Grundzüge des 1,3-Milliarden-Geschäfts. Für die Biotest-Stammaktie zahlt Creat 28,50 Euro, für die Vorzüge 19 Euro – das entspricht einer Prämie von 55 bzw. 15 Prozent. Die Motivation der Investoren liegt zum einen im Zukauf der Technologie – Biotest ist einer der größten Immunglobulin-Hersteller – und im Zugang zum Markt für Blutersatzstoffe. Anders als bei Stada gibt es hier ein Interesse, die Firma weiterzuentwickeln, allerdings unter Hongkonger Führung.

Die größte Pharma-Übernahme in Europa seit 13 Jahren bog allerdings Ende März in die Zielgerade ein. Der US-Pharma- und Konsumgüterkonzern Johnson & Johnson (Bebe, Immodium, Listerine, Penaten) hält nach Ablauf der Angebotsfrist gut 77 Prozent der Aktien der Schweizer Biotechfirma Actelion. Die 30-Milliarden-Transaktion soll im zweiten Quartal erfolgen, teilte der 1886 in New Brunswick (New Jersey) gegründete heutige Weltkonzern mit. Actelion ist fokussiert auf innovative Substanzen für seltene Lungenerkrankungen und hat 2016 einen Umsatz von 2,4 Milliarden Franken erzielt. Der Übernahmepreis erscheint sportlich, doch die Baseler Führung verspricht ein Umsatzwachstum auf 4,6 Milliarden (2020).

Warum sind Biotech- und Pharmaübernahmen gerade jetzt so lukrativ? Die US-Pharma- und Biotechfirmen schwimmen im Geld, die Alternative zum Firmenkauf sind Rückkäufe der eigenen Aktien – dies bringt aber nur etwas für die Boni der Top-Verdiener in den Konzernspitzen. Grundsätzlich kauft man gerne innovative, in der Entwicklung fortgeschrittene Substanzen von risikiofreudigen Biotechunternehmen, anstatt den eigenen Entwicklungsabteilungen zu trauen.

Bei den niedrigen Zinsen und der expansiven Geldpolitik läßt sich fast unbegrenzt zu extrem niedrigen Kosten Geld für Übernahmen aufnehmen. Die Mergers & Acquisitions-Abteilungen der Finanz- und Beratungsindustrie laben sich an Honoraren im dreistelligen Millionenbereich. Ein Ende des Übernahmekarussells ist nicht in Sicht, jetzt kann faktisch jeder jeden übernehmen – solange die Zentralbanken weiter aus dem Nichts Geld (Fiat-Money) erschaffen.

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 www.stada.de