© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

Schäubles Frischzellenkur hält nicht lange
KfW-Studie zur Selbständigkeit: Jede fünfte neue Existenzgründung in Deutschland erfolgt durch Migranten
Heiko Urbanzyk

Die Herausforderungen der Flüchtlingspolitik seien eine „Frischzellenkur“ für die westlichen Demokratien, behauptete Wolfgang Schäuble vor einem Jahr bei der Festveranstaltung zum 45jährigen Jubiläum der Schwarzkopf-Stiftung. Doch inzwischen ist Ernüchterung eingekehrt, das von Daimler-Chef Dieter Zetsche erhoffte „nächste deutsche Wirtschaftswunder“ läßt auf sich warten.

Dispokredite und Geld aus dem persönlichen Umfeld

Damit die Wählerstimmung nicht kippt, hat die vom Bundesfinanzminister beaufsichtigte Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) offenbar den Auftrag erhalten, statistischen Optimismus zu verbreiten: „Jeder fünfte Existenzgründer in Deutschland ist Migrant“ titelten Welt und Zeit. Andere verwendeten einfach gleich die Überschrift der KfW-Pressemeldung: „Jährlich 170.000 Existenzgründungen durch Migranten“. 

Der Begriff „Flüchtlinge“ kommt in der KfW-Studie nicht vor. Es um geht alle Ausländer und nach der Geburt Eingebürgerte – vom Schweizer Professor und dem vietamesischen Doktor über den Gastarbeiterenkel bis zum hier gestrandeten EU-Bürger vom Balkan. Auch die Behauptung, Migranten neigten überdurchschnittlich häufig zur Existenzgründung (20 zu 18 Prozent in der Gesamtbevölkerung), ist eher gewagt. Auch bei der Gründerquote, also dem Anteil der Existenzgründer an der erwerbsfähigen Bevölkerung, sind 1,77 zu 1,60 Prozent im Untersuchungszeitraum 2009 bis 2015 nicht so dramatisch. Nur bei der Gründungsquote von Migranten mit Hochschulbildung sind 3,1 zu 2,3 Prozent tatsächlich bemerkenswert. Denn nur 26 Prozent der migrantischen Gründer sind Akademiker – in Deutschlandschnitt sind es aber 28 Prozent.

Am deutlichsten ist der Unterschied bei Existenzgründern mit abgeschlossener Ausbildung: Der Migrantenanteil liegt bei 33 Prozent; insgesamt sind es aber 49 Prozent. Überdurchschnittlich vertreten sind hingegen Migranten ohne jegliche Ausbildung: 41 Prozent gegenüber 23 Prozent. Hierzu schweigt sich der KfW-Bericht aus. Statt dessen wird herausgestellt, daß Migranten seltener Startkredite in Anspruch nehmen: „Fast jeder zweite gründet mit Geld von Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten.“ Insgesamt setzte nur jeder dritte auf Finanzierung durch das persönliche Umfeld.

Bei der Finanzierung über Dispokredite liege die migrantische Quote bei 29 Prozent gegenüber dem Durchschnitt von 16 Prozent. „Diese Tendenz in Richtung teurer Überziehungskredite kann ein Hinweis auf beschränkten Kreditzugang sein, zum Beispiel weil Sprachdefizite die Verhandlungen erschweren. Eine weitere Erklärung sind Informations- oder Planungsdefizite bei unzureichendem Finanzwissen“.

Noch eine weitere Erklärung könnte sein, daß es Gründungskonzepte und Branchen gibt, die mangels Tragfähigkeit keine Bank finanzieren möchte. Hierzu schweigt die KfW-Studie – auch dazu, in welchen Branchen die Migranten ihre Selbständigkeit begründen. Zudem ist nicht jeder ausländische Abschluß mit dem deutschen Standard vereinbar. Und daß der selbständige marokkanische oder serbische Dolmetscher auf festes Einkommen durch behördliche und gerichtliche Aufträge hoffen kann, ist kein neues Wirtschaftswunder.

Erhöhtes Abbruchrisiko, Notgründungen, Hartz IV

Das Bonner Institut für Mittelstandsforschung (IfM) klagte 2016 in der Studie „Existenzgründungen von ausländischen Staatsbürgern“, es lägen „nur lückenhafte Kenntnisse über die ausländischen Gründer und ihre Gründungsvorhaben vor“. Daher schaute das IfM genauer hin: Die auf das Baugewerbe entfallenden Einzelunternehmergründungen von Ausländern hätten sich zwischen 2009 und 2013 von 27,8 Prozent auf 42,2 Prozent erhöht. Der Anteil der Scheinselbständigen sei nicht zu ermitteln. Der Baugründerboom begann, als Rumänien und Bulgarien Teil des EU-Schengenraumes wurden.

Im Bergbau und bei Abwasser- und Abfallentsorgung sei der ausländische  Gewerbeanteil hoch. In der Energieversorgung, in den Finanz- und Versicherungsdienstleistungen sowie dem Grundstücks- und Wohnungswesen hingegen niedrig: „Hier wurde nicht einmal jedes zehnte Einzelunternehmen von einem Ausländer gegründet“, so das IfM. 2013 betrug der Ausländeranteil unter den Existenzgründungen von Freiberuflern (Ärzte, Anwälte, Journalisten usw.) sowie an wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen 15,5 Prozent. Etwa eine halbe Million EU-Bürger beziehen Hartz-IV-Leistungen. Nicht alle sind arbeitslos, sondern oft Niedriglöhner, die „aufstocken“. Mit 42 Prozent auffallend hoch ist der Aufstockeranteil laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bei EU-Bürgern aus Bulgarien und Rumänien. Bei allen Ausländern waren es immerhin 30 Prozent. 

Die unternehmerische Frischzellenkur hält auch nicht lange an: Bereits im ersten Jahr brechen 16 Prozent der Migranten ihre Selbständigkeit ab, insgesamt sind es nur zwölf Prozent. Nach dem zweiten Jahr sind es 30 Prozent zu 22 Prozent, so daß dann „der Migrantenanteil an den Gründern der zugrunde liegenden Bevölkerung entspricht“, räumt die KfW ein. Hintergrund sind laut KfW das junge Alter, fehlende Erfahrung und Finanzierung sowie der Schwerpunkt im Handelsgewerbe.

Ein Hochschulabschluß gehe aber „mit einem signifikant reduzierten Abbruchrisiko einher“. Im allgemeinen spiele das berufliche Bildungsniveau keine große Rolle für die Bestandsfestigkeit von Existenzgründungen. Viele Selbständigkeiten seien auch Notgründungen aus Perspektivlosigkeit am Arbeitsmarkt. Die erstbeste Gelegenheit zur abhängigen Beschäftigung werde von solchen Notgründern gerne genutzt. Die akademischen Existenzgründungen seien vergleichsweise langfristiger geprägt.

Unter Berücksichtigung der Sozialleistungen für EU-Bürger und ihre Angehörigen erscheint der migrantische Unternehmerdrang in einem anderen Licht: Wer selbständig ist, muß keine existenzsichernde Tätigkeit ausüben. Erkennbare Erwerbsaussichten genügen fürs „Aufstocken“. Dies umfaßt auch Hilfen bei Krankheit, Mutterschaft sowie Sonderbedarf und Geld für Kinder. Detaillierte Analysen zu migrantischen Existenzgründungen stehen im sonst so statistikfreudigen Deutschland noch aus.

Fokus Volkswirtschaft 165/17 – Studie „Migranten gründen häufiger und größer: mehr Wochenstunden, mehr Angestellte“: kfw.de