© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

Dem nackten Mann in die Tasche greifen
Unterhaltsvorschuß: Rund 850 Millionen Euro muß der Steuerzahler berappen, weil Alleinerziehende kein Geld vom ehemaligen Partner bekommen
Paul Leonhard

Jedes Jahr geben Bund und Länder rund 850 Millionen Euro an Unterhaltsvorschuß aus. Empfänger sind etwa 450.000 Alleinerziehende, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, weil die Ex-Partner keinen Unterhalt für die gemeinsamen Kinder zahlen. 

Keine schöne Situation. „Auch mein Vater hat sich geweigert, meiner Mutter Alimente zu zahlen – für meine Schwester und mich“, verriet Außenminister Sigmar Gabriel einst der Bild-Zeitung: „Ich werde das Bild meiner Mutter nicht vergessen, die weinend in der kleinen Küche saß, die Hände vor dem Gesicht, weil sie nicht mehr weiterwußte.“ 

Unterhaltsverweigerung wird mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe geahndet. Eine Strafbarkeit liegt vor, wenn der Unterhaltsverpflichtete aktiv eine Vereitelung der Unterhaltsgewährung vornimmt oder sich einer Zahlung entzieht, obwohl er leistungsfähig ist. Viele der Unterhaltspflichtigen sind aber weniger zahlungsunwillig als schlichtweg zahlungsunfähig, weil sie als Schüler oder Studenten über kein eigenes Einkommen verfügen oder selbst staatliche Fürsorgeleistungen beziehen. 

Zudem sind nicht nur die Mindestsätze für den Unterhalt gestiegen, sondern auch der Selbstbehalt für die Zahlungspflichtigen. Dieser liegt aktuell für Nichterwerbstätige bei monatlich 880 Euro, für Erwerbstätige 1.080 Euro. Kein Wunder also, daß der Steuerzahler jedes Jahr 650 Millionen Euro für die „Rabeneltern“ abschreiben muß.

Dazu kommt die offenbar nicht geringe Rubrik „Vater unbekannt“. Nur in jedem achten Fall sei der unterhaltspflichtige Vater bekannt, zitiert die FAZ den Leiter der Grundsatzabteilung beim Sozialamt Köln, Winfried Nußbaum. Und bei denen fehle es dann „in der weit überwiegenden Zahl an finanzieller Leistungsfähigkeit“, schreibt die FAZ: „Sture Zahlungsverweigerung trotz ausreichenden Einkommens komme dagegen nicht allzu oft vor.“

Koalition will Leistungen sogar noch ausbauen

Auf Wahlmodus geschaltet, wollen Politiker von CDU und SPD die Vorschußleistungen nun sogar noch weiter ausbauen. Daß die Altersgrenze für den Vorschuß von zwölf auf mindestens 16 Jahre angehoben werden soll, hatte Sigmar Gabriel bereits im vergangenen August gefordert. Die Große Koalition einigte sich jetzt auf 18 Jahre und strich gleichzeitig in der zum 1. Juli in Kraft tretenden neuen Regelung die bisher auf sechs Jahre begrenzte Bezugsdauer. Damit werden bis zu 268 Euro monatlich gezahlt.

Gleichzeitig sprach sich Gabriel für stärkere Druckmittel gegen Zahlungsverweigerer aus. Ebenfalls im Sommer 2016 machte er mit seiner Idee Schlagzeilen, nichtzahlenden Vätern (von Müttern war keine Rede) den Führerschein zu entziehen. Und sein Parteifreund Heiko Maas verpflichtete sich als Bundesjustizminister spontan, bis Jahresende einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Daß nicht mehr die Jugendämter für das Eintreiben des Geldes zuständig sind, sondern die Finanzämter, weil diese einen Überblick über die Einkünfte der Unterhaltspflichtigen haben, fordern die Grünen.

Theoretisch ist der Staat schon heute verpflichtet, die gezahlten Vorschüsse wieder einzutreiben. Allerdings ist das kaum möglich. 2015 lag die Rückholquote nach einer Statistik des Bundesfamilienministeriums bei 23 Prozent, also 192 Millionen Euro. Immerhin wurden im gleichen Jahr bei knapp 10.000 Kontoabfragen über das Bundeszentralamt für Steuern 6.000 den Jugendämtern nicht angegebene Konten gefunden, und in 1.600 Fällen konnte auch Geld eingetrieben werden. Allerdings bleibt bei diesem Verfahren den Betroffenen Zeit, „vorsorglich ihre bisher unbekannten Konten abzuräumen“, heißt es in dem Sachstandsbericht der Regierung.

Daß Unterhaltspflichtige nicht zahlen, ist kein deutsches Phänomen. In Polen, wo es 305.000 säumige Zahler gibt und sich ausstehende Unterhaltszahlungen auf mehr als zwei Milliarden Euro summieren, überraschte die Regierung Anfang des Jahres mit einem Gesetzesentwurf, nachdem säumigen Zahlern elektronische Fußfesseln verpaßt werden sollen. Wer mindestens drei Monate mit seinen Zahlungen in Verzug sei, dem sollen diese angelegt werden, sagte Vize-Justizminister Michal Wojcik dem Nachrichtensender TVP Info. So kriege man auch heraus, ob Zahlungsverweigerer schwarz arbeiteten.