© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 17/17 / 21. April 2017

„Rivalität ramponiert die guten Sitten“
Kommt es in Köln für die AfD erneut zu einem Parteitag der Entscheidung? Der Politikjournalist und ehemalige Fernsehchefredakteur Heinz Klaus Mertes über Richtungskontroversen in Parteien und die Zerstrittenheit der Alternative für Deutschland
Moritz Schwarz

Herr Mertes, bekannt ist die Steigerung: „Feind, Todfeind, Parteifreund“

Heinz Klaus Mertes: Klingt wie ein Dogma, ist aber nur ein ironisches Bonmot.

Hat aber offenbar einen wahren Kern. 

Mertes: In den Parteien gibt es durchaus das Bewußtsein von Zusammengehörigkeit und Kollegialität. Dennoch gilt: Wo es um Macht und Mehrheiten geht, nicht nur in der Außenkonkurrenz, sondern auch untereinander, ramponiert Rivalität oft genug die guten Sitten. Besonders unter denen, die erkannt haben, daß der berufsmäßige Politikbetrieb ein Karrierepotential von mitunter atemberaubender Dimension zu bieten vermag. Das gilt auch und gerade für aufsteigende Gruppierungen, in denen etliche Zuläufe ihrem Sendungsbewußtsein auch „establishmentär“ einen Platz an der Sonne verschaffen wollen.

Aber Parteien sind doch Gemeinschaften von Gleichgesinnten. Warum dominiert dennoch so oft der Zwist? 

Mertes: Gemeinschaften sind sie, aber keine monolithischen Blöcke; zumindest nicht, wenn sie über ein geistig reges Binnenleben verfügen und dazu noch um ihre innere Ausrichtung und Mehrheit kämpfen. Und da Mehrheit nun einmal gleichzeitig Macht, Mandate und Moneten bedeutet, gibt es Zerwürfnisse auch der gemeineren Art. Das ist eine politologische Binsenweisheit, deren Wucht die AfD zwar vorhersehbar, gleichwohl aber besonders zerstörerisch trifft.

Klingt, als sei das ein „Naturgesetz“. Oder gibt es einen Weg, solchen Streit durch kluge Führung von vornherein zu verhindern?

Mertes: Ein Naturgesetz ist das nicht, schließlich handelt es sich nicht um Lebewesen, die ihren Weg aus dem Dschungel in die fette Prärie des Machterwerbs suchen. Es handelt sich um Motivierte, Suchende, auch Irrende und Getriebene, die unter ideologischer Aufheizung nach Durchsetzung inmitten eines Regelwerks politischer Zivilisation und öffentlich-medialer Beobachtung streben. Ohne den öffentlichen Ausbruch von Konflikten, Konkurrenzen und Chaossignalen geht das nicht ab.

Aber warum sind manche Parteien so viel stärker davon betroffen – Linke oder AfD – als andere, wie etwa CDU oder FDP?

Mertes: Eben weil neue Territorien zu erobern sind. Das zieht gerade nach ersten Erfolgen, wie bei der AfD in den vergangenen Landtagswahlen, auch mächtig Freibeuter unter ideologischer Flagge an. Die Fronten prallen dann im Kampf um Programme und Pfründe aufeinander. 

Kann denn der unendlich anmutende Streit in der AfD noch beigelegt werden?

Mertes: Da dürfte nach meiner Einschätzung nicht einmal der kommende Parteitag eine bleibende Klärung bringen.

Warum nicht?

Mertes: Eher glaube ich, daß sich mittelfristig das Funktionärs- und Anhängerpotential spalten wird und daraus Gruppierungen mit neuen Dachmarken entstehen.

Sie glauben, Köln bringt für die AfD den großen Knall?

Mertes: Leise wird es wohl nicht zugehen bei den befürchteten Szenarios militanter Gegendemos. Umlagert von Aggressivität ringsum wird man sich im Saale womöglich zusammenraufen. 

Die AfD wird sich wegen der Proteste gegen sie einigen? 

Mertes: Diese können jedenfalls dazu beitragen, sich in die Rolle einer verfolgten politischen Alternative zu begeben, um den Zusammenhalt zu beschwören. Darin hat die AfD ja eine gewisse Übung. So vermute ich, daß die Richtungsfronten übertüncht werden, um sich nicht im Wahljahr noch vor dem „Highnoon“ im September selbst zu zerlegen und um die bereits geschnupperten Reichweiten zu bringen.

Wie wird der Streit schließlich ausgehen?  

Mertes: Mir scheint mittelfristig eine Erosion vorgezeichnet zu sein – mit teilweiser Radikalisierung verschiedener Flügel. 

Zersplitterung und Untergang oder Absplitterung und Neubeginn?

Mertes: Ich rechne damit, daß die kommenden Landtagswahlen und vor allem die Bundestagswahl noch eine disziplinierende Wirkung haben werden. Spätestens danach aber halte ich das Aufbrechen bekannter und zusätzlich neuer Fronten für wahrscheinlich.

Sie meinen, kaum im Bundestag könnte etwa die Fraktion sich spalten? 

Mertes: Ob es überhaupt zu einer Fraktion kommt, in welcher Größe und Zusammensetzung, ist eine fragile Spekulation. Aber denken Sie daran, was ausgerechnet nach dem Wahl­erfolg in Baden-Württemberg passiert ist: Der eroberte parlamentarische Rang wurde sofort wieder geknickt. Die drin waren im Hohen Haus und sich in die parlamentarische Verantwortung fügen wollten, gerieten als System-Realos in antiparlamentarischen Mißkredit, in Isolation und Anfeindung. Es zeigt sich, das Protestpotential gegen das politische Establishment, das man seitens der AfD gehegt und gepflegt hat, dürfte wohl nicht einfach verschwinden, sondern sich sodann gegen die Ein- und Aufsteiger aus den eigenen Reihen richten.

Was müßten alle Beteiligten tun, um eine Einigung der Partei zu erreichen? 

Mertes: Ich bin journalistischer Beobachter, also weder Berater der AfD noch will ich es sein und bin dafür auch denkbar ungeeignet.

Die Frage stellt sich allgemein: Was müssen Parteien, die in etwa gleich starke Lager geteilt und ergo gelähmt sind, tun, um diese Krise zu überwinden? 

Mertes: Vier Punkte sind in der Parteienkonkurrenz unabkömmliche Voraussetzungen: Erstens, die Führungsfrage an der Spitze klären. Zweitens, Führung loyal akzeptieren – diese Anforderung richtet sich an das Parteivolk. Drittens in intensiver politischer Arbeit durch frische Ideen, mit überzeugenden Köpfen und Stimmen auch einen Sympathiebonus erlangen. Wo es darum geht, dem Lande Richtung zu geben, ist dabei eine angemessene Polarisierung keineswegs unkeusch. Denn auch Reibung bringt durchaus Nähe. Wer indes – wie derzeit die AfD – auf der politischen Bühne mit vergiftetem Dauerstreit um Personen und rückwärtsgerichtete Positionen ermüdet, kann die Hoffnung auf stabilen oder gar wachsenden politischen Anklang fahrenlassen. Denn da tun sich weder neue noch sympathische Horizonte auf. Und am wenigsten eine glaubwürdige Ausstrahlung, daß eine solche politische Kraft in unsicheren Zeiten den Nutzen von Land und Gesellschaft mehren könnte. Man mache sich nichts vor: Die erfreuliche Politisierung in der deutschen Wahlbevölkerung sucht genau diese Substanz und keine bloße Aufputschung. 

Manche beruhigen sich damit, daß auch die Grünen in den Gründerjahren gestritten haben, das gehöre dazu und gehe vorbei. Überzeugt Sie das? 

Mertes: Nein, der Vergleich bringt nichts. Das waren andere Zeiten, und es herrschten andere gesellschaftliche Bedingungen wie zum Beispiel beträchtliche grüne Akzeptanzen im bürgerlichen und medialen Milieu. So hatten die Grünen auch in Krisen und Häutungssituationen immer Köpfe und Stimmen mit Reichweite in die Gesellschaft hinein – also über den parteiinternen „Dampfkessel“ hinaus. Und sie boten mit der ökologischen Botschaft eine Art Königsweg der eben erwähnten Nutzenmehrung. Welch vergleichbarer Räson folgt die AfD?

Gute Frage! Welcher?

Mertes: Daß Sie dies als gute Frage empfinden, zeigt: Alternativ zu sein bedarf es wenig, aber wer nur alternativ ist, ist kein König. Zudem gab es in den Gründerjahren der Grünen stets starke Führungsfiguren wie etwa Joschka Fischer, die wahrnehmbar machten, wofür die Partei trotz aller Streitereien im Kern steht. Solche hat die AfD nicht. Im Vergleich zu den Protagonisten der Grünen damals ist sie schwach geführt. 

Warum betrachten Sie die AfD als „schwach geführt“? 

Mertes: Weil zum Beispiel deren Vorsitzende es nicht vermag, sich über den Meinungsstreit in der Partei erhaben zu zeigen, sondern diesen eher egomanisch befeuert.

Petry beschreibt den Konflikt als Konkurrenz zwischen einer „fundamentaloppositionellen Strategie“, für die etwa Alexander Gauland stehe, und einer „realpolitischen Strategie“, die sie sich ihrerseits zuschreibt. Wie kann sie sich in dieser Lage „erhaben“ zeigen? Muß sie sich gerade als Anführerin da nicht vielmehr positionieren?

Mertes: Mag sein, daß dies in ihrer Lage unvermeidlich ist. Aber für mich ist ihr Kampfeseifer insofern fragwürdig, als nicht klar wird, ob es ihr wirklich aus Überzeugung um die inhaltliche Ausrichtung der Partei gegen rechte Ausuferungen geht. Oder ob sie diese Frage nur für die Durchsetzung ihrer Machtposition instrumentalisiert. Bei dem Kippen des AfD-Gründungsvorsitzenden, der nachträglich fast zu einer Erinnerung an zivilisiertere Zeiten wurde, hat sie sich eben jene Richtung zunutze gemacht, die für sie heute vorgeblich parteischädigend ist. Und Kontrapart Gauland – als ehemaliger CDU-Mann eigentlich realpolitisch sozialisiert – versagt in dem Gespür, wie man das Profil einer Partei auf dem rechten Flügel für ein bürgerlich-konservatives Publikum verträglich erweitert. 

Gauland betont, es gäbe inhaltlich kaum Unterschiede zwischen Petry und ihm.   

Mertes: Na ja, warum wirft er sich dann aus unerklärlichen Gründen für den chronisch entgleisenden Geschichtslehrer Höcke ins Gefecht? 

Für die einen ist Höckes Dresdener Rede an den stürzenden Umfragewerten der AfD schuld, für die anderen die mangelnde Geschlossenheit, die die Partei daraufhin gezeigt hat – sprich, die Kritik an Höcke zu einem Streit in der Partei zu machen, statt sie geschlossen abzuwehren. Was stimmt?

Mertes: Die genannte Rede war öffentlich und zwingt also die, die nun einmal der gleichen Firma angehören, dazu, sich zu positionieren. Mit rabulistischer Umdrehungsdialektik ist die fragwürdige Äußerung, die samt Kontext überdies zementierte Denkweisen verrät, nicht aus der Welt zu schaffen – sowenig, wie man Zahnpasta wieder zurück in die Tube bekommt.     

Also ist der Bremer Antrag, das Parteiausschlußverfahren gegen Höcke zu stoppen, weil es der Partei schade, nicht sinnvoll?

Mertes: Ach, ich mag mich als journalistischer Beobachter in das schier stalinistische Säuberungs-Hickhack wirklich nicht einmischen. Sind denn die sich überhebenden Personen, nach denen Sie da fragen, überhaupt so wichtig für das politische Geschick des Landes?

Wer sonst als das Führungspersonal könnte wichtig sein?

Mertes: Es geht um mehr als den Mikrokosmos einer sich selbst suchenden Partei. Entscheidend ist und bleibt, ob die politischen Führungsfähigkeiten der agierenden Protagonisten geeignet erscheinen für einen produktiven, glaubwürdigen, meinethalben auch alternativen Beitrag im politischen Geschehen Deutschlands. Wie Höcke Zankapfel in Sachen Geschichtsbewältigung zu sein, ist ganz sicher keine Leistung, die Wähler von der Zukunftsfähigkeit einer Strömung überzeugt. 

Sondern? 

Mertes: Die Frage ist und bleibt, was kann eine Partei zur Zukunftsbewältigung beitragen. Irgendwann ist es das Publikum doch leid, sich immer wieder mit personellen Grabenkämpfen zu beschäftigen. „Dem deutschen Volke“ ist die „Headline“ am Giebel des Reichstags. Das ist ein hehr formulierter, aber zugleich konkreter Auftrag, in Generationen zu denken und nicht nur in Selbstbezogenheit und Provokation hier und heute rumzumachen. Was doch viele gerade konservative Bürger in der politischen Debatte generell vermissen, ist der Generationenblick als Kriterium, ja Momentum allen politischen Handelns.  Nur diese Richtschnur schafft die Räson nachhaltig wert- und interessenorientierter Politik und übrigens auch tragfähigen Konsens in den grundlegenden Fragen. An solchen evidenten und kommunizierten Räsonlinien als Kompaß in den virulenten Herausforderungen deutscher Politik im Inneren und Äußeren fehlt es weithin. Das unterwirft Wahlentscheidungen dem Zufallsgenerator von Koalitionsbildungen hinterher, was frustrierend ist. 






Heinz Klaus Mertes, der Wirtschafts- und Politikjournalist (Spiegel, Manager-Magazin, Welt, Welt am Sonntag) war ab 1990 Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens, wo er  „Report München“ und ARD-Brennpunkte moderierte sowie zahlreiche weitere Programme verantwortete. 1993 wechselte er als Programmdirektor zu Sat.1. Seit 1998 ist er Geschäftsführer seines Medien- und Programmunternehmens M Com TV in München und Berlin. Geboren wurde Mertes 1942 in Prüm in der Eifel.  

Foto: AfD-Spitzenpolitiker Pretzell, Petry, Gauland und Armin-Paul Hampel (im Hintergrund) auf einer gemeinsamen Demonstration 2015 in Berlin: „Die kommenden Landtagswahlen und vor allem die Bundestagswahl werden noch eine disziplinierende Wirkung haben. Spätestens danach aber halte ich das Aufbrechen bekannter und neuer Fronten für wahrscheinlich.“

 

weitere Interview-Partner der JF