© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

CD-Kritik: John Eliot Gardiner – Matthäuspassion
Auswendig gespielt
Jens Knorr

Es ist getan. In 16 Aufführungen haben John Eliot Gardiner und der Monteverdi Choir, die English Baroque Soloists und der Trinity Boys Choir ihren gemeinsamen Weg durch Europa ausgeschritten, begonnen im März 2016 in Valencia und beendet am 22. September im Dom zu Pisa, wo ihre Aufführung von Bachs „Matthäuspassion“ zum Anima Mundi Festival mitgeschnitten wurde. Zu den Stationen der semi-szenisch-musikalischen Einstudierung zählten die Thomaskirche Leipzig, Ort der Uraufführung, Brüssel am 23. März, einen Tag nach den Bombenanschlägen, und Aldeburgh, wo 30 Jahre zuvor Gardiners erste Studioeinspielung der „Großen Passion“ entstanden war.

Sie singen und spielen auswendig, damit die physische Barriere und die Sekundenbruchteile währenden Verzögerungen wegfallen, die mit dem Singen aus Noten einhergehen. Ariensänger und Soliloquenten treten aus dem Chor heraus und zu ihren obligaten Instrumenten. Nur zwei Partien sind solistisch besetzt, die des Evangelisten mit James Gilchrist und die des Jesus mit Stephan Loges, beide gehen in dem Schlußchor auf. Sie treiben in dem vorbestimmten Fluß des Geschehens, den sie doch selbst in Fluß halten, verlebendigen Text und Notentext, erwecken den Sinn der Worte in der fremden Sprache Deutsch.

Aber sie singen und spielen ja gar nicht: sie leben die Passion.

J. S. Bach Matthäuspassion SDG 2017  www.solideogloria.co.uk