© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

Pankraz,
der Osterhase und das Lamm Gottes

Öffentliches, televisionäres Rätselraten genießt zur Zeit Hochkonjunktur. Gute Gelegenheit also, anläßlich der Osterfeiertage einmal darüber zu rätseln, wie ausgerechnet der Hase, der sprichwörtliche Osterhase, ins höchste christliche Fest hineingeriet, faktisch zum populären Zentralpunkt der Erinnerung an Kreuzigung und Wiederauferstehung Jesu Christi wurde. Und wieso der Hase in diesem Zusammenhang plötzlich Eier legt, die man dann schön anmalt und in seinem Garten versteckt, damit die Kinder sie suchen können. Was ist da passiert? 

Sicherlich, symbolische Tiervergleiche bei der Deutung metaphysischer Vorgänge gehören zur theologischen Alltagspraxis. Die Apostel und frühen Kirchenväter des Christentums sprachen vom „Lamm Gottes“ („Agnus Dei“), wenn sie Jesus am Kreuz meinten, denn das Lamm war das bevorzugte Opfertier in den alten Religionen, und der Vergleich bot sich an. Für den aus dem Grab wiederauferstehenden Herrn fanden sich dann stolze Vergleiche aus der Vogelwelt, Aar, Kranich, Strauß, Eisvogel – aber nichts vom Hasen. Der konnte weder fliegen, noch taugte er als Mitleid erheischende Opferfigur wie das unschuldige Lamm. 

In der Kunstgeschichte spiegelt sich das deutlich ab. Der Hase kommt dort nur ganz am Rande vor. Es gab einmal in München ein „Zentrum für außergewöhnliche Museen“, und dort gab es auch, wenn Pankraz sich recht erinnert, ein Eckchen für ein „Osterhasen-Museum“. Es war äußerst dürftig. Man sah das berühmte Hasenporträt von Dürer, einige Bilder von Pisanello über die Hasenjagd und schließlich noch einige Ansichten von Kaninchen, wie sie auf der grünen Wiese hoppeln und miteinander kopulieren. Außer Kinderkriegen nichts gewesen. Von Metaphysik oder Theologie nicht die Spur.


Verläßlich fixierbare Legenden über den Eier legenden Osterhasen aus der Frühzeit des Christentums oder aus dem Mittelalter gibt es auch keine. Zum erstenmal erwähnt wird er von dem Medizinprofessor Georg Franck von Franckenau im Jahr 1682. Dessen Abhandlung „De ovis paschalibus – von Oster-Eyern“ schildert den in der Pfalz, im Elsaß und in Schwaben beobachtbaren „höchst merkwürdigen“ Brauch, „zu Ostern in Gras und Gesträuch Eier zu verstecken, wo sie dann zur Belustigung und Freude der Erwachsenen von den Kindern gesucht werden“.

Franckenberg nannte das Ganze „eine simple Fabuliererei“, doch das hielt später romantisch gesonnene Gelehrte in Deutschland und England nicht davon ab, darauf eine ganze Quasi-Theologie aufzubauen und sie an das christliche Osterfest heranzurücken. Jacob Grimm (1785–1863) konstruierte – einzig mit Hilfe philologischer Vergleiche und sprachlicher Assoziationen – die Gestalt einer heidnischen Göttin Ostara, die den elsässischen und schwäbischen Bauern die Lehre vom Eier legenden Osterhasen regelrecht eingegeben habe. Und bald vermochte sich kein Gelehrteneinspruch mehr gegen dergleichen durchzusetzen.

Nicht einmal der Hinweis, daß der Hase von Natur aus ein Säugetier sei, half etwas. Das sei eben das „Göttliche“ am Osterhasen, wurde dagegengehalten, er habe seine Natur um Jesus Christi willen überwunden, lege nun sogar Eier und sei so zum Symbol der Wiederauferstehung geworden. Wieso aber, wäre hier einzuwenden, soll das Ei Symbol der Wiederauferstehung sein? Und wenn schon Eier: wieso sollen Hasen sie zutage bringen? Es gibt doch die weite Welt der Vögel, die von Natur aus Eier legen und die in der christlichen Symbolik stets eine üppige Rolle gespielt haben. 

Bei Jesus von Nazareth erscheinen sie häufig und stets im positivsten Sinne. Sie sind „die Vögel auf dem Feld“ im Gleichnis über ein spontanes, seiner Sache völlig sicheres Gottvertrauen: Sie säen nicht und sie ernten nicht, und der himmlische Vater ernährt sie doch. Näher hin zu Ostern zeigt sich Christus selber als Vogel, als Phönix, der sein altes Federkleid abwirft und so den Tod überwindet. Und dann gibt es den so farbenprächtigen, ewig abtauchenden und wieder auftauchenden Eisvogel als schönstes Abbild der Auferstehung überhaupt.


Auch das Eierlegen spielt in der frühchristlichen Symbolik durchaus eine wichtige Rolle, doch wer hier Eier legt, ist nicht der Osterhase, sondern es ist der Vogel Strauß. Zwar brütet die Straußhenne in der Bibel ihre Eier nicht selbst aus, sondern überläßt sie unbeaufsichtigt dem heißen Wüstensand, wie die Heilige Schrift sagt (Hiob, Kapitel 39). Doch ist es jedenfalls diese Vogelart, welche Eier legt, nicht ein lediglich vermehrungstüchtiges Kaninchen.

Der Leser sieht: Der Osterhase paßt wirklich nicht zu Ostern. Daran ändern auch die verwegenen Theorien einiger Symbolforscher nichts, die auf dem sogenannten „Dreihasenbild“ herumreiten. Dieses Dreihasenbild ist zu sehen auf einem wohl Mitte des 18. Jahrhunderts bemalten Osterei und zeigt drei ansonsten sehr niedliche Hasen, die aber insgesamt nur drei Ohren haben. Sie sind allem Anschein nach jedoch quietschfidel und sollen offenbar die heilige Dreifaltigkeit repräsentieren. 

Mancher Symbolforscher sagt nun, das Osterei mit dem Dreihasenbild sei ein schlagender Beweis für die ursprüngliche Bedeutsamkeit vieler früher Ostereier-Bemalungen und belege die enge Verbindung zwischen christlichem Osterfest und den launigen Osterhasen-Derivaten mit ihren Verstecken und Kinderfreuden. Auch der Osterhase sei eben dem modernen Phänomen der Säkularisierung und Vergleichgültigung religiöser Symbole und Rituale ausgesetzt, das sei bei den offiziellen Ostergottesdiensten in den Kirchen, ob katholisch oder protestantisch, nicht anders, vielleicht sogar noch schlimmer.

Zumindest in diesem Punkt haben sie völlig recht. Wer sich heute zu Ostern entscheiden muß zwischen Ostereiersuchen und einem kirchlichen „Gottesdienst“, wo von der Kanzel herunter nur noch über die armen Asylbewerber aus Afrika und dem Nahen Osten sowie gegen die AfD gepredigt wird, der geht Ostereier suchen beziehungsweise Ostereier anmalen und verstecken.