© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

Gesetz der grünen Großzügigkeit
Wahlprogramm: Einwanderung soll erleichtert werden
Peter Möller

Die Grünen haben ein Talent, vor wichtigen Wahlen breiten Wählerschichten vor den Kopf zu stoßen. So entfachte die Partei vor der Bundestagswahl 1998 mit der Forderung, den Preis für den Liter Benzin schrittweise auf fünf D-Mark anzuheben, einen Sturm der Entrüstung. Ähnlich ging es den Grünen vor dem Urnengang 2013. Das maßgeblich vom damaligen Spitzenkandidaten der Partei, Jürgen Trittin, vertretene Steuerprogramm verschreckte zahlreiche „Besserverdiener“ unter den potentiellen Wählern. An diese „Erfolgsserie“ scheint die Partei, die seit Wochen unter einem Umfragetief leidet, auch im bevorstehenden Bundestagswahlkampf anknüpfen zu wollen.

Ausgerechnet in der Woche, in der bekannt wurde, daß rund 267.000 Syrer Anspruch darauf haben, ihre Familien nach Deutschland zu holen –  Schätzungen gehen von bis zu einer Million Nachzugsberechtigten aus –, präsentierten die Grünen als Teil ihres Wahlkampfprogramms ein Konzept, mit dem die Einwanderung in die Bundesrepublik deutlich erleichtert werden soll.

Fokussierung auf       Fachkräfte untypisch

Ganz wohl ist den Grünen angesichts der Zuwanderungszahlen während der Asylkrise offenbar selbst nicht bei der Sache. „Zwar weist das Wanderungssaldo 2015 ein Plus von rund 1,2 Millionen Menschen aus“, heißt es denn auch im Entwurf der Grünen für ein Einwanderungsgesetz, den die Partei in der vergangenen Woche in Berlin präsentierte. Doch die aktuell hohen Einwanderungszahlen könnten über den akuten Reformbedarf nicht hinwegtäuschen. „Deutschland ist ein Einwanderungsland und braucht aufgrund der alternden Gesellschaft und des wachsenden Fachkräftemangels ein zukunftsweisendes Migrationsrecht“, verdeutlichte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt. Ziel sei es daher, die Einwanderung nach Deutschland zu entbürokratisieren, zu liberalisieren und zu vereinfachen.

Zur Umsetzung dieser Pläne haben die Grünen das Punktesystem für sich entdeckt, wie es etwa in Kanada bei der Auswahl von Einwanderern zur Anwendung kommt und mit dem bereits andere Parteien, wie die SPD und die FDP, aber auch die AfD, den Zuzug von Fachkräften nach Deutschland regeln wollten. Kriterien für die Punktevergabe könnten nach den Vorstellungen der Grünen unter anderem Hochschulabschlüsse, „qualifizierte Berufsausbildung (möglichst in Mangelberufen), Berufserfahrung und deutsche Sprachkenntnisse“ sein. Wer von den Bewerbern die meisten Punkte hat, hat die besten Chance. Mit Hilfe dieses Verfahrens soll jährlich eine nicht näher bestimmte Zahl von Aufenthaltsgenehmigungen, die bei den Grünen „Talentkarten“ heißen, an Interessenten vergeben werden. Die auf diesem Wege ausgewählten Ausländer sollen dann die Gelegenheit bekommen, ein Jahr lang in Deutschland nach einem qualifizierten Arbeitsplatz zu suchen. 

Die Entscheidung darüber, wie viele Fachkräfte gebraucht werden und wie viele Ausländer ­dem­entsprechend pro Jahr kommen dürfen, will die Partei in die Hände einer „unabhängigen“ Einwanderungskommission geben. Die Kommission soll sich aus „für Fragen der Einwanderung relevanten Gruppen“ zusammensetzen. In den Augen der Grünen sind das Vertreter der Wissenschaft, der Wohlfahrtspflege, der Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften sowie der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Vermutlich wissen die Initiatoren des Gesetzentwurfs, daß eine derart mit mehrheitlich einwanderungsfreundlichen Organisationen zusammengesetzte Kommission die Zahl der Einwanderer eher höher als niedriger ansetzen würde. Großzügig ist der Gesetzentwurf auch mit Blick auf den Familiennachzug: „Ob und wann Einwandernde ihre Familien mit nach Deutschland bringen wollen, sollte ihnen selbst überlassen sein.“

Während die Fokussierung auf Fachkräfte bei der Einwanderung für die Grünen bislang eher untypisch war, klingen die in dem Konzept ebenfalls enthaltenen Forderungen nach dem leichteren Erwerb eines dauerhaften Aufenthaltsrechts für Einwanderer sowie niedrigeren Hürden beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit schon vertrauter. Ebenso wie das Eintreten für eine „generelle Hinnahme von Mehrstaatlichkeit“ sowie die Forderung, in Deutschland geborenen Kindern im Regelfall die deutsche Staatsangehörigkeit zu verleihen.

In einem ähnlich großzügigen Tonfall sind auch viele andere Anträge zur „Migrationspolitik“ im Entwurf des Wahlprogramms der Grünen gehalten, über das die Partei Mitte Juni abstimmen soll. Dabei wird es schnell grundsätzlich: „Für uns zählt nicht, woher ein Mensch kommt, es zählt, wo sie oder er hinwill. Wir kennen die Vorteile vielfältiger Gesellschaften: Sie entwickeln sich dynamischer und kreativer als solche in Abschottung“, versprechen die Antragsteller eine hoffnungsvolle Zukunft.

Dabei soll es natürlich auch besonders demokratisch zugehen, wie aus einem weiteren Antrag hervorgeht, der für das kommunale Wahlrecht für Ausländer eintritt. Dieses soll künftig nach dem Wohnortprinzip und nicht mehr nach der Staatsbürgerschaft geregelt werden. „Menschen, die hier leben, sollen auch mitbestimmen, wie wir zusammenleben“, heißt es großzügig.