© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/17 / 14. April 2017

Real, fundamental – nicht egal
Vor dem Parteitag I: Mit ihrem Strategie-Antrag ist AfD-Chefin Frauke Petry in die Offensive gegangen / Im Vorstand steht sie isoliert da
Christian Vollradt

Zwei Wochen vor dem Bundesparteitag in Köln ist der Streit an der AfD-Spitze weiter eskaliert. Bundessprecherin Frauke Petry ging Ende vergangener Woche in die Offensive, indem sie einen Antrag „über die strategische Ausrichtung der Partei“ formulierte. Die Delegierten des höchsten beschlußfassenden Gremiums der AfD sollen demnach abstimmen, ob sie die von ihr favorisierte „realpolitische Strategie“ verfolgen wollen oder das, was sie den „fundamentaloppositionellen“ Kurs nennt – der Raum lasse für „abseitige Meinungen und Standpunkte“ auch „außerhalb des bürgerlichen Korridors“. Petry möchte, so lautet der Antrag, dagegen „den Weg einer bürgerlichen Volkspartei“ einschlagen, „um innerhalb der kommenden Jahre grundsätzlich in der Lage zu sein, relative Mehrheiten auf allen politischen Ebenen erzielen zu können und damit als stärkster oder mindestens gleichrangiger politischer Partner in Parlamenten richtungsweisende Politik umsetzen zu können“.

Beide Ausrichtungen könnten nicht nebeneinander bestehen, da „die fundamentaloppositionelle Strategie die realpolitische Strategie“ zerstöre. Denn einzelnen Funktionäre und Parlamentarier könnten, auch ohne die Beschlußlage der Partei abzuwarten, „die Entscheidung für eine fundamentaloppositionelle Strategie treffen und damit alle Parteimitglieder in Haftung nehmen“. Der realpolitische Ansatz, der dem Vorbild der FPÖ folge, sei unterdessen nur erfolgversprechend, „wenn er sich auf breiten Konsens der Partei und auf eine entsprechende Beschlußlage beziehen kann“.

Doch der Antrag beläßt es nicht bei Sach- oder Strategiefragen. Denn die abzulehnende fundamentaloppositionelle Vorgehensweise wird namentlich jemandem zugewiesen, der als Petrys entschiedenster innerparteilicher Gegner gilt: Alexander Gauland. Dazu wird aus dem Interview zitiert, das Gauland – gemeinsam mit der CDU-Landtagsabgeordneten Saskia Ludwig – im März der JUNGEN FREIHEIT gegeben hatte: „Er habe die AfD mitgegründet, um die CDU von außen zu beeinflussen, denn von innen sei dies nicht mehr möglich gewesen“, zitiert der Antrag und nimmt diese Aussage aus dem Streitgespräch als Beleg dafür, daß Gauland auf „Fundamentalopposition“ setze.

Das hat beim Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Landtag von Brandenburg – gelinde gesagt – Erstaunen hervorgerufen. „In dem erwähnten gemeinsamen Interview mit Saskia Ludwig (CDU) habe ich überhaupt keine Strategie für die AfD entwickelt. Schon gar nicht habe ich dafür plädiert, Fundamentalopposition zu betreiben“, sagte Gauland der jungen freiheit. „Ich sehe gar keinen Widerspruch und keine ideologischen Differenzen zwischen der im Antrag erhobenen Forderung nach einer realpolitischen Ausrichtung und meinem Politikverständnis. Das, was wir in Potsdam oder die Parteifreunde in anderen Landtagen machen, ist keine Fundamentalopposition, sondern an der Sache orientierte Politik.“

Vor allem dieser Angriff auf Gauland hat offenbar andere hochrangige AfD-Vorstandsmitglieder davon abgehalten, den Antrag mit zu unterstützen, selbst wenn sie den inhaltlichen Fragen zustimmen oder Thesen zur Ausrichtung teilen. Nach Informationen des Magazins Stern hatten sich am Freitag vormittag in der Telefonkonferenz der Landessprecher zwölf von dreizehn Landesverbänden gegen Petrys Vorstoß ausgesprochen. In einer ersten an die Öffentlichkeit gelangten Version stand als Antragsteller neben Petry und dem rheinland-pfälzischen AfD-Vorsitzenden Uwe Junge auch der Name des Berliner Ko-Vorsitzenden Georg Pazderski. Der dementierte jedoch, den Antrag unterzeichnet zu haben. Der Landesvorsitzende von Mecklenburg-Vorpommern, Leif-Erik Holm, zog seine Unterschrift am Freitag zurück. Die Debatte über die strategische Ausrichtung der AfD sei seiner Meinung nach „absolut notwendig“, so Holm in einer Stellungnahme. Er sei „der festen Überzeugung, daß wir den Weg zu einer bürgerlich-konservativen Volkspartei beschreiten müssen“, um eines Tages Mehrheiten gewinnen zu können. Dies sei breiter Konsens. Daher rate er davon ab, „die wichtige strategische Debatte mit einer Personaldiskussion“ zu verbinden. „Deshalb kann ich dem nun vorliegenden Antrag so nicht zustimmen.“ 

Ungute Erinnerungen        an den Essener Parteitag

Nach Medienberichten und Informationen der jungen freiheit wird Petry vorgeworfen, sie habe mehrere unterschiedliche Versionen des Antrags in Umlauf gebracht und nachträglich einen Passus eingefügt, der sich gegen Gauland richtete. In Wahrheit, so sind Kritiker der Bundessprecherin überzeugt, gehe es ihr nicht um eine inhaltliche Klärung, sondern um den „Showdown“ im Machtkampf mit ihren Gegnern. Petry wolle die Delegierten in Köln zwingen, sich zu entscheiden, wer in der Partei das Sagen habe: ich oder die. Bei manchem AfD-Mitglied werden ungute Erinnerungen wach. „Das erinnert an die Situation vor dem Parteitag in Essen, an Lucke und seinen ‘Weckruf’“, meint ein sichtlich aufgebrachter Funktionär. Andere fürchten, „daß uns der Laden in Köln um die Ohren fliegt“.

Unterdessen wird dem thüringischen AfD-Chef Björn Höcke erneut eine inhaltliche Nähe zum Nationalsozialismus vorgeworfen. Die vom Gelsenkirchener Anwalt Christian Bill verfaßte 62seitige Anklageschrift, die der jungen freiheit vorliegt, greift damit im wesentlichen die Vergleiche auf, die der Jurist bereits in einem Gutachten im Februar gezogen hatte (JF 8/17).