© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Knapp daneben
Denunzieren oder zahlen
Karl Heinzen

Sind Eltern dafür haftbar zu machen, wenn ein volljähriges Kind ihren Internetanschluß dazu mißbraucht, illegal Musik in einer Tauschbörse hochzuladen? Diese Frage hat die Gesellschaft über Jahre tief gespalten. Nicht wenige Eltern wollten kein Risiko eingehen und setzten ihre Söhne und Töchter pünktlich zum 18. Geburtstag vor die Tür. Nun jedoch sorgt ein Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) für Rechtssicherheit und schafft damit die Voraussetzung, das Klima des Mißtrauens zu überwinden und den häuslichen Frieden wiederherzustellen. Zugleich stärkten die Richter die Regelungsautonomie der Familie. Sie stellen es den Eltern anheim, ob sie für den Schaden geradestehen oder den Übeltäter der Justiz preisgeben. In dem Fall, über den der BGH zu befinden hatte, sah sich ein Münchner Elternpaar mit einer Forderung von Universal Music über insgesamt 3.500 Euro konfrontiert.

Denunziantentum gehört zur charakterlichen DNA der Menschen, die schon länger hier leben.

Die Plattenfirma war in einer Tauschbörse auf das von ihr verlegte Album „Loud“ des Popsternchens Rihanna gestoßen und hatte die Spuren bis zur IP-Adresse der Familie zurückverfolgt. Eine CD dieser Schnulzensängerin zu besitzen, deren künstlerischer Status durch die Verleihung des „Michael Jackson Video Vanguard Award“ angemessen gewürdigt wurde, ist bereits strafwürdig genug. Man kann sich ausmalen, welche Qualen das Münchner Ehepaar erlitt, wenn das peinliche Geträller von seinem Haus Besitz ergriff. Schlimmer kann das Scheitern ästhetischer Erziehung nicht offenbar werden. Warum stellten sich die Eltern dennoch schützend vor ihr schwarzes Schaf? Dafür gibt es nur eine Erklärung. Sie durften auf Umkehr hoffen, und da sie nun, sechs Jahre später, immer noch zu ihrem Kind stehen, scheint diese tatsächlich eingetreten zu sein. Andere Eltern, die auf weniger Einsicht stoßen, werden anders entscheiden und bereitwillig gegen ihren mißratenen Nachwuchs aussagen. Für das gute Gewissen, das sie dabei empfinden, hätte es allerdings keiner höchstrichterlichen Legitimation bedurft. Denunziantentum gehört, woher der Wind auch gerade wehen mag, zur charakterlichen DNA der Menschen, die schon länger hier leben.