© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Vom Lebensraum zum Kommerzraum
Den Preis der Globalisierung zahlen die marinen Ökosysteme / Südostasien bietet abschreckende Beispiele
Christoph Keller

Die Investitionen, die bis 2025 allein der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur der Wachstumsregionen Südostasiens erfordert, beziffert eine aktuelle Studie der Weltbank auf 250 Milliarden Dollar. Für die Natur in diesem Teil der Welt ist das eine sehr schlechte Nachricht. Zumal dort die Ökologie zugunsten der Ökonomie in den letzten 30 Jahren schon beängstigend weit ins Hintertreffen geraten ist, was sinnfällig nicht nur die Vernichtung der Regenwälder Indonesiens beweist.

Giftige Abwässer im Meer, sinnlose Staudämme

Obwohl weitaus weniger beachtet als die Entwaldungen auf Sumatra und Borneo, wirkt sich der Umwelt zerstörende Primat der Wirtschaft mittlerweile beinahe in jedem Dorf aus. Dieser Eindruck drängt sich jedenfalls nach der Lektüre von einem Dutzend knapper Beiträge rund um das Thema „Lebensraum Wasser“ auf, mit denen Wissenschaftler und Umweltaktivisten die dramatische Vernutzung und Kommerzialisierung der natürlichen Bestände Südostasiens illustrieren (Südostasien, 4/16). 

Das Spektrum reicht dabei von „klassischen“ Einleitungen giftiger Abwässer ins Meer bis zu sinnlosen Staudamm-Projekten und zum ökologisch hochriskanten Tiefseebergbau. Alle Fallbeispiele zeichnen sich durch extreme Brutalität gegenüber Mensch und Natur aus, wie sie auch im Sowjetimperium bis 1990 üblich war, wie sie aber Industrie und Politik in Westeuropa schon vor 40 Jahren nicht mehr zu praktizieren wagten.

Die südostasiatischen „Schwellenländer“ hingegen befinden sich entwicklungsgeschichtlich gerade auf der Stufe des „Manchesterkapitalismus“, in der Anfangsphase der europäischen Industrialisierung, als niemand von Umweltschutz sprach. Deshalb ist in diesen Zonen die von Nguyen Thuc Quyên, einer seit 1979 in Deutschland lebenden Aktivistin von „Save Vietnam’s Nature“, geschilderte ökologische Katastrophe, wie sie sich im Frühjahr 2016 in ihrer Heimat ereignete, noch eher Normalität als Ausnahme. Ohne die Behörden zu informieren, hatte dort das taiwanesisch-vietnamesische Stahlwerk FHTS die Erzverarbeitung ohne Wasser auf eine solche mit Wasser umgestellt und die Abfallprodukte, giftige Gase und Giftschlamm, kurzerhand über ein langes unterseeisches Abwasserrohr entsorgt.

Mit der Folge, daß in den Aprilwochen 2016 über 100 Tonnen toter Fische die Strände säumten, Hunderte Menschen erkrankten und das gesamte marine Ökosystem der Region als dauerhaft geschädigt gilt. Getrieben von Massenprotesten, klärte das Umweltministerium die Öffentlichkeit dann sukzessive über die skandalösen Dimensionen des von FHTS verharmlosten „Zwischenfalls“ auf. Der Verursacher gehörte demnach zum weltweit tätigen taiwanesischen Formosa Plastics Group-Konglomerat. „Rücksichtslosigkeit in bezug auf Umweltfragen“ durchziehe dessen Firmengeschichte wie ein roter Faden. 2009 verlieh die deutsche Stiftung Ethik & Ökonomie dem Konzern ihren Negativpreis für seinen „Beitrag zur dauerhaften Umweltzerstörung“. Der Firmenname sei geradezu ein Synonym für „ökologischen Raubbau“. 

Möglich seien solche Skandale nur, weil die politischen Verhältnisse in Vietnam ebenso wie in den Nachbarstaaten – geprägt von Steuerbefreiungen, fehlenden Umweltauflagen und systemischer Korruption – Unternehmen zu solchen brachialen Verstößen förmlich einlüden. Dem simplen „Gesetz“ der Globalisierung folgend, Profitmaximierung mittels Ressourcenausbeutung, triumphiere die Allianz zwischen globalen Konzernen und „lokalen Kleptokraten“ von Birma (Myanmar) bis nach Papua-Neuguinea. So ließ die Stadtverwaltung Jakartas, wie die Journalistin Anett Keller berichtet, vor kurzem ein „Armen-Viertel“ abreißen, angeblich zur Flutprävention, da die Metropole während der Regenzeit stets unter Überschwemmungen leidet.

Tatsächlich erweitern Investoren dort nur Büro- und Appartement-Komplexe, die durch einige Dämme geschützt werden sollen. Wie Unesco-Experten monieren, seien dies veraltete Ansätze. Nur eine funktionierende Abfallentsorgung – 30 Prozent des Stadtmülls landen noch immer direkt in den Flüssen – und ein Management, das am oberen Lauf des Ciliwung-Flusses eingreifen müsse, verbessere die prekäre Wasser-Situation. Aber am Oberlauf, im kühlen Berggebiet, holze man Wälder ab, um Villen für die Nomenklatura zu errichten.

Wissen über Auswirkungen des Tiefseebergbaus fehlt

Ähnlich stellt sich die Karikatur von Umweltpolitik, die ausschließlich den Privilegierten frommt, auf der Touristeninsel Bali dar. 60 Prozent des Wassers werde, wie der australische Ethnologe Thomas Wright beklagt, von Hotelkonzernen verbraucht, die zu 85 Prozent in ausländischer Hand sind. Unbekümmert um die Bedürfnisse der Einheimischen, hätten diese Entnahmen seit 2007 in manchen Gegenden den Grundwasserspiegel um 50 Meter gesenkt, und 60 Prozent der Wassereinzugsgebiete der Tropeninsel gelten heute als „vertrocknet“, so daß Experten warnen, bereits 2020 könnte die tausendjährige Tradition des Naßreisanbaus Geschichte sein. 

Unbelastet von ökologischen Folgen und, worauf Roland Seib (Melanesian Institute/Goroka) hinweist, wie üblich demokratisch unkontrolliert, im Verein mit den lokalen Eliten, operiert derzeit auch der kanadische Bergbaukonzern Nautilus Minerals im Südpazifik, um 2018 mit dem Erzabbau vor der Küste des einstigen Kaiser-Wilhelms-Landes zu beginnen. Mit Massivsulfiden und Manganknollen, zu fördern in Meerestiefen bis zu 6.500 Metern, wollen die Kanadier Milliarden verdienen.

Der „ökologische Fußabdruck“, den sie dabei hinterlassen, ist nach eigener Einschätzung „vernachlässigbar“. Eine verharmlosende Prognose, denn Meeresbiologen des Wilhelmshavener Senckenberg-Instituts wiesen in Langzeitexperimenten nach, daß vom Man­ganknollen-Abbau verursachte Verluste der Artenvielfalt auch 40 Jahre nach dem Eingriff nicht ausgeglichen werden könnten. Da das Wissen über Auswirkungen des Tiefseebergbaus (JF 41/16) bislang „äußerst begrenzt“ sei, plädieren Organisationen wie Fair Oceans oder „Brot für die Welt“ für einen Verzicht auf diese Ressourcenausbeutung.

Als Menetekel für das kanadische Projekt versteht der Saarbrücker Geograph Ernst Löffler das Verschwinden der Mangrovenwälder im Irrawaddy-Delta Birmas. Um den Reisanbau für die schnell wachsende Bevölkerung zu forcieren und die Hauptstadt Rangun (Yangon) mit Brennholz zu versorgen, dezimierten die diversen Militärregime des Landes die 2.500 Quadratkilometer Mangrovenwald um drei Viertel. Damit ist der Küsten-, Ufer- und Windschutz entfallen, so daß der Wirbelsturm „Nargis“ im Mai 2008 mit voller Kraft ins Delta eindringen und 138.000 Menschenleben fordern konnte.

Fachmagazin Südostasien (4/16):  www.asienhaus.de

Aktionsnetzwerk „Save Vietnam‘s Nature“: sites.google.com

Bergbaukonzern Nautilus Minerals: www.nautilusminerals.com