© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Zeitschriftenkritik: Etappe
Mehrdeutigkeiten und Mehrwert
Werner Olles

In die marktlogischen Folgen des Kapitals gegossen erstarrte das revolutionäre Blei aus Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, erkaltete, härtete aus, der erste Guß war national und liberal, der zweite nationalistisch und international, der dritte faschistisch und nazistisch, den vierten erleben wir Heutigen, es ist der Globalistische“. Die aktuelle Ausgabe der Etappe (Nr. 23), des seit dreißig Jahren in „zwangloser Folge“ erscheinenden „Almanachs für Politik, Kultur & Wissenschaft“, faßt einmal mehr frei nach E. M. Cioran die Mehrdeutigkeiten zusammen. „An den Verheißungen der Utopie scheint alles bewundernswert und ist alles falsch, an den Feststellungen der Reaktionäre ist alles verabscheuenswert und scheint alles wahr.“ 

„Aufklärung ist immer auch Aufklärung der Mächtigen“, hieß es auf dem Titel der ersten Etappe. Den doppelten Aufklärungsbegriff, daß diese notwendig in Herrschaft verstrickt ist, kapieren die Vor- und Nachbeter des Kulturmarxismus schon lange nicht mehr, stattdessen läßt man sich auf das frömmelnde Gewäsch der „Zivilgesellschaft“ ein. Die Etappe setzt der radikalen Linken und ihrer Kunst, Analyse durch hypermoralische Appelle zu ersetzen, nicht die Verteidigung der Aufklärung, sondern ihre radikale Kritik entgegen. Womit wir bei der Ökonomisierung aller Lebensbereiche wären: „Die Realisierung des Mehrwerts ist das Herz des Kapitalkörpers (…), ist der Geistkern der bürgerlichen Welt“, heißt es im Editorial, und damit ist zu diesem Thema alles gesagt. 

Über den Kultursoziologen Mohammed Rassem schreibt Brunhilde Scheuringer und fragt, ob man ihn wieder lesen sollte. Wie sein Essay „Gäste – Sklaven – Bürger. Über Migration in Europa“ nahelegt, sollte man das tun. Rassems Analyse der „Gäste-Invasion“ in den 1970er und frühen 1980er Jahren ist von einem Realismus geprägt, der heutigen Zeitgeist-Intellektuellen abgeht.

Im Heftteil „Begriffe & Positionen“ lesen wir, wie die Kulturredaktion der FAZ Angela Merkel beisprang, die „für das unkontrollierte Hereinfluten kulturfremder Bevölkerungsteile Levantiniens (…) für diese Art selbst erzeugten, demographischen Ausnahmezustand verantwortlich zeichnete“. Und wie „landauf und landab Systempresse und das durch steuerartige Zwangsabgaben am Leben gehaltene Staats-TV gegen zwei Spaßbremsen trommelten“, die Sponti-Bewegung Pegida und die AfD. 

Fast possenähnlich liest sich Günter Maschkes Beitrag „Wie Siegfried Unseld einmal sogar Jürgen Habermas hereinlegte“. Es ging um den in Kuba eingekerkerten Dichter Heberto Padilla, einen engen Freund Maschkes, den Habermas, jener „Troubadour der herrschaftsfreien Kommunikation und Lobredner des zwanglosen Zwangs des besten Arguments“ (Maschke) in der Edition Suhrkamp nicht duldete und damit drohte, seine Titel aus dem Programm herauszuziehen und dort nicht mehr zu publizieren. Das ganze Schurkenstück zeigte, zu welch unsäglichen Methoden linksliberale Intellektuelle fähig sind.


Kontakt: Etappe, Postfach 210123, 53156 Bonn. Einzelheft 12 Euro. Drei Ausgaben 35 Euro. 

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