© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Bangen um Platz eins
Präsidentschaftswahlkampf Frankreich: Lange galt Marine Le Pen als Favoritin für den Einzug in die Stichwahl, doch der Gegenwind wird stärker
Friedrich-Thorsten Müller

Wenn am vergangenen Donnerstag Marine Le Pen auf einem Milchbauernhof im 700-Seelen-Ort La Trinité-Porhoët von bis zu 2.000 Anhängern mit „Es ist unser Land“-Rufen gefeiert wird, ist das vor allem Ausdruck eines Durchbruchs. Lange war die Bretagne – eigentlich die Heimat der Le Pens – schwieriges Terrain für den Front National (FN). Eher beschäftigte die Leute dort jedoch die Frage nach der eigenen bretonischen Identität und Sprache, als daß man übersteigertem französischem Patriotismus etwas hätte abgewinnen können. Entsprechend war es bisher auch kein Widerspruch, daß die christlich-konservativen Bretonen, in der Hoffnung auf weniger Zentralismus, gerne sozialistisch wählten.

Entteufelung des FN ist noch nicht ganz gelungen

Doch diesmal, so scheint es, ist bei der Präsidentschaftswahl, nicht nur in La Trinité-Porhoët, alles anders. Seit Monaten wird bei landesweiten Umfragen Marine Le Pen, der 48jährigen Vorsitzenden des Front National, mit Werten knapp unter 30 Prozent der Einzug in die Stichwahl prognostiziert. Lange wurde ihr sogar stabil für den ersten Wahlgang das beste Ergebnis aller Bewerber vorhergesagt. 

Erst die sehr erfolgreiche Kampagne des früheren Wirtschaftsministers Emmanuel Macron mit seiner neuen, linksliberalen und europafreundlichen auf Anti-Establishment getrimmten Bewegung „En Marche“, droht ihr nun den prestigeträchtigen Platz eins im ersten Wahlgang am 23. April streitig zu machen (26 zu 25 Prozent für Macron nach der aktuellen Umfrage für Le Point. 

Gleichzeitig steigt aber die Gewißheit, daß ihr die Teilnahme an der Stichwahl – trotz Ermittlungen wegen ihres Finanzgebarens im EU-Parlament - nicht mehr zu nehmen ist. Die Bewerber der Konservativen und Sozialisten, François Fillon und Benoît Hamon, sowie der schillernde Linksaußen-Kandidat Jean-Luc Mélenchon dürften mit 17, 8 und 16 Prozent für den Ausgang der Wahl vermutlich keine Rolle mehr spielen. Damit wären – wie zuletzt in Österreich – auch in Frankreich die etablierten Regierungsparteien bei der Präsidentschaftswahl außen vor.

Allerdings kann die komfortable Ausgangslage für den ersten Wahlgang nicht darüber hinwegtäuschen, daß sämtliche seriöse Umfragen Le Pen in der Stichwahl keine Chance einräumen, in den Elysée-Palast einzuziehen. Selbst gegen den skandalgebeutelten konservativen Kandidaten Fillon traut man ihr maximal 42 Prozent der Stimmen zu, bei Macron wären es zuletzt 37 Prozent (Umfrage Opionionway-Orpi vom 31. März). Trotz aller geglückter „Entteufelung“ des FN seit ihrer Übernahme des Parteivorsitzes 2011 ist die Zahl der Franzosen, die im Front National eine Gefahr für die Demokratie sehen, in den vergangenen vier Jahren sogar gestiegen. 

Den Instituten Kantar Sofres und OnePoint zufolge sind es inzwischen 58 Prozent, was einen Anstieg um elf Prozentpunkte bedeutet. Dies dürfte allerdings vor allem auf den spürbaren Bedeutungszuwachs des FN in Frankreich zurückzuführen sein.

Marine Le Pen ist sich dieser Schwäche im zweiten Wahlgang sehr wohl bewußt. Sie weiß, daß sie die Mitte gewinnen muss, um mehrheitsfähig zu werden. Aus diesem Grund fällt ihr 144-Punkte-Programm für ihre Präsidentschaft an manchen Stellen auch überraschend moderat aus. So ist keine Rede mehr von der früher beliebten FN-Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe, „echtes Lebenslänglich“ muß nun reichen. 

Als größtes Hemmnis ihrer Kampagne dürfte sich allerdings ihr Beharren auf den Euro-Ausstieg erweisen, der innerhalb des FN kaum verhandelbar ist und den zentralen Baustein ihrer Souveränitäts- und Wirtschaftspolitik darstellt. Zwar will sie keinesfalls ohne Referendum aus der Gemeinschaftswährung ausscheiden. Doch allein der Wunsch danach ist einer deutlichen Mehrheit der Franzosen suspekt. 

Aktuell – auch unter dem Eindruck sich leicht bessernder Konjunkturzahlen – wollen laut einer Ifop-Umfrage nur 28 Prozent der Franzosen die Rückkehr zum Franc (zum Vergleich 2010: 38 Prozent). Innerhalb der Budgetrestriktionen des Euro – und überhaupt in der Europäischen Union – wird sich ihr Programm des „intelligenten Protektionismus“ und „ökonomischen Patriotismus“, mit vielen Segnungen für französische Kleinverdienerfamilien, weder finanziell noch rechtlich umsetzen lassen.

Aus diesem Dilemma hilft Le Pen auch nicht, daß sie in den vergangenen Wochen deutlich an außenpolitischer Statur gewinnen konnte. Während im Januar US-Präsident Donald Trump ihr noch ein Treffen im Wahlkampf verweigerte, wurde sie im Februar vom libanesischen Präsidenten Michel Aoun und im März dann von den Präsidenten des Tschad und Rußlands, Idriss Déby und Wladimir Putin, empfangen.

Politologen wie Thomas Guénolé (34) von der Pariser Hochschule Scien-ces Po bewerten aber noch aus einem anderen Grund ihre Lage schon lange als nicht mit der Trumpwahl oder dem Brexit vergleichbar: „Das Hauptproblem von Marine Le Pen heißt Jean-Marie Le Pen. Denn der ist in unserem kollektiven politischen Unterbewußtsein der Teufel selbst.“ 

Allerdings stellten andere Beobachter, wie der Chef des politischen Dienstes des Senders BFMTV, Thierry Arnaud, schon vor zwei Jahren klar: „Wenn der nächste Mieter des Elysée-Palastes keine Antworten auf die Sorgen der Bürger findet, werden die Chancen für Marine Le Pen bei der Wahl 2022 sehr ernsthaft.“