© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 15/17 / 07. April 2017

Kein Freund und auch kein Helfer
Kölner Silvesternacht: Untersuchungsausschuß legt Abschlußbericht vor / Polizei war überfordert / Sondervotum der Opposition
Peter Möller

In der öffentlichen Wahrnehmung der Asylkrise markiert die Kölner Silvesternacht von 2015 einen Wendepunkt (JF 42/16). Nach den massenhaften sexuellen Übergriffen Tausender junger Nordafrikaner auf Frauen vor dem Hauptbahnhof der Domstadt begann in der Öffentlichkeit erstmals eine breitere Debatte über negative Auswirkungen der Einwanderungswelle.

Bei der Kölner Polizei gingen nach der Silvesternacht rund 1.200 Strafanzeigen ein, darunter rund 500 wegen sexueller Übergriffe. In 370 Fällen davon konnte kein Täter ermittelt werden. Die Zahl der Verurteilungen ist äußerst gering: Bis Ende vergangenen Jahres waren gerade einmal sechs Täter verurteilt worden, wie aus der Antwort der nordrhein-westfälischen Landesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag hervorgeht. Die Gerichte verhängten in diesen Fällen Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr und neun Monaten. Die Strafen wurden zumeist zur Bewährung ausgesetzt.

„Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen“ 

Parallel zur strafrechtlichen Verfolgung der Taten begann die politische Aufarbeitung. Ende Januar vergangenen Jahres setzte der Landtag von Nordrhein-Westfalen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß „Silvesternacht“ ein, der unter anderem ein mögliches Versagen der Behörden unter die Lupe nehmen sollte. Am Freitag vergangener Woche fand die politische Aufarbeitung der massenhaften sexuellen Übergriffe nach einjähriger Arbeit des Gremiums mit der Veröffentlichung des Abschlußberichtes sein vorläufiges Ende.

Der rund 1.400 Seiten starke Bericht rekonstruiert detailliert das Ereignis jener Nacht. Auf der Grundlage von 180 Zeugenaussagen schildert das Dokument das Versagen der Sicherheitsbehörden, die nicht willens oder in der Lage waren, konsequent und entschlossen gegen die sich bereits früh am Abend abzeichnenden massenhaften sexuellen Übergriffe vorzugehen. Ein Grund für das dramatische Versagen der Sicherheitsbehörden: mangelhafte Koordination und Kommunikation der Kölner Polizei- und Ordnungsbehörden mit der Landes- und Bundespolizei. Während sich auf der Kölner Domplatte am Silvesterabend alkoholisierte junge Männer aus Maghreb-Staaten zusammenrotteten, Feuerwerkskörper in die Menge schleuderten und Frauen belästigten, berieten sich die zuständigen Sicherheitskräfte noch in verschiedensten Behördenzirkeln.

Wie überfordert die Beamten vor Ort mit der Situation waren, wird in dem Bericht immer wieder deutlich. So heißt es an einer Stelle: „Um 23.29 Uhr meldete eine Bürgerin bei der Leitstelle, daß sie und eine Freundin von mehreren männlichen Personen belästigt und auch schon unter den Rock gefaßt worden sei. Sie habe uniformierte Beamte am Bahnhof angesprochen, die sie auf die 110 verwiesen hätten.“ Eine Aussage, die zeigt, daß die bedrängten Frauen nicht einmal bei den anwesenden Polizisten auf Schutz vor den Übergriffen hoffen konnten. Die eingesetzten und zahlenmäßig hoffnungslos unterlegenen Beamten waren mit der Situation völlig überfordert und reagierten kopflos – und begünstigten so die Übergriffe teilweise sogar, wie aus der Schilderung einer Zeugin ersichtlich wird: „Die Polizei versperrte die Domplatte und drängte uns alle nach außen an den Rand, hierbei wurden wir wieder mehrfach unsittlich berührt, ebenfalls im Intimbereich. Nachdem ich aufschrie, zog mich meine Schwester zum Rand, an dem die Polizei stand. Wir baten einen Polizisten uns zu helfen, der meine Schwester anschrie, sie solle sofort zurück an den Rand gehen und schubste sie dorthin. Erneut wurde ich hinter mir von mehreren Händen angefaßt und im Gesäß und den Gesäßtaschen meiner Hose befanden sich mehrere Hände.“

Viele der im Abschlußbericht aufgeführten Zeugenaussagen dokumentieren mit ihren teilweise drastischen Schilderungen der Übergriffe die Angst und die Hilflosigkeit der Opfer. So berichtet eine Frau über ihre Erlebnisse in der Silvesternacht: „ Als wir losgelaufen sind, war der ganze Hauptbahnhof voll mit Ausländern, wir konnten ihnen nicht ausweichen. Ich wurde auf dem Weg durchgängig angefaßt von Männern. Ein Mann hat meinen Rock hochgezogen und meinen Hintern angepackt ... Ich hatte noch nie in meinem Leben so Angst wie in dieser Situation.“

Immer wieder zeigt der Untersuchungsbericht, daß die Polizei vollkommen unzureichend auf die Silvesternacht vorbereitet war und zudem mit einem fehlerhaften Einsatzkonzept auf die sich zuspitzende Lage am Kölner reagiert hat. Bleibt die Frage nach der politischen Verantwortung und damit nach der Rolle des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger (SPD).

Kritik an der Rolle Jägers taucht im Abschlußbericht, der an diesem Mittwoch im Düsseldorfer Landtag auf der Tagesordnung stand, nicht auf. Das haben die Vertreter der Regierungsparteien SPD und Grüne so kurz vor der Landtagswahl im Mai verhindert. Lediglich in einem dem Bericht angefügten Sondervotum bemängeln die Oppositionsfraktionen von CDU und FDP, daß Fehler der obersten Verantwortlichen von den Regierungsparteien SPD und Grünen ausgeblendet worden seien. „Die Kleinen hängt man, die Großen läßt man laufen“, sagte die Obfrau der CDU im Ausschuß, Ina Scharenbach, mit Blick auf den von Jäger als Folge der Silvesternacht entlassenen Kölner Polizeipräsidenten Wolfgang Albers. FDP-Obmann Marc Lürbke kritisierte, die Regierungsparteien seien „nicht bereit, offen und ehrlich Fehler zu benennen“.

In den Schlußfolgerungen des Sondervotums wird die abweichende Sicht der Oppositionsparteien noch deutlicher: „Die falsche und irreführende Kommunikation der Behörden über die Ereignisse sowie die über Tage ausbleibende Reaktion der politisch Verantwortlichen haben bei vielen Betroffenen und ihren Familien aus Unverständnis Wut werden lassen“, schreiben CDU und FDP. Das erkennbar eher auf Verteidigung als auf Aufklärung ausgerichtete Vorgehen der Landesregierung in der anschließenden öffentlichen Debatte und parlamentarischen Nachbereitung haben den durch die Kölner Silvesternacht entstanden Vertrauensverlust der Bürger in den Rechtsstaat und die Politik weiter vergrößert.

Es gehört nicht viel Phantasie dazu vorherzusagen, daß in der anstehenden heißen Phase des Landtagswahlkampfs die Diskussion über die politische Verantwortung für die Kölner Silvesternacht ihre Fortsetzung finden wird.

 Der Abschlußbericht im Internet unter:     goo.gl/obcp7m