© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Weltoffenheit auf Bewährung
Fremdenverkehr: Ein „Pegida-Effekt“ auf den Tourismus in Dresden läßt sich nicht nachweisen – wohl aber ein Terroreffekt auf Städte wie Nizza oder Paris
Stefan Michels

Wieder ist in Dresden der Tourismus rückläufig, und wieder soll die in der Stadt ansässige Bürgerbewegung Pegida schuld daran sein. Zwar kamen 2016 wieder etwas mehr Besucher in die Elbmetropole, aber zum zweiten Mal in Folge ist die Zahl der Touristen, die über Nacht geblieben sind, zurückgegangen. Verzeichnete das Hotelgewerbe 2014 noch einen Rekord von 4,4 Millionen Übernachtungen, ist dieser Wert seitdem um 170.000 Beherbergungen gefallen. 

Grund genug für die Stadt, öffentliche Ursachenforschung zu betreiben. Bereits 2015 klagte die Geschäftsführerin der stadteigenen Dresden Marketing GmbH, Bettina Bunge, über einen „Pegida-Effekt“: „Menschen haben sich bewußt gegen einen Dresden-Besuch entschieden und ihre Privat- oder Geschäftsreise abgesagt, wie wir von Veranstaltern und Branchenvertretern wissen.“ Bei der Vorlage der jüngsten Touristenzahlen knüpfte sie an dieses Erklärungsmuster an. Der Stadttourismus leide immer „noch unter den Folgen der fremdenfeindlichen, antidemokratischen Äußerungen im Rahmen der Pegida-Bewegung“. 

Dresdener Bettensteuer sorgt für Unmut  

Zum Beweis ihrer Behauptung hatte Bunge 2015 vor allem eine „repräsentative Studie“ bei einer „renommierten Agentur“ angeführt, die ihr Büro selbst in Auftrag gegeben hatte. Laut dem Befund der Studie verbindet die ganz überwiegende Anzahl der 3.500 Befragten – Dresdner Bürger und Studenten sowie Unternehmer und Wissenschaftler aus dem ganzen Bundesgebiet – mit Pegida einen negativen Einfluß auf das Renommee der Stadt. 

Die Studie weist jedoch gravierende handwerkliche Mängel auf. Ihre Frage lautet: „Wie hat die Berichterstattung über Pegida das Bild von Dresden in der Öffentlichkeit verändert?“ Diese Fragestellung stellt nicht auf Pegida an sich ab, sondern bloß auf das Bild, das die Medien von der Protestbewegung vermitteln – zwei grundverschiedene Dinge. Die Umfrage beinhaltet kein Urteil der befragten Personen über Pegida. So wie sie formuliert wurde, trifft sie lediglich eine Aussage darüber, wie die Bürger die Tendenz der Medienberichterstattung einschätzen.

Diese fiel freilich schon deswegen nicht besonders positiv aus, weil die Medien sich auf den Demonstrationen als „Lügenpresse“ angegriffen sahen. Ironischerweise tat die Presse einiges, diesen Vorwurf im Nachgang zu bestätigen. Unkritisch griffen Zeit, Spiegel und andere linksliberale Blätter die Schlußfolgerung vom angeblichen „Pegida-Effekt“ auf das Image der Stadt auf. Ein Zirkelschluß, denn die Umfrage gibt nur den Einfluß der eigenen Negativberichterstattung wieder. Richtigerweise müßte man deshalb von einem Medien-Effekt reden, unter dem die Stadt Dresden leidet, seitdem Pegida demonstriert.

An den ausländischen Besucherströmen lassen sich jedenfalls so oder so keine negativen Auswirkungen ablesen. In den vergangenen beiden Jahren bewegte sich die Zahl ausländischer Gäste bei 20 Prozent. Ein Allzeithoch, mit dem das städtische Narrativ einer „fremdenfeindlichen“ Bewegung schwer in Einklang zu bringen ist. Über den möglichen Einfluß der eigenen Politik spricht man im Rathaus dagegen eher ungern.

 Mitte 2015 führte der Stadtrat mit den Stimmen der rot-rot-grünen Mehrheit eine Beherbergungssteuer ein – gegen den Widerstand des Hotel- und Gastgewerbes: „In Dresden haben wir das am schlechtesten finanzierte Stadtmarketing und gleichzeitig die zweithöchste Bettensteuer Deutschlands. Es springen uns große Kongresse ab und Konferenzen, weil die Befreiung von der Bettensteuer in Dresden komplizierter ist als in allen anderen Städten“, schimpfte der Vorsitzende des lokalen Tourismusverbands, Johannes Lohmeyer, ein Jahr nach der Einführung.

Die Bilanz sei „desaströs“.  Trotzdem beharrt die Stadt auf ihrer Sichtweise. „Wir gehen eher davon aus, daß die Diskussion um Pegida für den Rückgang verantwortlich ist“, reagierte Stadtsprecher Kai Schulz damals auf die Kritik. Gleichwohl räumte er ein: „Wissenschaftlich belegen können wir dies aber nicht.“ Unlängst dehnte der Stadtrat nach einem Gerichtsurteil die umstrittene Bettensteuer auch auf kleine Beherbergungseinrichtungen aus. Es bleibt abzuwarten, ob das Tourismusgeschäft dadurch weiter gehemmt wird – und wie die Stadt damit öffentlich umgeht.

Besucherschwund auf dem Oktoberfest

Das wichtigste Motiv der Dresdner Demonstranten und ihrer zahlreichen Nachahmer im In- und Ausland ist sicherlich die Sorge vor unkontrollierter Masseneinwanderung und einem wachsenden Einfluß des Islam in Europa. Das legt die Frage nahe: Wie ist es denn um den Effekt dieser Faktoren auf die Tourismusindustrie bestellt? 

In Köln, das sich selbst als „weltoffen, tolerant und multikulturell“ bewirbt, ging im vergangenen Jahr die Zahl der Übernachtungen um 3,5 Prozent, bei ausländischen Touristen sogar um 4,8 Prozent zurück. 

Daß das Minus im unmittelbaren Zusammenhang mit den sexuellen Übergriffen größtenteils nordafrikanischer Männer steht, die von der Stadt tagelang vertuscht wurden, läßt sich unschwer ausmachen: In den ersten drei Monaten nach den Attacken bewegten sich die Beherbergungen sogar noch um 5,3 beziehungsweise sieben Prozent unter dem Vorjahresniveau. Selbst der Kölner Karneval – immerhin der größte im Land – konnte den Negativtrend nicht aufhalten. Zur Jahresmitte mußte das Kölner Tourismusbüro einräumen, daß die Stadt „durch Silvester einen Imageschaden erlitten“ habe, der sie „noch eine Weile begleiten“ werde. 

Auch in München machte sich die Verschlechterung der Sicherheitslage bemerkbar. Im zweiten Halbjahr trübte sich das Geschäft nach dem Amoklauf eines Deutsch-Iraners ein. Zwar blieb die Zahl der Übernachtungen insgesamt stabil, aber auch hier sahen überdurchschnittlich viele ausländische Gäste von einem Aufenthalt ab. Den Versuchen der Stadtverwaltung, der allgemeinen Verunsicherung durch die Umzäunung des Oktoberfestgeländes zu begegnen, war wenig Erfolg beschieden. Die Zahl der Wiesn-Besucher fiel auf 5,6 Millionen Menschen, den geringsten Andrang seit 15 Jahren.  

Anders hingegen in Berlin. Trotz der LKW-Attacke eines tunesischen Islamisten mitten in der Adventszeit stieg die Zahl der Übernachtungen im Dezember um über fünf Prozent, auch unter den Hotelgästen aus Übersee. Ob sich der Anschlag erst mit Verzögerung bemerkbar macht, ist unklar; die Statistik für Januar steht noch aus.

Bei Durchsicht der Tourismuszahlen von 2016 fällt auf: Zwar wirkten die im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszustrom stehenden Terroranschläge und Gewalttaten zweifelsohne dämpfend auf den Besucherverkehr, aber dieser Effekt beschränkte sich in erster Linie auf die betroffenen Städte und verflüchtigte sich auf der Landes- und Bundesebene zusehends. 

So konnte Bayern trotz der Attacken in Ansbach, Würzburg und München erneut einen Übernachtungsrekord vermelden. Auch der gesamtdeutsche Tourismus stieg auf einen neuen Spitzenwert. Allerdings war der Motor des Wachstums vor allem die inländische Nachfrage, wohingegen Gäste aus dem Ausland deutlich verhaltener buchten.

Deutsche setzen mehr und mehr auf heimischen Urlaub

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) gab es im Jahr 2016 in den Beherbergungsbetrieben in Deutschland 447,3 Millionen Übernachtungen von in- und ausländischen Gästen. Dies, so Destatis, sei ein Plus von drei Prozent gegenüber 2015. Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Ausland erhöhte sich 2016 im Vergleich zum Vorjahr um ein Prozent auf 80,8 Millionen. Die Zahl der Übernachtungen von Gästen aus dem Inland stieg dagegen um drei Prozent auf 366,5 Millionen.

Vermutlich hat Deutschland von der unsicheren Weltlage sogar profitiert. Gezielte islamistische Terrorangriffe haben den Fremdenverkehr in den Urlaubsgebieten im Mittelmeerraum zusammenbrechen lassen und den heimischen Standort für deutsche Urlauber  aufgewertet. 

Verfestigt sich jedoch der Eindruck, daß ein Land sein Terrorproblem nicht in den Griff bekommt, können die negativen Folgen erheblich sein. Zwar konnte Frankreich seinen Platz als weltweit wichtigstes Touristenziel noch einmal halten, aber auffallend viele internationale Gäste mieden letztes Jahr den Besuch. 

Nach dem Massaker in Nizza ging der Tourismus entlang der ganzen Côte d‘Azur um zehn Prozent zurück. Der Großraum Paris verlor 1,5 Millionen Touristen. Der Louvre beklagte einen Rückgang von zwei Millionen Besuchern. Nach Schätzungen des nationalen Statistikamts belief sich alleine der wirtschaftliche Schaden der Terrorangriffe vom November 2015 auf 0,1 Prozent des französischen Bruttoinlandsproduktes.

Gegenmaßnahmen wie die Einhegung des Eiffelturms mit einer kugelsicheren Glaswand wirken hilflos. Werbekampagnen der Bürgermeisterin gegen das ramponierte Image der Stadt werden prompt von ethnischen Unruhen in den Vorstädten konterkariert. Unverblümt bewertete Trump in Amerika die Lage: „Paris ist nicht länger Paris.“