© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/17 / 31. März 2017

Grüße aus Paris
Gemeinsame Feinde
Albrecht Rothacher

Der alte Herr mit den buschigen weißen Augenbrauen sieht aus wie Kagemusha aus einem Kurosawa-Film. Wir kommen ins Gespräch. Er ist pensionierter Diplomat und hat im Kabinett von Premier Michel Rocard während der deutschen Wiedervereinigung gedient.

 Wußte ich, daß der französische Nuklearschirm nach einem Geheimvertrag auch für Deutschland gilt, und zwar automatisch, wenn es angegriffen wird? Nein, keine Ahnung, aber gut zu wissen. Und daß Margaret Thatcher ihre Flotte gegen Deutschland mobilisiert hatte, während Rocard und, zögernd, Mitterand drei Bedingungen formulierten: den Euro, die Anerkennung der polnischen Westgrenze und die Osterweiterung der EU? Und daß Jelzin von den Amerikanern Milliarden auf Konten der Credit Suisse für die Auflösung der Sowjetunion erhielt? Ich frage, ob es für das nördliche Ostpreußen, wie es gelegentlich anklingt, bei Gorbatschow auch einen Kaufpreis gegeben habe, oder für die südlichen Kurileninseln für Japan? Davon wisse er nichts.

Wir stoßen auf das vereinigte Europa an und sind uns, Rechter und Linker, einig.

Wir vergleichen unsere Familiengeschichten. Sein Vater wurde als Widerstandskämpfer von der Miliz in Grenoble gefoltert und starb 1952. Mein Großvater mütterlicherseits starb im selben Jahr als stellvertretender Landrat von Gotha an den Folgen sowjetischer Haft. Er haßt den Le-Pen-Clan, weil er aus der kollaborierenden Miliz stammt, ich die Kommunisten. Wir sind uns einig.

Gegenüber liegt das Außenministerium. Im August 1944 hatte sich hier ein Major der Luftwaffe mit seinen Leuten verschanzt. Beim Angriff der Division Leclerc wurde ein Panzer abgeschossen, ein korsischer Soldat fiel. Was mit den deutschen Überlebenden, die mutmaßlich auch mein Büro mit Blick auf Seine und Eiffelturm nutzten, passierte, weiß ich bis heute nicht. Mein Vater, Oberleutnant der Artillerie, hatte in französischer Kriegsgefangenschaft, die sich an die urlaubsmäßige amerikanische Lagerhaft in Tennessee anschloß, die Wahl zwischen der Fremdenlegion in Indochina und dem Minenräumen mit dem Bajonett und Hunger in ungeheizten Zelten. Zum Glück entschied er sich fürs Hungern und letztlich die Freiheit. Daß ein Viertel der französischen Kämpfer in Dien Bien Phu Deutsche waren, die meisten davon von der Waffen-SS, wußte wiederum mein Gesprächspartner nicht. Wir stoßen auf das vereinigte Europa an und sind uns – deutsche Rechte und französische Linke – mal wieder einig.