© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Frisch gepresst

Judentum. Das jüngste Werk des Berliner Zeithistorikers Götz Aly kann mit seiner zentralen These, daß der Antisemitismus alles andere als ein „Meister aus Deutschland“ ist, als welcher er sich mit dem Judenmord unter den Nationalsozialisten zeigte, allenfalls historische Laien vom Schlitten hauen. Vor allem vielen jüdischen Überlebenden des Holocausts schien gerade der Umstand gespenstisch, daß die Schrecken ihren Impuls aus der eigentlich recht kultivierten Mitte Europas erfuhren und nicht etwa aus Osteuropa. Dort, in der Region zwischen Düna, Weichsel und Schwarzem Meer, lebten vor 1900 über fünf Millionen Juden, von denen allein bis 1914 ein großer Teil nicht nur als Wirtschaftsflüchtlinge in den USA sein Heil suchte. Viele wollten vielmehr dem rauhen, von mörderischen Pogromen bedrohten Schtetl-Dasein entfliehen. Alys Betrachtung klammert natürlich auch nicht den virulenten Judenhaß in anderen europäischen Ländern aus, sei es in Frankreich (Dreyfus-Affäre) oder die kaum bekannten griechischen Übergriffe in Saloniki, dem „Jerusalem des Balkans“. Anders als Fachkenner vom Schlage des US-Historikers Yuri Slezkine hält Aly dabei eisern an jener Perspektive fest, welche den Juden eine Rolle als Akteure in der Geschichte nicht zumuten will. (bä)
Götz Aly: Europa gegen die Juden 1880–1945. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2017, gebunden, 431 Seiten, 26 Euro




RAF. Viel ist schon über Gudrun Ensslin geschrieben worden. Jedoch entfernt uns möglicherweise der vermeintliche Erkenntnisgewinn, den wir dank einer wachsenden Zahl an Büchern über die einst führende RAF-Terroristin haben, immer weiter von ihrer wahren Person, als uns ihr weiter zu nähern? Wie wäre das möglich? Die Freiburger Germanistin Ingeborg Gleichauf stellt diese Frage zu Beginn ihres Buches und vertritt die These, daß das einmal gefaßte Bild Ensslins in der Literatur – von der braven Pfarrerstocher zur ideologischen Furie – von zahlreichen einflußreichen Publikationen über die RAF nur weiter kolportiert statt hinterfragt wurde. Daß selbst namhafte Autoren das Bild Ensslins gar eher frei ausschmückten, als es zu recherchieren. Ob Gleichaufs Gegenentwurf, den sie in ihrer Biographie „Poesie und Gewalt“ präsentiert, stichhaltiger ist, können allerdings erst spätere Untersuchungen zeigen. Dennoch, ein einfühlsames und anregendes Buch. (mo)
Ingeborg Gleichauf: Poesie und Gewalt. Das Leben der Gudrun Ensslin. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2017, gebunden, 328 Seiten, Abbildungen, 22 Euro