© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/17 / 24. März 2017

Mut auch zur Selbstkritik
Extremismuskongreß: Mit Experten diskutierten die AfD-Fraktionen über Gefahren für unsere Demokratie
Christian Vollradt

Am Ende schienen alle zufrieden. „So geht inhaltliche Arbeit“, meinte knapp ein Fraktionsmitarbeiter, als sich der Saal im Berliner Maritim-Hotel am Samstagnachmittag leerte. „Deutschland im Fadenkreuz“ – unter diesem Titel hatten die zehn Landtagsfraktionen der AfD zu einem Kongreß geladen, um über die Gefahren für die Demokratie durch linken, rechten und religiös motivierten Extremismus zu debattieren. „Wir haben auch Kritisches über uns gehört, wurden zu Nachdenklichkeit angeregt“, resümierte der Berliner Partei- und Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski die Veranstaltung, an der insgesamt rund 400 Besucher teilgenommen hatten, darunter zahlreiche Abgeordnete. 

Als der erste Redner, Referatsleiter Uwe Kemmesies vom Bundeskriminalamt, Motive und Entstehungsformen von Extremismus und Terrorismus darstellte, kam es zu einer kleineren Störaktion durch drei Männer, die von Sicherheitskräften rasch aus dem Saal entfernt wurden. 

 An die Adresse der AfD gerichtet waren große Teile des Vortrages des Dresdner Politologen Werner Patzelt über „Autonome, Wutbürger und die enthemmte Mitte“ (siehe Seite 18). Über den Zusammenhang von religiösem Fundamentalismus und Gewalt referierte der Trierer Theologe und Sozialethiker Wolfgang Ockenfels. Um der religiös motivierten Anstachelung zur Aggression Einhalt zu gebieten, brauche es im Islam eine Aufklärung, wie es sie das Christentum bereits im späten Mittelalter erfahren habe.

Verfassungsschutzbericht als „zweischneidiges Schwert“

 Der Freiburger Staatsrechtler Dietrich Murswiek steckte die Maßstäbe für die Extremismusbekämpfung aus juristischer Sicht ab. Dabei machte er deutlich, daß „bloße Meinungen oder Gesinnungen verfassungsschutzrechtlich irrelevant“ seien. „Nur an politische Aktivitäten dürfen nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Maßnahmen des Verfassungsschutzes anknüpfen.“ Eines müsse jedoch völlig unstreitig sein: „Wer zur Durchsetzung seiner politischen Ziele Gewalt anwendet, anzuwenden beabsichtigt oder Gewaltanwendung propagiert, ist Verfassungsfeind.“ Dabei sei, so Murswiek, „auch das Zerstören von Wahlplakaten einer politischen Partei eine extremistische Verhaltensweise“. Kritisch beleuchtete er die Verfassungsschutzberichte. Sie seien ein „zweischneidiges Schwert“: Träfen die Warnungen darin zu, werde die Demokratie geschützt; wenn aber nicht, schade ein solcher Bericht der Demokratie. Murswiek nannte diese „Verdachtsberichterstattung verfassungswidrig“. 

Doch auch er nahm die AfD zu innerparteilicher Hygiene in die Pflicht  gegen „Problembären, Exzentriker, vielleicht auch Provokateure“: Dagegen könne und müsse sich die Partei wehren, indem sie verfassungsfeindlichen Äußerungen unverzüglich glaubhaft entgegentritt. „Zur Glaubhaftigkeit einer Distanzierung gehört, daß sie nicht erst erfolgt, nachdem der Verfassungsschutz schon begonnen hat, über die Partei zu berichten.“

Über seine Schlußfolgerungen aus der Arbeit mit jungen, überwiegend muslimischen Gefängnisinsassen berichtete der dänische Psychologe Nicolai Sennels. Während im Westen Aggression ein Zeichen von Schwäche sei, werde Gewalt in muslimischen Gesellschaften mit hohem sozialen Status in Verbindung gebracht.?Für Integration brauche es die Trias von Wollen, Dürfen und Können. Wenn diejenigen aber, die sich integrieren sollen, alles bekämen, auch ohne sich zu integrieren, würden sie sich nicht integrieren (Wollen). Ebenso wirkten kulturelle Tabus aus ihren Herkunftskulturen als Hindernisse bei der Integration (Dürfen). Und dann, so Sennels, sei da noch der geringe Stellenwert der Bildung, der einer Integration im Wege stehe (Können).?Um dem Abgleiten in den Extremismus vorzubeugen, müßte diesen jungen Männern konsequent klargemacht werden, was sie dürfen und was nicht.