© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Der Flaneur
Frühling, ja, du bist’s!
Paul Leonhard

Im Kinderfernsehen ist der Trickfilm zu Ende. Die Sonne hat nach hartem Ringen endlich den Eis und Schnee ausspuckenden Berg besiegt. Aber es war denkbar knapp gewesen.

Der Kleine rutscht von seinem Fernsehsessel und läuft in den Flur. Mit seinen Winterstiefeln kommt er wieder. Dann holt er seine Daunenjacke. Eine klare Aufforderung an mich, nachzusehen, ob vor der Haustür tatsächlich der Frühling ausgebrochen ist.

Durch das Wohnzimer brummt etwas. Eine dicke, noch etwas benommene Fliege.

Vogelgezwitscher empfängt uns. Und es riecht tatsächlich nach Frühling. Der Kleine stiefelt derweil den Fußweg entlang, bleibt dann stehen und deutet aufgeregt auf einen Strauch. Aus seiner 80-Zentimeter-Perspektive hat er ein erstes Schneeglöckchen entdeckt, das sein Köpfchen aus einem Schneerest reckt. Ich rette es vor den kleinen Fingern, die es schon herauszupfen wollen, indem ich auf ein verlassenes Vogelnest im Geäst eines kahlen Baumes zeige.

Ein Jauchzen lenkt mich von dieser Szene ab. Der Kleine hat sich heimlich davongemacht. In seinen schweren Stiefeln stolpert er einem Ehepaar hinterher, genauer gesagt, dessen Hündchen. Aber es ist aussichtslos, Hunde- und Erwachsenenbeine sind einfach zu schnell. Um seine Niederlage zu vertuschen, hockt sich der Kleine hin und hat schon wieder etwas entdeckt: Gänseblümchen auf dem zermatschten Rasen. Sie werden im Babykauderwelsch begrüßt.

Weiter geht es auf Frühlingssuche. Aber was ist das? Am Rande des mit einer Plane verschlossenen Sandkastens liegt tatsächlich noch ein Haufen verharschten Schnees. Er wird mit den Händen untersucht und als eisigkalt befunden. Dann treten kleine Stiefelchen auf ihn ein.

Zurück zu Hause entdecke ich den endgültigen Beweis, daß es Frühling wird. Denn durch das Wohnzimer brummt etwas. Eine dicke, noch etwas benommene Fliege. Hat die etwa bei mir überwintert? Ich weise ihr den Weg nach draußen.