© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Auf kriegerischem Parkett
Bernard Wiadernys bemerkenswerte Biographie des deutschen Diplomaten Hans Adolf von Moltke
Stefan Scheil

Hans Adolf von Moltke agierte als Diplomat auf heißem Boden. Der frühere Leiter der Ostabteilung des Auswärtigen Amtes vertrat das Deutsche Reich zwischen 1931 und 1939 als Botschafter bei der Republik Polen. Kann Moltke damit als ausgesprochener Spezialist für Osteuropafragen gelten, trifft dies auch für den Autor seiner Biographie zu. Bernard Wiaderny hat sich als Übersetzer und Herausgeber polnischer Geschichtswerke einen Namen gemacht und als Autor einer originellen Dissertation über die Beziehungen zwischen dem deutschen Widerstand und der polnischen Heimatarmee.

Um die Frage, was Widerstand sei und ob Moltke dazu zu zählen sei, geht es ihm auch jetzt, aber nicht nur. Der Großteil seiner Studie ist der präzisen Schilderung von Moltkes Tätigkeit als Diplomat gewidmet. Dabei kommen originelle Details zur Sprache. Im Sommer 1941 gehörte Moltke demnach zu einem Arbeitskreis, der sich mit der Frage beschäftigte, ob und wie eine Regelung der polnischen Dinge möglich wäre, die auch für Polen akzeptabel wäre. Wiaderny rekonstruiert dessen Tätigkeit ausschließlich aus zeitgenössischen polnischen Quellen, denn dem wachsamen aus dem Exil agierenden polnischen Geheimdienst entging auch diese Initiative nicht. Auf deutscher Seite ist dagegen nichts erhalten geblieben. 

Geplant war nach dem Eindruck der polnischen Beobachter wohl eine Art „Ostverschiebung“ Polens und eine Ergänzung polnischen Staatsgebiets um Gebiete, die heutzutage zur Ukraine gehören, aber in der damaligen Interpretation der eigenen Rolle von Polen durchaus zu beanspruchen waren. Zu den Empfehlungen dieser Moltke-Arbeitsgruppe gehörte demnach der Rat, man solle ein Lager namens Auschwitz schließen.

Mit zum Besten, was in diesem Kontext bisher geschrieben wurde, gehören Wiadernys Ausführungen über die Operation „Künsberg“. Das Auswärtige Amt suchte dabei in Polen gezielt nach Aktenmaterial, mit dem die Hintergründe des polnischen Schwenks in Richtung England im Frühjahr 1939 aufgedeckt werden konnten. Man wurde fündig und publizierte schließlich in großer Auflage und mehreren Übersetzungen die „Polnischen Dokumente zur Vorgeschichte des Krieges“, in denen vor allem der unheilvolle Einfluß der USA als entscheidend für den Kriegsausbruch im Herbst gebrandmarkt wurde. 

Madrider Mission auf dem Marktplatz der Weltpolitik

Wiaderny zeichnet deren Editionsgeschichte detailliert nach, was allein schon deshalb von hohem Verdienst ist, weil damit nun wohl endgültig die Echtheit dieser Aktenpublikation außer Frage steht, an die sich die Zeitgeschichtsforschung nach 1945 jahrzehntelang nicht herangetraut hat. Die USA dementierten seinerzeit offiziell, daß ihre Diplomaten die darin genannten Dinge je gesagt haben könnten, das wäre ja sonst eine Aufforderung zum Krieg gewesen. Damit galt dies nach 1945 stillschweigend als Tabu der Geschichtsschreibung. Zugleich weist Wiaderny auf weitere, fast schon veröffentlichungsreife Editionen hin, die unter den Kriegsbedingungen und weil der Inhalt zu „kompliziert“ schien, nicht gedruckt wurden, aber im politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin noch vorhanden sind.

Hans Adolf von Moltke als Person bleibt in diesem Buch trotzdem etwas blaß. Das liegt weniger am Autor als an Moltke selbst. Denn es stellt sich die Frage, ob ein stets deutlich unterhalb der Ministerebene agierender Berufsdiplomat mit einem klar definierten Spezialgebiet in Ostmitteleuropa tatsächlich so etwas wie eine „politische Biographie“ haben kann. Fast alles, was von Moltke überliefert ist, entstand im Rahmen von dessen Tätigkeit für das Auswärtige Amt. Er beobachtete, vermittelte und berichtete entlang der Vorgaben aus Berlin, zu Weimarer Zeit wie nach 1933. Dies tat er aus der Verantwortung heraus, die er als Botschafter seines Landes zweifelsfrei empfunden hat. Auch im Sommer 1939 verfaßte Moltke etliche Berichte, in denen er die Gründe für den polnischen Standpunkt entwickelte und sich in die Perspektive des östlichen deutschen Nachbarn versetzte. Das sei kein „Widerstand“ gewesen, weil es nicht auf die Schwächung oder den Sturz des NS-Regimes zielte, urteilt Wiaderny. War es wohl tatsächlich nicht. Moltke gab dem Auswärtigen Amt schlicht ein Bild der komplexen Lage vor Ort.  

Etwas merkwürdig gerät Wiadernys Einstufung von Moltkes letztem Karriereabschnitt. Ende 1942 wurde er als Botschafter nach Madrid berufen, wofür aufgrund seiner Laufbahn und Unkenntnis spanischer Verhältnisse eigentlich nichts sprach. Wiaderny führt die Entscheidung darüber auf die persönliche Initiative Hitlers zurück, tut sich aber ersichtlich schwer, nachvollziehbare Gründe zu entdecken. Moltke selbst behielt die Motive für sich und vertraute auch seiner Familie nichts an. 

Immerhin zeichnet Wiaderny hier erneut genau nach, welche außenpolitischen Wellen diese Entscheidung schlug. Polnische Diplomaten wurden sofort tätig, um Moltke bei den Westalliierten in möglichst schlechtem Licht erscheinen zu lassen. Dies führt zu dem wahrscheinlichsten Motiv für dessen spanische Mission, das Wiaderny eher kurz streift. 

Madrid gehörte damals wie Ankara und Stockholm zu den Marktplätzen der Weltpolitik, auf denen immer noch abgetastet wurde, ob sich nicht ein Kompromißfrieden schließen ließ oder andererseits dringend verhindert werden mußte. Aus polnischer Sicht galt letzteres, denn jeder Vergleich der Alliierten mit Deutschland konnte eigentlich nur zu Lasten Polens gehen. 

Großbritannien hatte den Posten in Madrid sicherheitshalber ranghoch mit seinem früheren Außenminister, Samuel Hoare besetzt, und die britische Einstufung von Moltke als Person fiel schließlich positiv aus. Was er als deutsches Angebot nach Spanien mitgebracht hatte, darüber gibt es nur Mutmaßungen. Wiaderny hat eine pittoreske davon ausgegraben: Ein Mann namens William Norman Ewer schrieb im Daily Herald vom Angebot eines deutschen Komplettrückzugs aus Westeuropa, das aber nur als Spaltpilz unter den Alliierten gedacht sei. Ewer hatte Grund, solche Warnungen auszusprechen, war er doch sowjetischer Spion.

Es wird sich wohl nie klären lassen, aber möglicherweise gab es Kräfte, die es nicht bei Warnungen vor der Person und bei Spekulationen über deren Mission belassen wollten. Schon am 22. März 1943 starb Moltke in Madrid bald nach der Ankunft einen überraschenden Tod. Dessen Ursache ließ sich nicht zweifelsfrei klären, seine Witwe glaubte jedenfalls an Vergiftung. Am Ende ist Hans Adolf von Moltke vielleicht ein Opfer des allzu heißen diplomatischen Bodens geworden.

Bernard Wiaderny: Hans Adolf von Moltke. Eine politische Biographie. Schöningh Verlag, Paderborn 2016, gebunden, 400 Seiten, Abbildungen, 44,90 Euro