© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Ernst Jüngers Bemerkung, daß ab einem bestimmten Niveau jeder seine Verfolger vom Dienst habe, bietet wenig Trost. Denn, was da als Meute hinter einem kommt, besteht doch größtenteils aus Pinschern.

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Noch über den „Absoluten Bösen“ auf Erden, den nennt man „menschgewordener Satan“ oder „Satans ältester Sohn“, oder „den Anfang alles Bösen und das Ende alles Guten; … einen Sünder, den anzuklagen, die Sprache der Menschen nicht hinreicht, und den Engeln einst, am jüngsten Tage, der Odem vergehen wird.“ (Arndt und Kleist über Napoleon)

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Als mir unlängst der Text eines Politologen in die Hände fiel, der so ganz und gar nicht bei der Sache war, sondern nur aus Etikettenkleberei bestand, mußte ich an ein Gespräch denken, das ich vor mehr als drei Jahrzehnten mit einem Vertreter dieser Zunft geführt habe. Wir gehörten derselben Altersgruppe an, aber der Politologe hatte das Ziel einer akademischen Karriere fest im Blick. Das war um so bemerkenswerter, als er nicht zur Linken gehörte. Das heißt, er zählte zu jener Minderheit des Faches, die damals nicht in der DDR das bessere Deutschland sah, nicht meinte, daß irgendeine Variante des Marxismus als Norm zu gelten habe und die Politologen, wenn man sie nur machen ließe (wahrscheinlich im Bündnis mit Soziologen und Pädagogen), demnächst das Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen erreichen würden. Also begann ich die Unterhaltung mit verhaltenem Optimismus und fragte mein Gegenüber nach dem Thema seiner Habilitation. „Demokratietheorie“, war die Antwort. Ah ja, meinte ich, er setze sich also mit den verschiedenen Konzepten von Demokratie auseinander. Oh nein, lautete die Erwiderung, er schreibe die Theorie der Demokratie. Meine Reaktion war skeptisch, und ich meinte, daß doch ganz sicher die Demokratie des alten Athen und die der Bundesrepublik so erhebliche Unterschiede aufwiesen, daß man sie unmöglich einem theoretischen Ansatz subsumieren könne. Nein, natürlich nicht, hieß es da, aber die Demokratie Athens sei eben keine Demokratie gewesen. Nach einem Moment der Irritation fragte ich, was denn mit der Weimarer Demokratie sei. Er wiegte bedenklich den Kopf: „ansatzweise“. Warum nur „ansatzweise“? Nun, man habe da ja auch antidemokratische, antiwestliche, antiliberale Parteien zugelassen. Das, meinte ich, habe eben mit einem anderen Demokratieverständnis zu tun gehabt. Ja, meinte der Politologe, aber das sei eben falsch gewesen. Bevor ich noch einwenden konnte, daß das ein völlig unhistorisches Argument sei, kam er mir zuvor und fragte mit inquisitorischem Ton, ob ich etwa Relativist sei. Nachdem ich mich knapp vom Schrecken angesichts dieses Vorwurfs erholt hatte, erkundigte ich mich nur zaghaft, ob es also so sei, daß er eine überzeitliche Norm gefunden habe, mit deren Hilfe man Verfassungsfeinde zu allen Zeiten in allen Weltgegenden ausmachen könne. Voller Stolz antwortete er: „Ja!“ Was dann heiße, daß aus seiner Sicht Cheops, Friedrich Barbarossa und Ludwig XIV. „Verfassungsfeinde“ gewesen seien? Wieder „Ja!“ Damals ahnte ich, daß in dieser eigenartigen Disziplin bestenfalls damit zu rechnen ist, daß eine Dogmatik die andere ablöst – von Wissenschaft keine Spur.

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Bildungsbericht C in loser Folge: „Die meisten Lehrer aber leiden an der Situation und heulen doch mit den Wölfen. Die geschmeidige Schulwebsite mit ihren Erfolgsmeldungen, Auszeichnungen und Abschlußquoten setzt vor allem emotionale Zeichen. Das Image der Schule, die Wärme der Kollegialität und die Scheu, den Schülern konsequent Anstrengungen abzuverlangen, sind die Ingredienzien, aus denen das ‘Warfarin’ gemixt wird. (…) Gruppendruck, das Selbstverständnis der meisten Lehrkräfte als Einzelkämpfer und eine fundamentale didaktische Unsicherheit schaffen ein Klima der Resignation. Selbst die unablässig forsch verlangte ‘Entrümpelung’ der Lehrpläne oder die Degradierung des Lehrers zum ‘Lernbegleiter’ bringen die Lehrer nicht dazu, sich persönlich und offen zu empören. Eine wachsende Zahl von ihnen kann das Dilemma gar nicht mehr erkennen. Sie haben von der Erosion des Leistungsprinzips als Schüler ‘profitiert’, ihre Defizite durch vier bis sechs Jahre Lehramtsstudium mitgeschleppt und herausragende Examensnoten ins Referendariat gebracht. Theoretisch wäre das Studienseminar der letzte Ort in der Lehrerausbildung, klare fachliche Anforderungen durchzusetzen. Aber wäre das fair? Wäre es überhaupt machbar, den pädagogischen Auftrag der Lehrerbildung mit elementarer Nachhilfe zu kombinieren? In extremen Fällen fachlicher Inkompetenz sind die Seminare noch ein Filter und versagen den Abschluß. Wenn aber die Zahl in der Rechtschreibung unsicherer Lehrer ebenso zunimmt, wie die Wortkenntnis von Romanisten schwindet, dann wird auch die letzte Hürde niedriger.“ (Klaus Ruß, ehemaliger Gymnasiallehrer und Fachleiter)


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 31. März in der JF-Ausgabe 14/17.