© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Wir sind nicht auf dem Spielplatz
Stadtgestaltung: Plädoyer für eine Wiedererrichtung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals in Berlin
Peter Möller

Wenn das Thema nicht so bedeutend wäre, könnte man sagen: Was für eine Kinderei. Mitten in der deutschen Hauptstadt, am Ende der Prachtstraße Unter den Linden, soll gegenüber dem mächtigen Eosanderportal des Stadtschlosses nach dem Willen des Bundestages – eine Wippe entstehen. Doch damit nicht genug. Das 50 Meter lange und 18 Meter breite Ungetüm in Gestalt einer überdimensionierten Schale ist nicht einfach der mißlungene Versuch einiger Stadtplaner, einen zentralen Platz der Hauptstadt mit einer ausgefallenen Attraktion zu beleben. Nein, es ist schlimmer. Die begehbare Wippe soll das zentrale Denkmal zur Erinnerung an die deutsche Wiedervereinigung und zugleich an die Revolution in der DDR sein.

Die Kritik an der Einheitswippe mit dem Titel „Volk in Bewegung“ verstummt seit der 2011 gefallenen Jury-Entscheidung nicht mehr. Die Architekten, die mit ihrer Agentur „Milla & Partner“ in Anspruch nehmen, „Kommunikation im Raum“ zu gestalten, versuchen den Spott und die Häme zu kontern, und verzetteln sich dabei in Nebensächlichkeiten. Der Begriff Wippe sei physikalisch falsch. „Eine Wippe auf dem Spielplatz bewegt sich ganz schnell und hat einen harten Anschlagspunkt“, versucht Architekt Johannes Milla zu retten, was niemals zu retten war. Das wird deutlich, wenn man sich anschaut, in welchem Kontext der Entwurf der Agentur steht, die auf Messestände und Ausstellungskonzepte spezialisiert ist. So wird das Einheitsdenkmal auf der Internetseite zwischen dem knallig gelben Konzept für das „Kärcher Experience Center“ und dem für den „Servicegipfel 2016“ von Mercedes-Benz eingereiht. Das Einheits- und Freiheitsdenkmal der deutschen Nation als Messestand. Banaler geht es kaum.

Doch was entscheidend ist: Der Entwurf des Nationaldenkmals wird weder denen gerecht, die ihre Freiheit und Gesundheit, ja ihr Leben aufs Spiel setzten, um das kommunistische DDR-Regime zu stürzen. Noch denen, die im Westen bis zum Ende trotz der wachsenden politischen und gesellschaftlichen Anfeindungen den Traum von einem geeinten Deutschland nicht verraten wollten; die sich lieber als „Ewiggestrige“ beschimpfen ließen, als Stacheldraht, Mauern und Todesstreifen quer durch ihr Vaterland als unabänderliche Realität zu akzeptieren. Solch ein Erinnern verträgt keine Kindereien, keinen Freizeitspaß zur Zerstreuung, nichts Unernstes. Doch zu etwas anderem ist die zeitgenössische Kunst in Deutschland offenbar längst nicht mehr willens und in der Lage. Wenn es darum geht, ernsthaft und angemessen an große und glückliche Augenblicke der deutschen Geschichte zu erinnern, geht es nicht mehr ohne eine „gebrochene“ Bildsprache, nicht mehr ohne Albernheiten.

Dabei gibt es eine Alternative zu der gänzlich mißlungenen Einheitswippe. Eine Alternative, an der niemand vorbeikommt, der den Bauplatz am Ufer des Spreekanals genauer betrachtet. Denn hier auf einem in den Fluß vorspringenden Sockel stand bis 1950 das 1897 eingeweihte Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal. Es war dem ersten Kaiser des von den Deutschen lang ersehnten zweiten Kaiserreichs gewidmet und damit der Schaffung des deutschen Nationalstaates. Mehr Einheitsdenkmal geht nicht.

Im Zentrum der imposanten Anlage stand das von Reinhold Begas geschaffene neun Meter hohe Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. Es erhob sich auf einem 13 Meter hohen Sockel und war auf das Eosanderportal des Schlosses ausgerichtet. Die  Inschriften lauteten: „Wilhelm der Große, Deutscher Kaiser, König von Preußen 1861–1888“ sowie „Aus Dankbarkeit und treuer Liebe das Deutsche Volk“.

Auf den vier Vorsprüngen des Denkmalsockels lagerten vier Löwen-Paare. Das brachte dem Denkmal bei den Berlinern bald den Spitznamen „Wilhelm in der Löwengrube“ ein. Zum Spreekanal hin erstreckten sich im Halbkreis die im neobarocken Stil errichtete Kolonnaden des Architekten Gustav Halmhuber. Die Denkmalanlage war zudem mit einem ausgefeilten Figurenprogramm geschmückt, das unter anderem die vier deutschen Königreiche (Preußen, Bayern, Württemberg und Sachsen) symbolisierte.

Den Zweiten Weltkrieg überstand das Denkmal weitgehend unbeschadet. Dennoch wurde es wie das benachbarte Stadtschloß vom SED-Regime aus ideologischen Gründen abgetragen. Auch die plastischen Werke des Denkmals wurden bis auf zwei Löwengruppen und eine Adlerfigur vernichtet. 

Dem heutigen Betrachter, der an architektonische Nüchternheit – nein Belanglosigkeit – gewöhnt ist, mag das Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmal auf den ersten Blick überladen und kitschig erscheinen. Doch das Denkmal war Ausdruck eines kraftvollen Wilhelminismus und eines vor Selbstbewußtsein strotzenden Kaiserreiches. Eine Rekonstruktion dieses eindrucksvollen Denkmals wäre daher auch ein sichtbares Zeichen für die grundlegende Neubewertung des Kaiserreiches, die sich seit einigen Jahren in der Geschichtsschreibung und langsam auch in der Öffentlichkeit durchzusetzen beginnt. An die Stelle des Zerrbildes vom Reich als eines aggressiven, kriegstreibenden Vorläuferstaates des Dritten Reiches tritt zunehmend das Bild eines auf traditionellen Fundamenten ruhenden aber gleichzeitig äußerst modernen und fortschrittlichen Staates, der ohne den Ersten Weltkrieg das Potential gehabt hätte, aus eigener Kraft die drängenden Probleme des 20. Jahrhunderts zu lösen. 

Auch städtebaulich wäre das wiederaufgebaute wilhelminische Denkmal eine hervorragende Lösung. Denn den Bauplatz vor dem mächtigen Eosanderportal, der durch den in die Spree ragenden Sockel zusätzlich exponiert ist, könnte die flache Wippe niemals ausfüllen. Anders als die Kolonnaden wäre sie zwischen dem massigen Bau des Stadtschlosses auf der einen und der Bauakademie auf der anderen Seite hoffnungslos verloren.

Der Wiederaufbau des Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals muß keine Träumerei bleiben. Denn dank eines parlamentarischen Husarenstreiches steht die Wippe auf der Kippe. Im November vergangenen Jahres stellte der Haushaltsausschuß des Bundestages überraschend 18,5 Millionen Euro für den Wiederaufbau der Kolonnaden zur Verfügung. Seitdem ist die Diskussion über die ungeliebte Wippe, für die es allerdings immer noch einen bindenden Beschluß des Parlamentes gibt, wieder voll entbrannt. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat in diesem Zusammenhang bereits darauf hingewiesen, daß Beschlüsse auch wieder geändert werden können. Die Gelegenheit für den Wiederaufbau des Nationaldenkmals ist also da, die Abgeordneten müssen sich nur ein Herz fassen. Denn eines steht fest: Eine Wippe gehört auf den Spielplatz – und nicht in das Herz der deutschen Hauptstadt.