© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/17 / 17. März 2017

Souverän werden
Wahlprogramm: Die AfD will mit der Forderung nach mehr Demokratie und weniger Einwanderung in den Bundestag einziehen
Christian Vollradt

Drangvolle Enge herrschte in dem Raum, in dem die AfD am Donnerstag vergangener Woche ihr Wahlprogramm vorstellte. Auch wer eine Viertelstunde vor Veranstaltungsbeginn kam, war schon zu spät und mußte sich mit einem Stehplatz begnügen. Der Medienandrang war immens; und nicht alle Journalisten, die gekommen waren, interessierte zuvörderst die Programmdebatte.  

Doch der Zahn, den beiden Bundessprechern Frauke Petry und Jörg Meuthen eine Stellungnahme zu Personalfragen zu entlocken, wurde schnell gezogen. „Fragen nur zum Wahlprogramm“, stellte Pressesprecher Christian Lüth gleich zu Beginn klar. Vielleicht lag es an der Enttäuschung darüber oder auch nur am fehlenden Sauerstoff, daß die Stimmung zuweilen etwas gereizt war. „Ich führe keine Etikettendebatte mit Ihnen“, reagierte auch der Vorsitzende der Programmkommission Albrecht Glaser leicht genervt auf die wiederholte Frage eines Journalisten, ob man denn meine, Deutschland sei nicht demokratisch; schließlich hatte Glaser in seinen einleitenden Worten die „Wiederherstellung der Demokratie“ als Kernanliegen seiner Partei bezeichnet. „Es gibt Defizite hinsichtlich der demokratischen Repräsentation, und im Wahlkampf sind Zuspitzungen ein erlaubtes Mittel“, entschärft Jörg Meuthen. 

?Vieles, was der Bundesvorstand dann als seinen Leitantrag für ein Bundestagswahlprogramm vorstellt, kommt einem schon aus dem Grundsatzprogramm der AfD bekannt vor. Punkten will die Partei vor allem bei den Themen direkte Demokratie, Euro, Asyl und Islam sowie einer Reform des Steuerrechts. Bei der direkten Demokratie will sich die Partei am Vorbild der Schweiz orientieren. „Das Volk muß wieder souverän werden“, lautet die damit verbundene Forderung. Abgestimmt werden solle etwa über den Verbleib Deutschlands in der Eurozone.

In der Asylpolitik wirft die Partei Kanzlerin Angela Merkel (CDU) „eine Mischung von Unwahrhaftigkeit und Dilettantismus“ vor. Noch nie habe ein Kanzler vorher so „offensiv geltendes Gesetzesrecht gebrochen“. Die „wilde Massenmigration“ müsse beendet und die Grenzen umgehend geschlossen werden. „Nationale Bevölkerungspolitik kann nicht durch ungeregelte Einwanderung ersetzt werden“, so Petry. Auch die Ausbürgerung krimineller Migranten steht im Forderungskatalog. Der deutsche Paß soll auch dann entzogen werden können, wenn der Betroffene danach staatenlos würde. Dazu sei eine Grundgesetzänderung nötig. 

Petry „sehr erstaunt“        über Vorstoß

Hatte Glaser in seiner Einleitung noch pauschal formuliert, „der Islam ist mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar“, heißt es im Programm etwas ausführlicher – und einschränkender: „Ein Islam, der unsere Rechtsordnung nicht respektiert oder sogar bekämpft und einen Herrschaftsanspruch als alleingültige Religion erhebt, ist mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Deutschlands nicht vereinbar.“ Für den öffentlichen Dienst und an Schulen solle ein Kopftuchverbot gelten.

Auf der Wunschliste der AfD steht zudem die Forderung nach Kündigung des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens aus dem Jahr 1964, mit dem in der Türkei lebende Familienangehörige von in Deutschland lebenden Türken mitversichert sind. 

Für etwas Irritation sorgte der Begriff der „Minuszuwanderung“ von jährlich 200.000 Personen. Damit gemeint sei die Rückabwicklung von illegaler Migration – also bisher nicht vollzogene Abschiebungen. Dies müsse jedoch sicherlich noch einmal präzisiert werden, hieß es aus dem Bundesvorstand. 

Meuthen unterstrich zudem die Absicht seiner Partei, sich im Bundestag für eine Abschaffung der Erbschaftssteuer einzusetzen. Weitere Punkte in dem Entwurf sind eine Reform der Polizei, der Kampf gegen die organisierte Kriminalität, eine „rationale Energieversorgung“ sowie „Gerechtigkeit bei der Grundsicherung und beim Arbeitslosengeld“.

Der Leitantrag wurde von einer Programmkommission ausgearbeitet, die ihrerseits aus elf einzelnen Kommissionen mit jeweils etwa 30 Mitgliedern bestand. Mitte Februar hatte die Partei den Entwurf an alle Mitglieder geschickt. Knapp 6.400 (27 Prozent) nahmen an dieser Befragung teil. Über das endgültige Programm für die Bundestagswahl am 24. September muß der Bundesparteitag am 22. und 23. April in Köln abstimmen.

Traten die drei Vorstände Petry, Meuthen und Glaser bei der Vorstellung der Inhalte am Donnerstag vergangener Woche betont geschlossen auf, sorgten Personalfragen am Wochenende schon wieder für interne Verwerfungen. 

In Kassel war am Samstag der Parteikonvent zusammengetreten, das zweithöchste beschlußfassende Gremium der AfD. Dort hatte man beschlossen, daß sich bis zum 19. März 2017 potentielle Kandidaten-„Spitzenteams“ für die Bundestagswahl bei der Konventsleitung bewerben. Anschließend werde den Parteimitgliedern die Frage vorgelegt: „Soll ein Team bestehend aus ... das Spitzenkandidatenteam der Alternative für Deutschland zur Bundestagswahl 2017 bilden?“ 

Einen Tag später wurde – abweichend davon – bei einem informellen Treffen des AfD-Bundesvorstandes mit den Landesvorsitzenden mehrheitlich beschlossen, Frauke Petry und Alexander Gauland sowie mindestens zwei weitere Mitglieder ins Spitzenteam zu berufen, teilte Sachsen-Anhalts Landeschef André Poggenburg am Montag der Deutschen Presse-Agentur mit. Frauke Petry zeigte sich „sehr erstaunt“ über diesen Vorstoß. Sie habe sich „persönlich seit einem Jahr und auch bei dem inoffiziellen Treffen am Sonntag ausdrücklich nicht dazu geäußert, ob ich für eine Spitzenkandidatur oder für ein Spitzenteam zur Verfügung stehe“, betonte sie. Der Wille der Parteibasis dürfe nicht mißachtet werden.