© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Geplünderte Schatzkammern der Artenvielfalt
Frankfurter Wissenschaftler auf goldenen Spuren in den Regenwäldern Perus und Angolas unterwegs
Christoph Keller

Mit dem Namen des langjährigen Präsidenten der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF), Bernhard Grzimek, ist die bis heute anhaltende Konzentration der Aktivitäten auf den Schutz der bedrohten Großtierwelt Afrikas verknüpft. Erst seit diesem Jahrhundert setzt der Verein weitere Schwerpunkte in Südostasien und in Lateinamerika, wo sich die Gesellschaft seit 2002 in Peru der Rettung des Regenwaldes verschrieben hat. 

Ihr jüngstes, im Herbst 2015 gestartetes Unternehmen liegt in der Nordostecke des Landes, in der Provinz Putumayo, unweit der Grenze zu Kolumbien. ZGF-Geschäftsführer Christof Schenck, der das neue Betätigungsfeld nun erstmals ausführlicher beschreibt (Gorilla, 3/16), kann sein Glück kaum in Worte fassen. Knapp 9.000 Quadratkilometer unberührter Amazonas-Regenwald, nahezu unbewohnt, eine „Schatzkammer der Artenvielfalt“.

Probleme mit Einwanderung und Goldgewinnung

400 Vogel-, 100 Reptilien-, mindestens 110 Amphibien- sowie tausend Pflanzenarten, dazu der „Wolf der Flüsse“, der bis zu zwei Meter lange Riesenotter, sowie Delphine und Kaimane, Raubkatzen wie Jaguare, Pumas, Ozelots, urtümliche Tapire, jede Menge Wollaffen, Pekaris und Rehe bewohnen den Dschungel am Yaguas-Fluß. 2011 erklärte die Regierung in Lima das Territorium zur Zona Reservada Yaguas. Dieses Reservat, eine vorläufige Schutzgebietskategorie, soll mit Frankfurter Hilfe mittelfristig in die „Champions League der Schutzgebiete“ aufrücken und zum Nationalpark werden. Günstigere Startbedingungen könnten die hessischen Regenwaldretter offenbar gar nicht finden, und Schenck dürfte fortfahren, den „grenzenlosen Teppich aus unendlich vielen Grüntönen“, den er beim Anflug erlebte, und die noch nicht vom Menschen dominierte Natur am Río Yaguas poetisch zu verklären. Wenn ihm nicht üble Erfahrungen während seiner gescheiterten Ersterkundung die Vorfreude auf die Umsetzung seines Peru-Programms getrübt hätten. Denn Schenck mußte eine Exkursion abbrechen, da ihm das Versorgungsboot gestohlen und zwei Begleiter entführt worden waren.

Ein Großeinsatz der Polizei und der in Peru auch im Regenwald zuständigen Marineinfanterie brachte den Rangern zwar die Freiheit. Aber der Zwischenfall signalisierte, welche Gefahr sich in den Mäandern des Flußsystems verbirgt. Hinter Diebstahl und Entführung, so vermutet Schenck, stecken illegale Goldwäscher. Schon bei früheren Überflügen entdeckten ZGF-Mitarbeiter „Dragas“, schwimmende Plattformen zur maschinellen Goldförderung aus den Sedimenten der Flüsse. Diese Art der Goldgewinnung zerstört das Flußbett und belastet die Umwelt mit Unmengen von flüssigem Quecksilber, das die feinen Goldpartikel des Sediments bindet. Dieses Giftgemisch wird anschließend erhitzt, zurück bleibt reines Gold. Das giftige Schwermetall Quecksilber, soweit es nicht mit den Sedimenten zurück ins Wasser gelangt, verdampft.

Vielleicht erwartet die ZGF am Yaguas, was sie aus dem Südosten Perus zur Genüge kennt. Dort unterstützt sie seit 2002 sieben Schutzgebiete mit einer Gesamtfläche von 65.000 Quadratkilometern. Man hilft dort der Verwaltung bei der Kontrolle der Reservate und Nationalparks, finanziert die Ausrüstung der Ranger und organisiert die Öffentlichkeitsarbeit, um das Umweltbewußtsein von Schülern und Studenten zu wecken. Im äußersten Osten des Konglomerats dieser Schutzgebiete, im Reservat Madre de Dios, zeichnet sich ab, was schlimmstenfalls auch am Yaguas zu erwarten ist.

Mit dem sprunghaften Anstieg des Goldpreises, nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise von 2008, sickerten 30.000 Goldsucher aus dem Hochland der Anden in die Randbezirke des Reservats ein. Den „Einwanderern“ auf dem Fuße folgten die „Segnungen“ der Zivilisation: Slums aus Brettern und Plastikplanen, Drogen, Prostitution, Gewalt. 2016 sind „Mineros“ erstmals auch innerhalb des Schutzgebietes aufgetaucht. Ein Blick auf Google Earth, so empört sich Antje Müllner, ZGF-Referatsleiterin Südamerika, verdeutliche das Ausmaß der mittlerweile erreichten Zerstörung.

Ökologische Katastrophen

An den Flußläufen in der Region Madre de Dios arbeiten Tag und Nacht die Pumpen, die die Sedimente durchsieben. Das Unterste werde nach oben gekehrt, der Regenwald an den Ufern abgeholzt, Luft und Wasser durch Quecksilber vergiftet. 2014 seien dort 45.000 Kilo Quecksilber verbraucht worden, um 16.000 Kilo Gold zu gewinnen. Peru rangiere mit legal geförderten 150 Tonnen und 30 illegal auf den Markt gelangten Tonnen (2015) international nun auf Platz sechs der Goldproduzenten, lasse aber die Umwelt den Preis dafür entrichten – zunächst in Madre de Dios, wo man auf eine „ökologische Katastrophe“ zusteuere.

Eine solche hat sich nach den Erhebungen von Global Forest Watch (GFW) in Angolas Wäldern leise und unbeachtet von der Weltöffentlichkeit längst vollzogen. Ungeachtet aller Kampagnen, die ohnehin nur die Bevölkerung des globalen Nordens für den Artenschutz sensibilisieren, verrichten Motorsägen zwischen Brasilien und Indonesien ihr Werk. Entsprechend verdreifachte sich der Waldverlust in Angola seit 2001. 1,7 Millionen von 55 Millionen Hektar Wald sind seitdem verschwunden, nur 63.797 Hektar wurden neu bepflanzt.

Wenn Wissenschaftler einer anderen traditionsreichen Frankfurter Institution, der Senckenberg-Gesellschaft, im Norden Angolas tropische Ökosysteme untersuchen, dann schwingt daher etwas mit von „Der Letzte macht das Licht aus“ (Senckenberg, 7-8/16). Die Erfassung des biologischen Reichtums Angolas gleicht nämlich einem Nachlaß-Protokoll. Es gilt in den letzten Regenwald-Fragmenten noch schnell einige der ungeheuren Daten- und Wissenslücken hinsichtlich dieses weißen Fleckens auf der Landkarte afrikanischer Artenvielfalt zu schließen.

Unter der Führung des Tropenbiologen Raffael Ernst, seit 2010 Sektionsleiter Herpetologie am Senckenberg-Standort Dresden, ist es seit 2013 gelungen, 46 Amphibienarten nachzuweisen. Damit ist exemplarisch belegt, daß die in Nordangola vorhandene Diversität bei weitem unterschätzt wurde. Zudem gelang es zu zeigen, welche Schlüsselrolle Angola für die Rekonstruktion der Geschichte der Regenwälder in Jahrmillionen und zum Verständnis heutiger biogeografischer Muster Afrikas zukommt.

So stützt die gegenwärtige Verbreitung vieler Froscharten die Hypothese, Angola habe sich bei prähistorischen klimatischen Umwälzungen für Fauna und Flora als Rückzugsraum angeboten. Ob die verbliebenen Wälder auch zukünftig im Klimawandel als Refugialraum zur Verfügung stehen, machen die Dresdner Amphibienforscher von deren „nachhaltigem und langfristigem Schutz“ abhängig. Angolas Entwaldungsrate spricht gegen diese Hoffnung. 

Das Peru-Programm der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF):  fzs.org

GFW-Daten über Waldbestände in Angola: www.globalforestwatch.org