© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Asylunterkunft als Gegenfinanzierung
Berlin: Ein Park muß mehreren Flüchtlingsheimen weichen, doch dahinter stecken noch andere Gründe
Martina Meckelein

Motorsägen kreischen auf. Krachend gräbt die geöffnete Zange des Harvesters ihre metallenen Zähne in den Stamm des Baumes. Noch ein kräftiger Ruck – und der massive Stamm bricht berstend auseinander, stürzt zu Boden, die Krone des Baumes wippt nach. Die Buhrufe und Pfiffe einiger Berliner, die auf der anderen Seite des Maschendrahtzaunes in der Leonorenstraße in Berlin-Lankwitz stehen, sind kaum zu hören.

Am 20. Februar schuf die Berliner Verwaltung Tatsachen. Die ersten von 220 über hundert Jahre alten Bäume in der Leonorenstraße wurden abgeholzt. Begründung: Sie müssen Flüchtlingsunterkünften weichen, die nur dort gebaut werden können. Dabei wäre Platz genug auf dem 4,6 Hektar großen Grundstück der Vivantes GmbH, dem nach eigener Aussage größten kommunalen Klinikbetreiber in Deutschland. Auf dem Gelände stehen ein Altenheim mit 220 Plätzen, ein paar heruntergekommene Schuppen und eben der Park. Aber: Es sollte unbedingt der „Park“ weg, mit dem Vivantes selbst in seiner hauseigenen Broschüre als Bonbon für das Seniorenheim Leonore wirbt. Rückblick: 1890 eröffnete Sanitätsrat James Fraenkel (1859–1935) das Berolinum, eine private Heil- und Pflegeanstalt für 500 Nervenkranke an der Leonorenstraße. 1907 legte er dort einen weitläufigen Park und ein Kurhaus an. Im Ersten Weltkrieg war das Sanatorium auch ein Lazaertt. 1921 verkaufte er Klinik und Gelände an den Verband der Krankenkassen Groß-Berlin.

„Asyl-Unterbringung ist vorgeschobenes Argument“

Fraenkels jüdische Familie konnte noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs emigrieren. Eine Gedenktafel am Haus Leonorenstraße 17 erinnert an den Mitbegründer der modernen Psychotherapie. Gebäude und Grundstück gingen später in den Besitz der Stadt Berlin über; heute gehören sie dem Gesundheitskonzern Vivantes. „Wir haben auf einer SPD-Infoveranstaltung am 16. Juni erfahren, auf welchem Teil des Grundstücks nun gebaut werden soll“, zitierte der Tagesspiegel Anfang September 2016 einen Anwohner. Seitdem die Liste der geplanten Flüchtlingsunterkünfte veröffentlicht worden war, „war uns die Adresse bekannt, aber wir alle sind natürlich davon ausgegangen, daß die Ruinen abgerissen werden und dort dann die Unterkünfte errichtet werden“. Das Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) gab den entsetzten Anwohnern, die sich zu einer Bürgerinitiative zusammengeschlossen hatten und gegen die Fällung insistierten als Begründung an, daß 15.000 Flüchtlinge in Turnhallen und Notunterkünften untergebracht seien. Die Hallen müßten schnell ausgeräumt werden. 

Der Abriß der ruinösen Schuppen sei zu langwierig, der Untergrund nicht ideal für die geplanten modularen Unterkünfte für Flüchtlinge, sogenannte MUFs. Eine Art moderner Plattenbau mit „hohem industriellen Vorfertigungsgrad“, die dort Platz für 450 Flüchtlinge bieten sollen. 60 Jahre sollen die Gebäude halten, davon rund zehn Jahre von Flüchtlingen genutzt werden.

„Das Bezirksamt hatte zunächst eine Fällgenehmigung verweigert“, berichtete die Berliner Morgenpost. Anfang Februar 2017 wurde sie allerdings von Maren Schellenberg (Grüne), Umweltstadträtin in Steglitz-Zehlendorf doch erteilt: „Hätte ich die Zustimmung verweigert, hätte der Senat das Verfahren an sich gezogen“, zitiert sie die Zeitung.

„Die angeblich notwendige schnelle Unterbringung der Flüchtlinge ist offensichtlich ein vorgeschobenes Argument“, erklärt Hans-Joachim Berg, AfD-Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin, der JUNGEN FREIHEIT. Er hat einen Verdacht: „Die wirtschaftliche Nutzung der Parkfläche scheint der eigentliche Grund zu sein.“ Warum sollte Vivantes allerdings sein Tafelsilber, eben Grund und Boden, verkaufen?

Im Senat sitzt auch Matthias Kollatz-Ahnen (SPD), zuständig für Finanzen. In dieser Funktion ist eine seiner Aufgaben auch ein Posten im Aufsichtsrat der Vivantes GmbH. Seine Kollegin Katrin Lompscher, Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, erklärte am 12. Dezember, daß die Vivantes GmbH beabsichtige, „nicht betriebsnotwendige Grundstücke zu veräußern, um mit den erzielten Einnahmen einen Teil des am Klinikum Neukölln geplanten Bauvorhabens zu finanzieren“.

Projekt kostet die Stadt 29 Millionen Euro

Aber Vivantes hat auch auf dem Grundstück der Leonorenstraße ein Problem: der Sanierungsrückstau des Gebäudes Haus Leonore. Eine Sanierung des Altenwohnheims mit 220 Bewohnern koste 9,3 Millionen Euro und lohne sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht. Es müßte also ein neues Gebäude auf dem Standort errichtet werden, dann könnten die Bewohner, im fliegenden Wechsel sozusagen, vom alten in das neue Pflegeheim umziehen. Weitere Planungsdetails seien nicht bekannt, sagt die Senatorin.

Da paßt es gut, daß das Land Berlin für den Bau von Asylheimen landeseigene und nicht betriebsnotwendige Grundstücke landeseigener Unternehmen mit einer Größe ab 8.000 Quadratmetern zum Kauf sucht. Eben wie das Teilgrundstück an der Leonorenstraße mit dem Baumbestand. Nach JF-Informationen soll der Kaufpreis des Grundstückes rund sieben Millionen Euro betragen. Das gesamte Projekt inklusive Kaufpreis kostet die Stadt 29 Millionen Euro. Berg, der auch Anrainer ist, hat jetzt Anzeige wegen eines Verstoßes gegen das Naturschutzgesetz erstattet.





Krankenhausbetreiber Vivantes

Unter dem Namen „Vivantes“ sind die ehemals städtischen Kliniken Berlins zusammengefaßt. Alleiniger Gesellschafter ist das Land Berlin. Das Unternehmen wurde am 1. Januar 2001 gegründet. Grund: Einsparungen, 1.700 Stellen sollten abgebaut werden. Kritik gab es damals von Bernd Köppl (Grüne). Er wies, so der Tagesspiegel, auf die hohe Steuerbelastung durch die Übertragung der Grundstücke im Wert von 1,05 Milliarden Euro in die GmbH hin. Köppl befand, diese habe eine „schlechte ökonomische Ausgangssituation“. Dem Aufsichtsrat gehören die Senatoren für Finanzen und Gesundheit an, aktuell Matthias Kollatz-Ahnen und Dilek Kolat (beide SPD). Vergütungen aus der Tätigkeit führen sie an das Land ab. Stellvertretender Direktor der Abteilung Vivantes International Medicine, zuständig für die Betreuung ausländischer Patienten, ist Nizar Maarouf, verheiratet mit Sawsan Chebli, der Ex-Vize-Sprecherin im Auswärtigen Amt, jetzt Bevollmächtigte des Landes Berlin beim Bund. 2015 zählte Vivantes 14.909 Mitarbeiter, neun Krankenhäuser mit 5.600 Betten, 13 Pflegeheime, zwei Seniorenwohnhäuser, ein Hospiz. Umsatz: 1,085 Millionen Euro, operatives Jahresergebnis: 8,5 Millionen Euro.