© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/17 / 10. März 2017

Kirche contra Rechtsstaat
Asyl: Immer mehr Ausreisepflichtige halten sich in kirchlichen Einrichtungen auf, um nicht abgeschoben zu werden / Juristische Grauzone
Peter Möller

Es klingt nach christlichem Heldenmut angesichts despotischer Regime, nach Rettung in letzter Minute vor Folter und Tod: Kirchenasyl. Doch auch im Rechtsstaat Bundesrepublik, der sich wie kaum ein anderes Land der Welt dem Schutz verfolgter Menschen aus aller Welt verschrieben hat, mehrjährige Klagewege durch alle Instanzen inklusive, gibt es dieses Phänomen: Tendenz deutlich steigend.

Nach Angaben der ökumenischen „Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche“ gab es Mitte Februar 315 Fälle von Kirchenasyl mit rund 530 Personen, darunter 141 Kinder (siehe Grafik). 254 der betroffenen ausreisepflichtigen Ausländer sind sogenannte „Dublin-Fälle“ und hätten in dem EU-Staat Asyl beantragen müssen, in den sie zuerst eingereist sind. Zum Vergleich: Im Januar 2015 hatte es lediglich 200 Fälle von Kirchenasyl mit 359 Asylbewerbern gegeben. Angesichts der derzeitigen Rekordzahl von ausreisepflichtigen Asylbewerbern in Deutschland ist die Zahl der Fälle von Kirchenasyl dennoch vergleichsweise gering. 

„Christliche Form  des zivilen Ungehorsams“

Doch die Symbolkraft ist ungemein höher zu bewerten. Vor allem bei Linkspartei, Grünen und SPD stößt Kirchenasyl auf viel Sympathie – bis hin zur romantischen Verklärung. Für die Spitzenkandidatin der Grünen für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt, ist es sogar „eine christliche Form zivilen Ungehorsams, der Respekt verdient“. Dabei ist Asyl in einem Gotteshaus keine christliche Erfindung. Schon im antiken Griechenland waren sakrale Bezirke und Tempel Zufluchtsorte für Fremde, Verbrecher, entlaufene Sklaven und säumige Schuldner. Im Mittelalter entwickelte sich dann in Europa die Tradition des Kirchenasyls. In der Bundesrepublik gewährte 1983 die Heilig-Kreuz-Gemeinde in Berlin-Kreuzberg erstmals Kirchenasyl für Ausländer, die von Rechts wegen abgeschoben werden sollten.

Die Position der Bundesregierung ist indes frei von historischen Reminiszenzen und Schwärmereien, obwohl der Staat das Kirchenasyl grundsätzlich respektiert. „Als Verfassungsminister lehne ich das Kirchenasyl prinzipiell und fundamental ab“, stellte Bundes-innenminister Thomas de Maiziére (CDU) bereits 2015 klar. Und in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag vom Oktober 2016 heißt es unmißverständlich: „Die Tradition des Kirchenasyls wird von der Bundesregierung respektiert. Dennoch ist zu beachten, daß die Gewährung von Asyl in Deutschland allein dem Staat obliegt. Der Staat entscheidet in einem rechtsstaatlichen Verfahren über die Gewährung des Schutzes vor politischer Verfolgung.“

Längst haben sich die Behörden und die Kirchen auf eine Art Stillhalteabkommen verständigt. Die Kirchen stellten Anfang 2015 klar, daß sie sich mit dem Kirchenasyl, das übrigens nicht nur Christen gewährt wird, nicht über staatliches Recht hinwegsetzen wollen und dies nur eine zeitlich begrenzte „Ultima Ratio“ in Einzelfällen sei. Im Gegenzug sicherte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) zu, die Tradition des Kirchenasyls nicht in Frage zu stellen. Gleichzeitig können die Kirchen dem Bamf Fälle von Asylbewerbern im Kirchenasyl zur erneuten Prüfung vorlegen. Nach Angaben des Bamf haben seit Februar 2015 etwa 800 Menschen dieses Verfahren durchlaufen. „Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß durch die erneute Überprüfung der von den Kirchenvertretern vorgetragenen Fälle individuelle Härten vermieden werden können und die Möglichkeit eines Asylverfahrens in Deutschland eröffnet wird“, sagte der Sprecher der katholischen Bischofskonferenz, Mat-thias Kopp, der Tagespost. Aufgrund von Krankheit, Gefahren in der Heimat oder Verwandten in Deutschland, können die meisten „Kirchenasylanten“ am Ende dann doch bleiben.

Ein Grund dafür, warum die Kirchen Asyl in ihren Mauern dennoch relativ sparsam gewähren: Ausländer, die sich im Kirchenasyl befinden, erhalten keine staatlichen Leistungen mehr und werden auch von der Krankenkasse abgemeldet. Das Bamf führt diese Personen in seiner Statistik zumeist in der Rubrik Abgänge unter „Kirchenasyl“. Für alle entstehenden Kosten, also etwas Verpflegung und Unterbringung, muß die jeweilige Gemeinde aufkommen. Meistens werden die Betroffenen übrigens nicht wie im spektakulären Fall von 40 Zigeunern, die Ende 2015 wochenlang den Hamburger Michel besetzt hielten, in Kirchen, sondern in Gemeindehäusern untergebracht.

Und nicht immer bietet das Kirchenasyl Ausländern auch tatsächlich Schutz vor dem Zugriff des Staates. Im August 2016 nahm die Polizei im Kapuzinerkloster Münster einen Asylbewerber aus Ghana fest. Der Mann war zuvor über Ungarn nach Deutschland eingereist und hatte damit gegen das Dublin-Abkommen verstoßen. Wie die Kleine Anfrage der Linksfraktion zu diesem Fall später ergab, hatte die Kirche es versäumt, gegenüber den Behörden eine aussagekräftige Begründung für die Gewährung des Kirchenasyls vorzulegen. Nachdem die Kirche dies nachgeholt hatte, konnte der Ghanaer die Abschiebehaftanstalt wieder verlassen. Dennoch kann dieser Fall durchaus als Warnschuß der Behörden in Richtung der Kirchen verstanden werden, den staatlichen Stellen bei der Gewährung von Asyl auf eigene Faust nicht zu sehr auf der Nase herumzutanzen.