© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/17 / 03. März 2017

Findet Neo!
Kino: Eine Filmdokumentation zeigt und verbirgt den Maler Neo Rauch
Sebastian Hennig

Im Atelier von Neo Rauch werden keine Schwenkarme und Hubwagen von Assistenten bewegt. An der Wand stehen Planschränke aus nachgedunkeltem Kiefernholz. Vormals könnte darin das Baukombinat des Bezirkes Leipzig Lichtpausen von nie realisierten sozialistischen Modernisierungsmaßnahmen aufbewahrt haben.

Aus einem Nebengelaß schiebt sich sperrig eine riesige Leinwand. Sie wird von einem Menschen bewegt, von dem nur die Füße zu sehen sind. Als sie auf das Malpodest gehievt ist, tritt er hinter dem aufgespannten weißen Tuch hervor. Was ist das Schleppen einer drei Meter hohen Leinwand gegen deren Bemalung? Und so sieht es dann auch aus, mehr wie eine Bemalung denn ein Bild. Der Grund wird flächig getönt, ohne daß schon eine Bildanlage erkennbar wäre. Es ist der alte Trick der Salonmaler, einen dunklen Fond mit gemaltem Kram aufzufüllen. Für den Anstrich steigt der Maler auf die farbverkrustete Klappleiter. Dann zeichnet er wie ein Porzellanmaler ein Gesicht in einen hellen Fleck hinein. 

Wir hören die Sammler schwadronieren über das authentische, ganz Deutsche dieser Bilder. Ihre „Neos“ werden zum sakralen Mittelpunkt schauderhafter Räume, in denen sich weder leben noch wohnen läßt. Das spirituelle Elend jener, die darin hausen, wird von Innenarchitektur bemäntelt. Die Gemälde der neuen Leipziger Schule wirken dabei nicht als autarke Malerei. Sie sind bloßer Wandschmuck für Herren ohne Herrlichkeit, Teil inszenierter Kulissen, in denen sich die gegenwärtige Oligarchie bewegt.

Neo Rauch erzeugt mehr ein Lebensgefühl als eine Bildwelt. Das Dunkeldeutsche seiner Malerei träufeln die wohlhabenden Banausen sich als süßes Gift in ihre Drinks. In Los Angeles rätseln drei junge Frauen vor einem Bild: „Da oben ist auch ein bißchen Kommunismus … oder Weltraum?“ Zwei Übergewichtige wissen genau Bescheid, daß alles düster war in Ostdeutschland.

Wo sonst die Filmdokumentationen über Künstler der selektiven Wahrnehmung den Weg weisen, zeigt Nicola Graefs Film „Neo Rauch – Gefährten und Begleiter“ wirklich alles. Der eigentliche Regisseur des Films ist der Maler, dem auch der schöne Titel zuzutrauen ist. Denn Neo Rauch ist ein Meister der Inszenierung und steht damit in einer Tradition deutscher Maler, die von Arnold Böcklin über Emil Nolde bis zu Gerhard Richter reicht. Sie alle rückten den Mythos ihres Maler-Daseins vor die Welt der Bilder, die als Bühnenmalerei ihre Künstlerrolle dekorieren.

Doch das betrifft nur den Werkcharakter, nicht den Marktwert. Der messianisch aufgeladene Kunstmarkt benötigt Reliquien. Gekauft werden Bilder Neo Rauchs, gemeint ist aber immer wieder „Neo“ selbst. Nicht nur die beiden vertrautesten Mitschöpfer des Rauchschen Werks, Galerist Judy Lybke und Ehegattin Rosa Loy, sprechen den Künstler beim Vornamen an. Auch die Sammler, ob nun auf der Amsterdam Road in New York, Seoul oder Vicenza, reden von ihren „Neos“. Allein Neo bleibt stets unsichtbar. Er spricht mit spitzem Mund. Dabei ist er keineswegs kokett oder arrogant geworden, wie jene Duodezfürsten der Malerei, die Immendorff, Lüpertz, Baselitz und Richter. Doch jene Gelassenheit ist weg, die er noch zu Beginn der Karriere ausstrahlte. Der bitter-spöttische Zug um die Lippen steigert sich bei der Ausstellungsvorbereitung und -eröffnung in der Galerie Zwirner in New York so unwillkürlich wie unverhohlen zum Widerwillen. Wir beobachten ihn, wie er ein unterdrücktes Lachen zurückdrängt und murmelt: Was mache ich hier eigentlich? Von der Kamera erfaßt, bedient er sich blumiger Metaphern von neuen Pfaden, die er durch seine inneren Wälder schlägt, um dem Wiederholungsekel zu entrinnen, der ihn befällt beim Begehen alter Schneisen. Er gesteht Momente von Zaghaftigkeit. 

Die Moderne mag sich im Zeitalter angeblicher Reproduzierbarkeit die genuinen Mängel heutiger Kunstausübung schönreden. Das große mehrfigurige Personenbild bleibt eine unbewältigte Aufgabe, an der sich schon andere die Zähne ausgebissen haben. Dann wird das Unvermögen zu integrativer Bildschöpfung gern als Absicht verpackt. Das Fragmentierte der Bildgestalten, deren Aneinander-vorbei-Agieren, rechtfertigt auch Neo Rauch als gewollt versonnen, introspektiv und somnambul. Das versuche er beizubehalten, damit es keinen verschwitzten Realismus gäbe.

Hier schmäht ein Fuchs die hoch hängenden Trauben als sauer. Denn der Maler hat einiges schon in den Griff bekommen, oder er versteckt seine überlebensgroße Achillesferse inzwischen besser. Frau Rosa Loy kommt da große Lenkungsmacht zu. So besteht die bedeutendste Eröffnung des Films darin, daß Neo Rauch eigentlich kein Einzelkünstler ist, sondern ein Triumvirat aus Neo Rauch, Gerd Harry Lybke und Rosa Loy. Damit er in Ruhe malen kann, haben die beiden anderen festgelegt, wie das Endergebnis in etwa auszusehen hat. Die Gattin spart nicht mit ganz konkreten Hinweisen, denen der schöne Mann mit einem liebenswürdig-gequälten Lächeln zustimmt.