© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Das Janusgesicht einer Energie-Supermacht
Die USA sind Vorreiter bei der grünen Energiewende, aber auch Weltmeister bei den frackingbedingten und zugleich klimaschädlichen Methan-Emissionen
Christoph Keller


Nicht erst seit Donald Trump ins Weiße Haus eingezogen ist, dominieren Klischees und „Fake News“ die Wahrnehmung von „God’s Own Country“. Die USA sind zwar laut Internationaler Energieagentur (IEA) mit 4.166 Milliarden Kilowattstunden (kWh) nach China der weltgrößte Stromkonsument. Aber mit einem jährlichen Gesamtverbrauch pro Einwohner von etwa 12.900 kWh (2015) liegen die verschwenderischen US-Bürger klar hinter den weltoffenen Kanadiern (15.900 kWh) oder den finanzkrisengeschüttelten Isländern (55.350 kWh).


Viermal mehr erneuerbare Energie als in Deutschland


Die rein politisch bedingten hohen Strompreise und die Abwanderung energieintensiver Produktion haben den deutschen Pro-Kopf-Verbrauch auf 6.910 kWh abgesenkt. Beim Anteil der Stromerzeugung aus Kohle, Öl und Gas lagen Deutschland (63,3 Prozent) und die USA (66,4 Prozent) 2016 nicht weit auseinander. Und bei der Stromerzeugung aus Biogas, Erdwärme, Sonne Wind und Wasserkraft waren die USA mit 526.301 Gigawattstunden (GWh/Januar bis November 2016) Angela Merkels Energiewendeland (133.434 GWh) um das Vierfache überlegen.


Weitere Fakten liefert der auf Geo-Fernerkundung und erneuerbare Energien spezialisierte Bochumer Geograph Andreas Redecker am Beispiel Kaliforniens (Geographische Rundschau 12/16). Denn der mit 423.970 Quadratkilometern nach Alaska und Texas drittgrößte US-Bundesstaat, und mit 39,3 Millionen Einwohnern auf dem Niveau einer Mittelmacht (JF 47/16), nimmt bei der alternativen Energiegewinnung eine Vorreiterrolle ein. Wobei die „enorme Lagegunst“ des sonnenverwöhnten „Golden State“ wesentlich früher als in Europa dazu einlud, sich von Kohle und Öl sukzessive zu verabschieden.


Erste Solaranlagen, die Elektrizität in größerem Umfang ins Netz einspeisten, entstanden bereits in der Reagan-Ära in der Mojave-Wüste. Zwischen 1984 und 1990 bildete sich dort an drei Standorten ein Solarkraftwerksverbund, der heute, erweitert und modernisiert, aus 936.000 Kollektoren auf einer Fläche von 650 Hektar besteht. 2014 kamen zwei weitere Anlagen mit zusammen 500 Megawatt (MW) Kapazität hinzu. Im gleichen Jahr ging im Osten Kaliforniens, nahe der Grenze zu Nevada, im Ivanpah Valley das mit 173.000 Heliostaten (Spiegeln) „weltweit größte Solarturmkraftwerk“ ans Netz, eine gigantische Anlage mit einer Leistung von 377 MW.


Im selben Tempo wie Solarthermie schreitet seit 2000 der Ausbau der Photovoltaik voran. Der setzte – nach der Deregulierung der Energieversorger und dank staatlicher Förderprogramme – beinahe goldrauschartig ein. 2007 verfügte Kailfornien bereits über 70 Prozent aller netzgekoppelten Photovoltaikkapazität in den USA. Neue, bis 2014 installierte Kraftwerke steigerten dann 2015 die Produktionskapazität auf zehn Gigawatt (GW). Nicht weniger imponierend sind für den Akademischer Oberrat am Geographischen Institut der Ruhr-Uni Bochum die Windkraft-Anstrengungen.


Der Pazifikstaat verfüge über ein „gewaltiges Land-Seewind-System“ für die Energiegewinnung. Die enorme Lufterwärmung in den Wüstengebieten sauge die Massen kühlerer Luft vom Pazifischen Ozean geradezu an. So entstünden „Düseneffekte“, die Einschnitte in den Gebirgen der Küstenregionen noch verstärken, was optimal hohe Windgeschwindigkeiten zur Folge hat. Auch Windfarmen entstanden darum vor drei Jahrzehnten. Seit der Jahrtausendwende expandiert der Windsektor stetig: Lag die Erzeugungskapazität 2001 noch bei 1,5 GW, verdoppelte sie sich allmählich bis 2010 auf 3,1 GW und stieg dann bis 2015 deutlich schneller auf knapp 6,3 GW. Für Redecker besteht kein Zweifel: „Die Energiewende in Kalifornien ist in vollem Gange“. Der Anteil an Kraftwerkapazitäten wachse beständig und der demokratisch regierte Sonnenstaat baue damit – angetrieben durch bundesstaatliche Steuervergünstigungen – seine nationale Führungsposition aus.


Fracking-Erdgas viel klimaschädlicher als Kohle


Redecker vergißt aber auch nicht die Schattenseiten: Solarthermische Kraftwerke und Windfarmen ließen sich zwar klima-, aber nicht umweltneutral betreiben. Die Anlagen fressen den Lebensraum von Tieren und Pflanzen. Vögel kollidieren mit den Heliostaten oder verbrennen im konzentrierten Lichtstrom. Verglichen mit den negativen ökologischen Auswirkungen, die der Wissenschaftsjournalist Michael Odenwald aus dem Fracking-Eldorado USA meldet (Natur, 12/16), handelt es sich in Kalifornien aber eher um Luxusprobleme.


Mit den unvorstellbaren Mengen an Methan, die beim Fracking, einer umstrittenen Methode, Schieferöl und Schiefergas mit einem Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien aus tiefen Gesteinsschichten zu pressen (JF 7/16), freigesetzt wird, sei dies alles andere als die perfekte Ergänzung zur grünen Energiewende nach kalifornischem Muster. Fracking-Lobbyisten argumentieren, seit 2010 seien in den USA 236 Kohlekraftwerke stillgelegt und durch klimaverträglichere Gaskraftwerke ersetzt worden. Richtig daran ist aber nur, daß nach dem Umstieg von Kohle auf Gas die statistischen CO2-Emissionen zwischen 2005 und 2015 um zwölf Prozent sanken. Verschwiegen wird indes, daß die USA aber vom Regen in die Traufe gekommen sind: Aus den Gas-Bohrfeldern strömt massenhaft Methan (CH4), ein Gas mit erheblich höherem Treibhauspotential als Kohlendioxid. Ein Kilo CH4, rechnet Odenwald vor, trage in den ersten hundert Jahren nach seiner Freisetzung 25mal so stark zur Erderwärmung bei wie ein Kilo CO2.


Aus Lüftungen der Bohrlöcher sowie aus Lecks in Tanks und Leitungen allein auf den riesigen Ölfeldern der Frackingbranche in North Dakota und Montana entweichen jährlich 275.000 Tonnen CH4. Hinzu kommen, vom Umweltverband Enviromental Defense Fund auf einem Bohrfeld in Pennsylvania nachgewiesen, 250.000 Tonnen Äthan (C2H6), ebenfalls ein Treibhausgas. Schiefergas tauge darum nicht als Brücke von fossiler zu erneuerbarer Energie, da es „unterm Strich“ klimaschädlicher als – die von Trump-Wählern in West Virginia zurückgesehnte – Kohle ist.


Erst in den letzten Monaten der Obama-Präsidentschaft habe man das sich anbahnende Desaster anerkannt und einen Plan zur Methanreduktion bis 2025 vorgelegt. Was Umweltschützern nicht ausreicht, da dieser der „ruchlosen Industrie“ zu viele Schlupflöcher öffne. Wie es unter Trump weitergeht, ist ungewiß. Ebensowenig ist abzusehen, ob der Widerstand im clintonbegeisterten Ostküstenstaat Maryland, Schule macht. Dort votierte der Rat des Kreises Prince George’s County im Frühjahr 2016 einstimmig für ein Fracking-Verbot, das sich vielleicht im Oktober 2017, wenn ein seit 2015 geltendes Moratorium ausläuft, auf den ganzen Bundesstaat ausdehnen ließe – wenn der republikanische Gouverneur Larry Hogan mitmacht.




Themenheft „Westen der USA“ der Geographischen Rundschau (12/16): www.geographischerundschau.de World Energy Statistics 2016:  www.iea.org/statistics/