© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Wertvolle Handschriften in Krakau
Neusprech: Aus Deutschland geraubte Kunstschätze heißen jetzt „verlagerte Kulturgüter“, die anderswo verwahrt werden
Martina Meckelein


Nach Paragraph 249 des Strafgesetzbuches handelt es sich um Raub, wenn jemand einem anderen mit Gewalt oder Drohungen eine Sache wegnimmt, um sie sich selbst oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen. Die Beute geht nicht in das Eigentum des Räubers über, gutgläubiger Erwerb ist unmöglich. Bei Beutekunst, die aus Deutschland stammt, sieht das allerdings etwas anders aus. Die Bundesregierung vermutet allein in Rußland noch über eine Million deutsche Kunstgegenstände, 200.000 von besonderer musealer Bedeutung, 3,6 Millionen Bücher von drei Regalkilometern Länge.


„Die Gespräche gestalten sich wegen unterschiedlicher Standpunkte schwierig“, heißt es auf der Internetseite der Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Das mag auch daran liegen, daß die Formulierungen der Räuber von deutschen Politikern und Kulturschaffenden übernommen werden.


Beeinflussung von Denken und Handeln


So hielt die taz vor zehn Jahren es für wichtig, unter der Überschrift „Wir haben den Deutschen nichts gestohlen“ ein Interview mit Professor Wojciech Kowalski zu veröffentlichen, der die polnische Seite bei den Verhandlungen mit Deutschland über die Rückgabe von Kulturgütern vertrat. Auf deutscher Seite verhandelte der Jurist und Diplomat Tono Eitel. „Im Gespräch mit der FAZ nannte Eitel die Beethoven-Partituren und die Goethe-Briefe, die seit 1945 in der Krakauer Jagiellonischen Bibliothek liegen, ‘die letzten deutschen Kriegsgefangenen’“, erklärte der taz-Journalist. Kowalski antwortete: „Das Wort ‘Kriegsgefangener’ zwingt uns Denkkategorien einer vergangenen Epoche auf. Heute aber muß niemand mehr befreit werden. Auch die ‘Berlinka’ nicht, wie wir die kriegsbedingt verlagerten Sammlungen der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin nennen.“


Orwellsches Neusprech, oder, um es etwas moderner zu formulieren: Framing, also die Beeinflussung unseres Denkens und Handelns durch wiederkehrende Formulierungen und sprachliche Prozesse – die Methode scheint zu verfangen. Ein Beispiel dieser Übernahme von Begrifflichkeiten liefert die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), die von sich selbst schreibt, daß sie „gute fachliche Kontakte zu den polnischen Kultureinrichtungen, die verlagerte Kulturgüter verwahren“, pflege.


Streit mit Polen um Rückgabe von Beutekunst


Bei den aus der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek, heute Staatsbibliothek zu Berlin, verlagerten und verwahrten Kulturgütern handelt es sich speziell um die Sammlung Autographa. Sie wurde, wie viele weitere Sammlungen, es gab rund 30 Auslagerungsorte, ab 1941 gegen Kriegsschäden erst ins Schloß Fürstenstein in Schlesien, dann 1944 in das Kloster Grüssau transportiert, 505 Kisten. Erst Ende der siebziger Jahre wurde bekannt, daß der Grüssauer Teil der Sammlung nach Kriegsende in die Universitätsbibliothek Krakau gebracht wurde.


Von der Sammlung Autographa, also eigenhändigen Niederschriften, sind rund fünf Prozent verlorengegangen. 210.000 Autographe liegen heute in Krakau. Über sieben Millionen Euro, die der Bund dieses Jahr der Staatsbibliothek zu Berlin zur Verfügung stellt, werden für Neuerwerbungen ausgegeben.


Zuvor erstellten schon in einem dreijährigen gemeinsamen Projekt deutsche und polnische Fachleute einen Katalog der Sammlung Autographa, umfangreich finanziell gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und ab Oktober 2015 von der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien. Ein Teil davon wurde für die Digitalisierung der Autographen verwendet, um Wissenschaftlern sowie der Öffentlichkeit einen digitalisierten Zugang zu den zerrissenen Beständen zu ermöglichen. Auf der Jahrespressekonferenz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (JF 8/17) sagte Barbara Schneider-Kempf, die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin: „Die Kollegen in Krakau haben uns in idealer Weise unterstützt. Ich bin versucht, nein, ich sage es, es ist eine kollegiale, freundschaftliche Atmosphäre gewesen, die dieses Projekt getragen hat und die zu diesem Ergebnis geführt hat.“
Die Bemühungen um die Rückgabe von Kulturgütern scheinen etwas einseitig. So berichtete diese Zeitung schon vor zehn Jahren, im Streit mit Polen um sogenannte Beutekunst habe die damalige polnische Außenministerin Rückgabeforderungen aus Deutschland „erneut scharf zurückgewiesen“. Die Kunstschätze seien nicht von Polen geraubt worden, erklärte sie der Zeitung Gazeta Wyborcza, „sondern von Nazis auf der Flucht zurückgelassen worden. Internationalem Recht entsprechend gehören sie Polen“ (JF 36/07).


Mit der Zeit scheint auch die Bundesregierung vor den polnischen Forderungen einzuknicken. In ihrem 19. Bericht vom 11. März 2016 zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik ist von Beutekunstrückgabe nichts mehr zu lesen. Das war im 18. Bericht vom 29. Mai 2015 noch anders: Immerhin zwei Gemälde („Die drei Marien am Grabe Christi“ von Antonio Campi und „Aschermittwochmorgen“ von Adolph
Menzel) kehrten aus Litauen nach Deutschland zurück. Aus Georgien sollten 60.000 Bücher kommen. Aus Polen? Nichts! Im Gegenteil.


Im März 2014 übergab Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier das aus dem Warschauer Nationalmuseum stammende Gemälde „Die Palasttreppe“ von Francesco Guardi an seinen damaligen polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski, und im November 2014 erhielt die polnische Nationalbibliothek eine spätmittelalterliche Handschrift zurück. Polens seinerzeitige Kulturministerin Malgorzata Omilanowska kommentierte den Vorgang, bei der Rückgabe von Beutekunst sei es zu „beträchtlichen Fortschritten“ zwischen Deutschland und Polen gekommen. „Das ist nicht das Ende der Rückgabe von Kulturgütern“, betonte sie.
Im Fall der deutschen Autographen-Sammlung herrscht bis heute Stillstand.