© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Bruchstücke der Schönheit
Hitlers Hollywood: Das deutsche Kino im Zeitalter der Propaganda 1933–1945
Sebastian Hennig


Der Humorist Max Goldt wagte einmal sinngemäß zu bemerken, auch in Hitlers Deutschland sei zwölfmal Spargelzeit gewesen. Rüdiger Suchslands Dokumentation „Hitlers Hollywood“ beginnt mit der kühnen Feststellung, die während der NS-Zeit produzierten Filme wären besser als ihr Ruf. „Wir kennen diese Filme zuwenig. Aber es gibt keinen Grund wegzuschauen.“


Wer nun jedoch erwartet, endlich einmal etwas über die erstaunliche Kontinuität der deutschen Filmavantgarde zu erfahren, der wird bitter enttäuscht. Vom verheißenen Wagnis bleiben zuletzt nur einige Bruchstücke der Schönheit, die über die Leinwand flimmern dürfen. Die Kommentare dazu unterscheiden sich wenig von dem, was Erwin Leiser 1993 in „Die Ufa – Mythos und Wirklichkeit“ seinem Publikum an platter Bevormundung zumutete.
Es fällt wieder kein Wort darüber, daß ein Ausnahmekünstler wie Veit Harlan, mit Fritz Kortner befreundet und später von Emil Jannings protegiert, einerseits bereits in frühen Stummfilmen spielte und später die wesentlichen Akzente zur ästhetischen Ausprägung sowohl des Ton- wie des Farbfilms setzte. Als das amerikanische Movie noch brüllte, johlte und krachte, hat er mit „Kreutzersonate“ (1937) zum ersten Mal eine fein abgestimmte Gesprächsdramaturgie eingeführt.


Während Kollegen im In- und Ausland relativ hilflos zufällig bunte Szenerien zu belichten begannen, hat er als erster wirkliche Farbfilme gestaltet. Mit „Immensee“ (1943) und „Opfergang“ (1944) sind zwei hervorragende Beispiele im September letzten Jahres von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in restaurierter Form auf DVD veröffentlicht worden. In dieser suggestiven Kraft wurde im Spielfilm erst über zwanzig Jahre später Farbe als autonomes Gestaltungsmittel wieder eingesetzt durch Michelangelo Antonioni in „Il deserto rosso“ (1964) und Jean-Luc Godard in „Une femme est une femme“ (1961) getan wurde. Letzterer verstieg sich 1990 bis zu der Behauptung: „Der deutsche Film der großen Ufa-Zeit ist der einzige, der gegen Hollywood gekämpft hat (…) Nach dem Krieg ist das zusammengebrochen, aber der deutsche Film hat sich wirklich europäisch gegeben. Und er war der einzige, der beinahe die Mittel dazu gehabt hatte.“


Kaum etwas davon läßt Suchsland erahnen, es könnte ja an Verharmlosung oder Verherrlichung grenzen. Rüdiger Suchsland offenbart sich darin als ein Kinogänger mit sehr antiquierten Ansichten, die er immer wieder eifrig vor den offenbaren Augenschein rückt. Es wird der Anschein erweckt, als hätte sich der deutsche Film in einer laufenden Nacheiferung Hollywoods überhastet. In Peter Pewas „Der verzauberte Tag“ oder Ilse Werners rätselhaftem Charme, sieht er keine Höhepunkte, sondern unerklärliche Ausnahmen. „Man muß hier nicht gleich von Neorealismus sprechen aber es ist ein anderer Realismus“. Veit Harlans „Opfergang“ wird mit „Vertigo“ von Hitchcock verglichen. „Die Frau meiner Träume“ ist „ein Film wie auf LSD“. Horror- und Fantasyfilm gab es deswegen nicht, weil sie zu nahe an der Wirklichkeit gewesen seien.


Mit dem gleichen Recht wie von Hitlers Hollywood ließe sich von Louis B. Mayers, Samuel Goldwyns und Irving Thalbergs Babelsberg sprechen. William Fox kaufte sich 1928 Friedrich Wilhelm Murnau ein, und Hitchcock sammelte seine frühen filmtechnischen Erfahrungen in Deutschland.


Immerhin findet die Mutation von Detlef Sierck zu Douglas Sirk Erwähnung. Er drehte mit Jane Wyman und Rock Hudson keine anderen Geschichten als zuvor mit Ferdinand Marian und Zarah Leander. Nicht allein die Leander und die Söderbaum fanden den Weg aus Schweden ins Deutsche Reich. Der 23jährigen Ingrid Bergman wurde erste Beachtung in „Die vier Gesellen“ (1938) zuteil. Daß sie vier Jahre später in „Casablanca“ eine Antifaschistin spielt, wird uns erklärt: „Auch das eine Art von Sühne.“ Über Harlan werden wir belehrt, daß kein zweiter Filmemacher auf so hohem Niveau derart perfide Filme gemacht hätte. Kristina Söderbaums Darstellung der Unschuld hätten wir als „perfekte Verkörperung der braunen Perversion“ zu verstehen.


Der erste Ausschnitt von „Hitlers Hollywood“ zeigt Rühmann und Albers in der Badewanne als Sherlock Holmes und Dr. Watson. Dazu singen sie: „Und wer uns stört, ist eh’ er’s noch begreift längst von uns schon eingeseift.“ Das Ufa-Potpourri endet dann mit Irene von Meyendorffs Bemerkung als Königin Luise von Preußen, es wären nicht allzu viele Edelsteine am Diadem Preußens und Kolberg sei einer davon. Gegen den Glanz solcher Edelsteine funktioniert Rüdiger Suchslands braune Brille unbestechlich.


Doch was Cineasten und Regisseure wie Godard, Antonioni, Fassbinder, Syberberg und zuletzt Dominik Graf festgestellt haben, wird bei jedem künftigen Kontrollgang ideologischer Instrukteure seines Schlages deutlicher hervortreten. Die ästhetischen Qualitäten dieser Werke, ihre kühne Bilddramaturgie, werden immer stärker die historischen Bedingungen der Entstehung überstrahlen.





Foto: Schauspielerin Irene von Meyendorff, dazwischen Paul Kemp und Oskar Sima: Ästhetische Ausprägung,Ilse Werner in dem Film „Große Freiheit Nr. 7“ (1944),
Kinostart: 23. Februar, http://hitlershollywood.de