© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Pankraz, W. Churchill und das künstliche Fleisch

Endlich mal ein interessanter Artikel im Spiegel, ohne allen Trump-Bezug. Eingeleitet wird das Stück nicht mit einem Spruch des gegenwärtigen US-Präsidenten,  sondern mit einem Zitat des historischen britischen Premiers Winston Churchill aus dem Jahr 1931:  „Es ist absurd, ein ganzes Huhn aufzuziehen, nur um seine Brust oder seine Flügel zu essen; laßt uns diese Teile einzeln züchten, in einem geeigneten Medium.“


Der Artikel ist dann noch radikaler, als das Zitat vermuten läßt. Es geht nicht nur um die Abschaffung des Huhns, sondern um die Abschaffung des Fleisches als Nahrungsmittel überhaupt. Freilich brauchen wir deshalb nicht allesamt zu überzeugten Vegetariern oder gar Veganern zu werden, der Geschmack, der Anblick und der Duft appetitlicher Fleischgerichte soll uns durchaus erhalten bleiben, nur eben – es werden durch und durch künstliche Gerichte sein, die nichts mehr mit Tieren zu tun haben, bloße Produkte aus biochemischen Laboratorien und Fabriken.


An vielen Orten in der Welt, erfährt der Leser, sind fleißige Naturforscher unterwegs, die mit größter Intensität an dem Projekt „Künstliches Fleisch“ arbeiten. Und das sei, wird einem versichert, nicht nur ein Projekt für Tierfreunde und Ästheten, denen die blutigen Schlachthausrituale auf die Nerven gehen, vielmehr handele es sich buchstäblich um ein Projekt zur Rettung der Menschheit. Der Konsum von Tierfleisch habe mittlerweile ein derartiges Ausmaß erreicht, daß bereits heute alle zivilisatorisch-humanen Begrenzungen und Rücksichtnahmen zunichte gemacht würden.

Für die nahe Zukunft seien die Perspektiven geradezu katastrophal. Überall in der sogenannten Dritten Welt, speziell in den „Schwellenländern“, würden zur Deckung des globalen Fleischbedarfs gewaltige Rinderherden herangezüchtet, die mit ihrem „Rülpsen und Furzen“ das gefährliche Treibhausgas Methan (CH4) freisetzten. Außerdem würden der Rinder wegen immer mehr Wälder zerstört („brandgerodet“), um Freßweiden zu gewinnen. Gierige voll technisierte Nahrungsmittelkonzerne witterten ein fettes Geschäft und würden immer mehr kleine Landwirte brutal von ihren angestammten Grundstücken vertreiben.


Ordentlich angst kann einem bei der Lektüre solcher Stellen werden. Noch mehr Angst allerdings überfällt Pankraz beim Anhören dessen, was die neuen,  „streng wissenschaftlichen“ Firmen zur Herstellung „künstlichen Fleisches“ von sich geben, etwa „Impossible Foods“ aus dem kalifornischen Redwood City bei San Francisco. In deren Verlautbarungen drückt sich völlig ungeniert eine derart intensive Vermischung von Anmaßung und Dummheit aus, daß man beinahe nach dem Psychiater rufen möchte.


Pat Brown, ihr Chef, verkündet laut Spiegel mundfrisch: „Tiere sind im Prinzip Biofabriken, die Pflanzen in Fleisch und Milchprodukte umwandeln“; sie seien dabei aber „sehr ineffizient“. Er hingegen, Brown, und seine Fabrik, seien darangegangen, die „natürliche“ Ernährungstechnologie der Tiere durch eine neue, direkt aus dem Wesen der Technik stammende Technologie zu ersetzen. Schon habe man einen künstlichen Hamburger produziert und lasse ihn in umliegenden Gaststätten testen. „Wir haben vor, das gesamte Hackfleisch der Welt auf diese Weise zu produzieren.“


Gewisse Schwierigkeiten machen offenbar – nicht nur bei  „Impossible Foods“, sondern auch bei anderen einschlägigen Firmen – zur Zeit noch die Test-Esser. Es schmeckt ihnen nicht so richtig. „Zu wenig saftig“, heißt es, „nicht optimal zu verdauen“. Ein Freund, dem Pankraz das pompöse Zitat von Brown zeigte, meinte spontan: „Lieber am Klimawandel sterben, als mit dem seinem Hackfleisch überleben.“ Das traf wohl ins Schwarze. Wer dem Leben auch nur einigermaßen zugetan ist, der weiß, daß nicht nur der Tod, sondern auch das tagtägliche Töten unabwendbar dazugehört.

Was die Veganer verdrängen, ist der Umstand, daß auch die Pflanzen Lebewesen sind, sogar hochkomplexe und sehr empfindliche. „Wenn Pflanzen schreien könnten“, seufzte einst schon Theodor Fechner, „die Welt wäre voll vom Geschrei  der Pflanzen, die gerade bei lebendigem Leib gefressen werden.“ Das Leben selbst ist ein Ineinander von Fressen und Gefressenwerden. Die kalifornischen Firmen zur Herstellung von „künstlichem Fleisch“ ändern daran nichts, sie tragen lediglich zur existentiellen Verlogenheit und zur Verwirrung der Gefühle bei.


Schon der eingangs zitierte Churchill-Spruch von der angeblichen Absurdität der Haltung von „ganzen“ Hühnern, wenn man doch nur ihre Brüste und Flügel fressen möchte, weist in die falsche Richtung. Denn lebendige Wesen sind weder Schränke zur Aufbewahrung eßbarer oder sonstwie nützlicher Einzelteile noch komplette, wenn auch ineffiziente Biofabriken. Leben heißt Gestaltwerdung. Jeder Naturfreund oder nachhaltige Landwirt weiß das – und wird grundsätzlich nicht zögern, bei Bedarf eines seiner  Kälbchen oder Schweinchen zu schlachten, auch und gerade wenn er es mochte und sich an seiner Gestalt erfreute.


Es geht heute nicht ums Fleischessen, vielmehr wäre wieder einmal an das Lebenscredo des legendären Tierfreunds (und Wiener-Schnitzel-Freunds) Bernhard Grizmek zu erinnern, welches lautete: „Es gibt zu viele Menschen auf der Welt.“ Sieben Milliarden, demnächst zehn Milliarden Menschen, und jeder einzelne immer noch auf Vermehrung und bequemes, wenigstens erträgliches Überleben aus – das ist eben zuviel für unser Ökosystem. Die alten, an sich hoch achtbaren Bibelsprüche – „Seid fruchtbar und mehret euch! Macht euch die Erde untertan!“ – sie gelten nicht mehr, sie erzeugen nur noch Unheil.


Die einzig aussichtsreiche Bekämpfung von Weltarmut, Klimakatastrophe, Landschaftsverwüstung usw. liegt heute in der konsequenten und energisch organisierten quantitativen Beschränkung der Menschenvermehrung. Es geht nicht um lebendiges kontra künstliches Fleisch. Es geht um die pure, grausame Quantität.