© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Blutiger Kampf gegen die Drogenmafia
Philippinen: Seit der neue Staatspräsident Rodrigo Duterte zu einem Krieg gegen die Drogenkriminalität aufgerufen hat, zeigt sich das Land gespalten
Hinrich Rohbohm, Manila


Mühsam schiebt sich der Einsatzwagen der Manila Police durch den Feierabendverkehr. Eingekeilt zwischen Dutzenden Bussen (Jeepneys) helfen auch Blaulicht und Sirenengeheul nicht wirklich weiter. „Schon wieder einer“, sagt Ranidel mit Blick auf das Polizeifahrzeug. Der alte Mann zählt zu jenen Tausenden Obdachlosen in der vollkommen übervölkerten philippinischen Metropole, die sich in dem aufgrund seiner hohen Kriminalität berüchtigten Stadtteil Ermita auf der Straße durchs Leben schlagen.


Auf die Polizei ist er in letzter Zeit nicht gut zu sprechen. „Das Leben auf der Straße ist nie ganz ungefährlich. Aber jetzt habe ich wirklich Angst.“ Seit der neue philippinische Staatspräsident Rodrigo Duterte zu einem Krieg gegen die Drogenkriminalität aufgerufen hat, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.


„Duterte ist ein Großmaul, aber er erzielt Erfolge“


„Dagegen habe ich nichts, ganz im Gegenteil“, meint Ranidel. Denn eigentlich fühle auch er sich sicherer ohne die zahlreichen Junkies, die selbst ihm in der Nacht, das wenige Hab und Gut zu entwenden versuchen, das er neben seiner roten Thermosflasche in Müllsäcken, Plastiküten, Pappkisten und einen alten, schwarzbraunen Rucksack mit sich schleppt. „Nein“, sagt er kopfschüttelnd, und sein Gesichtsausdruck verfinstert sich zunehmend. „Was mir Sorgen macht, ist die Willkür der Polizisten.“


Denn um den Kampf gegen die Drogenmafia erfolgreich zu gestalten, hat Duterte den Einsatzkräften volle Rückendeckung zugesichert. Seitdem vergeht keine Nacht, in der es nicht neue Tote gibt. Drogendealer, Junkies, aber auch Obdachlose, die Polizisten fälschlicherweise für Abhängige hielten. Sie werden einfach erschossen. Keine Inhaftierung, keine Anklage, kein Gerichtsverfahren. In Manila ist die Waffe zum Richter geworden.
„Jedesmal wenn ich Schüsse schon aus der Entfernung höre, zucke ich zusammen. Ich habe dann Angst einzuschlafen, weil ich befürchten muß, vielleicht auch abgeknallt zu werden.“


Der alte Mann ist mal wieder auf der Suche nach einem neuen Schlafplatz. Arbeit gibt es für ihn in Manila kaum – und eine Unterkunft erst recht nicht. Von seinem letzten Schlafplatz hat ihn eine Polizeistreife vertrieben. „Das ist früher auch schon vorgekommen. Aber jetzt werde ich dazu noch getreten und geschlagen“, erzählt er.


Daß die als äußerst korrupt geltende Polizei Manilas Dutertes Freibrief auch zu Willkür nutzt und teilweise sogar selbst Drogengeschäfte betreibt, ist inzwischen auch beim Staatsoberhaupt angekommen. „Verkommen bis auf die Knochen“ sei die Polizei, so die neuen Töne des Präsidenten, der nun Soldaten für seinen Drogenkampf zum Einsatz bringen will.


Doch die Sache hat noch eine andere Seite, wie Rosalyn, eine 29 Jahre alte Versicherungsangestellte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT erzählt. Ihr Mann ist selbst Polizist, auch bei Anti-Drogen-Einsätzen dabei. „Ich merke, wie er innerlich mit sich kämpft. Bei den Einsätzen sterben nicht nur Dealer sondern auch Polizisten. Ihr in Europa seid mit moralischen Urteilen immer sehr schnell. Aber in Manila gelten die Maßstäbe Europas nicht. Die Dealer eröffnen ohne Warnung das Feuer.“


Wenn die Polizisten dann nicht mit aller Entschlossenheit zurückschießen würden, hätten sie im Kampf gegen die Kriminalität keine Chance. Auf den Hinweis, daß in Deutschland erst Warnschüsse abgegeben werden, muß Rosalyn bitter lachen. „Machst du das hier, pusten sie dich weg“, entgegnet sie trocken.


Auch sie habe im Juni vorigen Jahres Duterte gewählt. Obwohl sie sein Auftreten in der Öffentlichkeit für „peinlich“ hält. „Er ist ein Großmaul und hat kein Benehmen.“ Aber: „Er hat der Drogenmafia am entschiedensten den Kampf angesagt und als Bürgermeister von Davao City bereits große Erfolge mit seiner Politik erzielt.“


Vier Millionen Filipinos abhängig von Crystal Meth


Tatsächlich gilt die südphilippinische Stadt auf der Insel Mindanao inzwischen als die sicherste des Landes. Schon dort setzte der heutige Staatschef Todesschwadronen auf die Drogendealer an, um sie für immer auszuschalten. Und auch in Manila sind die Veränderungen spürbar. „Nachts kann man jetzt mit einem deutlich besseren Gefühl durch die Straßen gehen“, meint Rosalyn, auch wenn sie einräumt, daß die Kriminalität längst noch nicht verschwunden sei. Polizeifahrzeuge patrouillieren ständig durch die Straßen. Vor Geschäften sind Wachleute mit Pumpguns in der Hand postiert.


Seit Jahrzehnten gelten die Philippinen als Umschlagplatz für japanische und chinesische Drogensyndikate. Vor allem „Schabu“, eine Billigversion von Crystal Meth ist in dem Inselstaat weit verbreitet. Allein vier Millionen Filipinos sollen von ihr abhängig sein. Vor allem der ärmeren Bevölkerung verheißt die Droge, Hunger, Schmerz und Sorgen zu vergessen. Doch die Abhängigkeit von dem Stoff kommt schnell. Was folgt, ist der Einstieg in die Beschaffungskriminalität.


Daß Duterte die Wahl für sich entscheiden konnte, hängt aber auch mit dem Unmut der Menschen über die zahlreichen Verwicklungen von Poltik, Verwaltung und Justiz in das Drogengeschäft zusammen. „Die Leute wollen endlich spürbare Ergebnisse sehen“, erklärt Rosalyn den Grund für die radikale Wahl, die aber auch Nachteile mit sich gebracht habe. „Zwar heißt es, viele chinesische Syndikatsbosse haben sich inzwischen ins Ausland abgesetzt. Aber leider verlassen auch amerikanische Unternehmer unser Land.“


Dutertes Antiamerikanismus hat wirtschaftliche Folgen


Grund dafür sei Dutertes offen zur Schau getragener Antiamerikanismus, der inzwischen auch auf das Volk überzugehen scheint. Barack Obama bezeichnete der 71jährige öffentlich als „Hurensohn“.
Zudem fordert er den Abzug aller amerikanischen Truppen aus dem geostrategisch bedeutsamen Land. Bei einem Staatsbesuch in Peking hatte er die Trennung von den USA und eine Partnerschaft mit China und Rußland angekündigt, deren „ideologischer Strömung“ er sich anschließen wolle.


Bisher ist noch unklar, ob Duterte mit diesem Kurs eine vollkommen neue Außenpolitik einleiten will oder ob es sich vielmehr um eine medienträchtige Retourkutsche handelt, weil insbesondere die USA seine Morde billigende Antidrogenpolitik heftig kritisiert hatten. „Ich hoffe natürlich, daß sich die Beziehungen unseres Landes zu den Vereinigten Staaten von Amerika  wieder normalisieren. Denn je mehr amerikanische Geschäftsleute gehen, desto mehr Arbeitsplätze gehen doch verloren“, meint Rosalyn. Und: „Mit Arbeitslosigkeit beginnt ja auch oft der Drogenkonsum.“



Fotos: Drogenaufklärung für Polizisten: Künftig sollen ihnen Soldaten zur Seite stehen,Präsident Duterte präsentiert eine Liste von Polizisten, die in Drogengeschäfte verwickelt sein sollen: „Verkommen bis auf die Knochen“, Ranidel: „Was mir Sorgen macht ist die Willkür der Polizisten