© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Systemtreue Retter
Währungsunion: Clemens Fuests und Johannes Beckers Vorschlag zur Lösung der Eurokrise
Christian Dorn


Hans-Werner Sinn, anfangs ein klarer Befürworter der Währungsunion, wagte in den letzten Jahren vor seiner Pensionierung klare Worte. Seine Bücher „Die Target-Falle – Gefahren für unser Geld und unsere Kinder“ (JF 43/12) oder „Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel“ (JF 51/15) rechnen mit den Fehlern der Politik ab.


Sinns Nachfolger als Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Clemens Fuest, ist zurückhaltender. Er vergleicht die aktuellen Versuche zur Euro-Rettung durch die EZB mit dem Bild einer gemeinsamen Kreditkarte, derer sich jeder Mitgliedsstaat der Eurozone bedient, unabhängig von seinen finanziellen Verhältnissen. Daher, so Fuest am vergangenen Sonntag im Deutschlandfunk, werde auch die von der EZB geforderte Schaffung eines EU-Finanzministers das Problem der überschuldeten Eurozone nicht lösen. Vielmehr solle das EZB-Mandat beschränkt werden. Sowohl der Rettungsschirm ESM wie die Bankenregulierung sollten von ihr abgezogen und zu eigenständigen Institutionen werden.


Fünf-Punkte-Programm zur Ankettung der Eurostaaten


Diese Forderung ist zugleich Teil des vorige Woche in Berlin vorgestellten, von Fuest gemeinsam mit dem Ökonomen Johannes Becker verfaßten Buches „Der Odysseus-Komplex“. Im Untertitel wird „ein pragmatischer Vorschlag zur Lösung der Eurokrise“ versprochen, der allerdings nicht überzeugen will. Dies offenbaren bereits die Reaktionen der versammelten Pressevertreter. So beklagt Fuest zunächst, „daß wir souveräne Staaten haben“. Deshalb, so die Autoren, legten sie ein Fünf-Punkte-Programm vor, das – analog zu Homers Odysseus – eine Selbstbindung der Eurostaaten und daher eine partielle Abgabe souveräner Rechte an übernationale Vereinbarungen respektive Institutionen vorsieht. So würden die Sirenen der Verschuldungspolitik ihrer Wirkung beraubt.


Erstens soll dies durch eine stärkere Bankenregulierung gelingen. Dementsprechend hätten die Banken ihr Eigenkapital von derzeit acht Prozent der Bilanzsumme auf mindestens zwölf Prozent zu erhöhen. Wünschenswert seien aber 30 Prozent. Erfolgen könnte diese Erhöhung durch Contingent Converti­ble Bonds: Anleihen, die zu Eigenkapital werden, sobald die Eigenkapitalquote unter einen festgelegten Wert sinkt.


Zweitens sollen die fehlgeschlagenen Mechanismen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie des Fiskalpaktes ersetzt werden durch eine Schuldenkontrolle mittels nachrangiger Anleihen (Accountability Bonds), die von den Mitgliedsstaaten „automatisch begeben werden müssen, wenn ihr Defizit in konjunktureller Nomallage die Grenze von 0,5 Prozent des BIP überschreitet.“


Drittens soll der Modus der monetären Staatenrettung durch den ESM modifiziert werden, so daß bei Bedarf eine „automatische Verlängerung der Laufzeit“ der auslaufenden Anleihen in Kraft tritt. Diese Hilfe soll viertens durch eine Restrukturierung überprüft werden: Wenn spätestens drei Jahre nach Beginn eines ESM-Programms das betreffende Land noch immer keinen Zugang zum Kapitalmarkt erlangt habe, sollte eine Schuldnerkonferenz folgen.
Dies schließe den freiwilligen Austritt eines Landes aus der Eurozone ein, um zu ergänzen: „ein guter Kandidat wäre hier Griechenland“ – was angesichts des Buchtitels und der dort entlehnten Analogie zur Rettung des Euros unfreiwillig absurd wirkt. Zudem hält Co-Autor Johannes Becker, Direktor am Institut für Finanzwissenschaft der Universität Münster, den Grexit während der Buchvorstellung für kein realistisches Szenario, weil weder die Griechen noch die Deutschen das wollten.


Fünftens müsse das EZB-Mandat, wie eingangs erwähnt, beschnitten werden. Entsprechend solle auch das OMT-Programm zur Staatenfinanzierung beendet werden. Freilich wird letzteres zugleich damit entschuldigt, daß bis zu dessen Start kein angemessener Rettungsmechanismus für den Euro installiert worden sei. Wieso, wird selbst von der europhilen Presse gefragt, sollten die neuen „Automatismen“ auf einmal funktionieren? Letzlich gäbe es „keine Regel, die nicht auch wieder gebrochen wird“. Darauf erklärt Co-Autor Becker entwaffnend: „Ja, das kann man so sehen.“ Angesichts dieses Eingeständnisses erscheint der „pragmatische“ Lösungsvorschlag als Papiertiger, als eine Euro-Beschwörung mittels Konjunktiv-Konjunktur („könnte“, „sollte“).


Deutschland doch kein besonderer Euro-Profiteur?


Zudem hat der „pragmatische“ Lösungsansatz in Erinnerung an Fuests Rolle bei der Euro-Rettung einen schalen Beigeschmack. Fertigte dieser doch ein Gutachten für die von der Bundesregierung betriebene Euro-Politik und entgegnete noch im Frühjahr 2013 den Euro-Klägern in zynischer Rabulistik, daß es generell „umstritten“ sei, was eigentlich „Recht“ ist, und rechtfertigte den Bruch der No-Bailout-Klausel mit der rhetorischen Frage, „ob man auch die Welt untergehen läßt, nur um sich an das Recht zu halten“ (JF 14/13).


Dennoch ist das Buch nicht uninteressant: Einmal durch die Nacherzählung zur Genese des Euro, in der Herausstellung der Äußerungen Helmut Kohls, der die Einführung zu einer Frage von Krieg und Frieden stilisierte, oder Angela Merkels, die das Scheitern des Euro mit dem Scheitern Europas gleichsetzt. Besonders verdienstvoll ist dabei das vorletzte Kapitel über Deutschland als den „zögerlichen Hegemon“ Europas. So entzaubern die Autoren nicht nur die gängigen Kritiken gegenüber Deutschland (Größe, Reichtum, Verantwortung), sondern auch das nicht nur von der Bundeskanzlerin verbreitete Märchen, wonach es ganz besonders vom Euro profitiert habe. Eine, so auch die beiden Autoren, verhängnisvolle Aussage, die Deutschland einmal mehr erpreßbar macht.


Clemens Fuest, Johannes Becker: Der Odysseus-Komplex. Hanser-Verlag, München 2017, 288 Seiten, gebunden, 24 Euro