© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Horch und Guck vom Bosporus
Ditib-Spitzelaffäre: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nutzt staatliche Institutionen und Imame, um Einfluß auf die deutsche Politik zu nehmen / „Auslandstürken als Brückenköpfe“
Fabian Schmidt-Ahmad / Christian Vollradt


Deutschlandpolitik ist aus Sicht Ankaras nichts anderes als türkische Innenpolitik. Einem breiten Publikum dürfte diese Tatsache durch Wahlkampfauftritte von Politikern der regierenden AKP bewußt geworden sein. Zuletzt warb Ministerpräsident Binali Y?ld?r?m vorigen Sonnabend vor Tausenden Anhängern im nordrhein-westfälischen Oberhausen bei einer Veranstaltung der AKP-nahen Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD, siehe Grafik) für das Verfassungsreferendum in der Türkei, das eine umfassende Machtkonzentration in den Händen von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan vorsieht.?„Allahu-Akbar“-Rufe und die Forderung nach Todesstrafe brandeten dem Regierungschef entgegen, als dieser auf den gescheiterten Putschversuch vergangenen Sommer zu sprechen kam.?Eine ähnlich bombastische Kulisse dürfte auch Erdogan haben, wenn dieser selbst in Deutschland, wahrscheinlich ebenso in Nordrhein-Westfalen, seine Anhänger für das Referendum am 16. April mobilisieren wird. Immerhin geht es um über eine Million wahlberechtigte türkische Staatsbürger.


Doch nicht nur solche Auftritte machen deutlich, wie die AKP Deutschland als ihr Operationsgebiet betrachtet. Die Spitzelaffäre um die Ditib zeigt, wie türkische Methoden, mit politischen Konkurrenten umzugehen, auch hierzulande umgesetzt werden (JF 6/17).?Gegen vier Ditib-Funktionäre wurden Ermittlungen wegen des Verdachts der Spionage eingeleitet. Sie sollen nach möglichen Sympathisanten der Gülen-Bewegung Ausschau gehalten und nach Ankara Namenslisten geschickt haben. Mittwoch vergangener Woche ließ der Generalbundesanwalt wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit die Wohnungen von vier islamischen Geistlichen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz durchsuchen und Beweismittel wie Datenträger und schriftliche Unterlagen beschlagnahmen.


„Wir werden dieses Netz zerschlagen“


?„Wer den Islam nur als Deckmantel für Spionage benutzt, kann sich nicht auf die Religionsfreiheit berufen“, begründet Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) das Vorgehen. „Grundsätzlich gilt: Der Einfluß des türkischen Staates auf die Ditib ist zu groß“, diese solle sich daher „glaubhaft von Ankara lösen“, forderte der Minister. „Nur als unabhängiger, deutscher Verband hat die Ditib eine Zukunft als verläßlicher Partner.“ Doch die markigen Worte sollten nicht über die Samthandschuhe hinwegtäuschen, mit denen der Partner von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Sachen Asylfragen angepackt wird.?So seien die Ermittlungen erst eingeleitet worden, nachdem die Verdächtigen in die Türkei zurückgekehrt waren, kritisiert der religionspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck. „Es bestand ein hinreichender Verdacht, daß es hier Spionage zum Nachteil der Bundesrepublik gegeben hat“, sagte Beck gegenüber der FAZ Woche.?


Doch trotz der angezogenen Handbremse stellten die Ermittlungen für AKP-Politiker eine empörende Einmischung in innertürkische Angelegenheiten dar. Maas’ türkischer Amtskollege Bekir Bozdag erklärte die Ermittlungen kurzerhand für illegal. Die Wohnungsdurchsuchungen seien ein „klarer Verstoß gegen internationale Abkommen und die deutsche Verfassung“, wetterte der Justizminister, wie Medien berichteten. Die Ermittlungen würden zeigen, wie leicht Deutschland „den Behauptungen von Terroristen Glauben schenkt“, sagte Bozdag.?


Auch der Leiter der Diyanet – und damit Vorgesetzter der an die Ditib entsandten türkischen Imame –, Mehmet Görmez, kritisierte die Ermittlungen. Sie seien eine Diffamierungskampagne voller „falscher Vorwürfe“ gegen seine Behörde und die Ditib, heißt es laut Medienberichten bei einer Pressekonferenz. „Die Geistlichen haben keine illegalen Handlungen begangen.“ Sechs Imame, die „ihre Befugnisse überschritten haben sollen“, seien „als Zeichen des guten Willens“ in die Türkei zurückberufen worden, um „das gegenseitige Vertrauen“ zu bewahren, begründete Görmez die Absetzbewegung seiner Imame.?


Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im türkischen Parlament, Mustafa Yeneroglu (AKP), hat die Durchsuchungen „auf das schärfste“ verurteilt. „Unter dem Deckmantel eines rechtlich unhaltbaren Spionagevorwurfs“ werde eine „beispiellose Einschüchterungskampagne“ gegen die Ditib gefahren. „Die Ditib leistet seit Jahrzehnten unverzichtbar wichtige Arbeit. Hierbei hat sich gerade die theologische Anbindung an die türkische Diyanet als goldrichtig erwiesen.“ Statt daß Deutschland dafür „Dank und Respekt“ zolle, werde die Ditib „mit juristischen Repressalien eingeschüchtert“.?


„Die türkischen Konsulate drängen Eltern dazu, Lehrer einzuschüchtern und Lehrer zu melden, die Kritik an der Türkei oder an Präsident Erdogan üben“, kritisierte der einwanderungspolitische Sprecher der Bildungsgewerkschaft GEW, Süleyman Ates, gegenüber der Heilbronner Stimme. Davon seien längst nicht nur der türkischsprachige oder islamische Unterricht betroffen, sondern auch Fächer wie Geschichte oder Sozialkunde: „Lehrer werden eingeschüchtert, und Eltern werden dazu aufgerufen, sich an den Schulen über einen türkeikritischen Unterricht zu beklagen.“?

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Experte für Erdogans Netz in europäischen Staaten ist der österreichische Parlamentarier Peter Pilz (Grüne). Gemeinsam mit Grünen-Chef Cem Özdemir informierte er vergangenen Freitag in Berlin deutsche Medien über seine Erkenntnisse. Dem Wiener Politiker liegen geheime Originaldokumente mehrerer türkischer Botschaften vor, in denen von Bespitzelungen in Kaffeehäusern und Vereinen berichtet wird. Dies wurde dann – etwa über Residenten des türkischen Geheimdienstes – nach Ankara gemeldet.


Zunächst habe Erdogan versucht, seinen Einfluß über die Mitgliedschaft seiner AKP in der Europäischen Volkspartei zu vergrößern. Weil er die EVP auf Druck von CDU/CSU verlassen hat, versuche er über die YTB (siehe Grafik) „Brückenköpfe von Auslandstürken“ zu bilden, so Pilz. Mittlerweile habe er die Strategie erneut gewechselt und setze jetzt auf Kader, auf Mitarbeiter des Geheimdienstes oder in der Türkei ausgebildete Imame. Das Ziel sei die „politische Destabilisierung“. Laut Özdemir kommt dem türkischen Präsidenten dabei zugute, daß über 50 Prozent der in Deutschland lebenden türkischen Wähler zu seinen besonders treuen Anhängern zählen.
Erdogan bespitzele und verfolge nicht nur Vertreter der Gülen-Bewegung, sondern auch Kurden oder einfach bloß Leute, die regimekritische Leserbriefe geschrieben hätten. „Zu seinen Feinden zählt er auch, wer sich hier an das Grundgesetz hält“, so Özdemir. Sein Kollege Pilz gibt sich dennoch zuversichtlich:  „Wir werden dieses Netz zerschlagen“.


Erdogans Netz in Deutschland

In Deutschland leben 2.851.000 Personen mit türkischen Wurzeln, mit 17 Prozent stellen sie die größte Einwanderergruppe. Zu Beginn des Jahres 2016 hatten 1.506.113 von ihnen die türkische Staatsangehörigkeit. Die 1984 gegründete Ditib vertritt nach eigenen Angaben 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime. Durch Staatsverträge mit mehreren Bundesländern hat sie auch Einfluß auf islamischen Religionsunterricht in öffentlichen Schulen. 

Recep Tayyip  Erdogan

AKP AK Parti (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung)

YTB Präsidium für Auslandstürken & verwandte Volksgruppen

MIT Geheimdienst der Türkei

DIYANET Präsidium für Religionsangelegenheiten

KRM Koordinationsrat der Muslime

DIK Deutsche Islam-Konferenz

Staatsverträge mit Hessen, Hamburg, Bremen (zur Zeit auf Eis gelegt mit Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen)

UETD Union Europäisc

MIT-Resident

Türkische Botschaft in Berlin (sowie Generalkonsulate)

Religionsattaché

über 900 Moschee-Vereine in Deutschland

Schema der Einflußnahme: Wie der türkische Präsident über Verbände und Institutionen in Deutschland wirkt