© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Ländersache
Selbstbedienung im Südwesten
Michael Paulwitz


Schamloses Vorgehen“ – „Frechheit“ – „übler Vertrauensbruch“ – „ziemlich dreist“: Selbst die den Grünen sonst so wohlgewogene Stuttgarter Landeshauptstadtpresse hatte kein gutes Wort für das klammheimliche Vorhaben von Grünen, CDU und SPD übrig, den baden-württembergischen Landtagsabgeordneten im Schnellverfahren die Rückkehr zu komfortablen Staatspensionen zu ermöglichen. Vorläufig auf Eis gelegt wurde der Fischzug erst nach massiven Bürgerprotesten und der plötzlichen Erkenntnis, daß man der AfD-Opposition eine Steilvorlage vor die Füße gespielt hatte.


„Ein typischer Fall von Selbstbewilligung“, moniert Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim. Erst 2008 hatte der Landtag unter allgemeinem Beifall den Verzicht auf die großzügigen Rundum-Sorglos-Pensionen aus der Steuerkasse beschlossen. Zum Ausgleich erhalten die baden-württembergischen Abgeordneten einen Zuschuß von monatlich 1.679 Euro für die private Vorsorge. Dazu wurden 2011 die Diäten um ein Drittel auf 7.616 Euro angehoben, plus 1.548 Euro steuerfreie Aufwandspauschale.


Mit mehr als 9.000 Euro monatlich sollte man eigentlich genug für die Rente zurücklegen können. Meint Otto Normalsteuerzahler, der von solchen Einkünften oft nur träumen kann, aber nicht Grünen-Fraktionschef Ulrich
Sckerl: Private Altersvorsorge sei derzeit ja kaum noch auskömmlich. Daß Sparen sich in Zeiten politisch gewollter Null- und Negativzinsen kaum noch lohnt, weiß der Durchschnittsbürger natürlich schon länger. Doch was dem mit „Die Rente ist sicher“-Sprüchen abgespeisten gemeinen Wahlvolk recht sein soll, ist dem Politikerstand zu mager: Selbstbedienung ist sicherer. Besonders, wenn man die zuvor zum Vorsorgeausgleich gewährten Zulagen und Diätenerhöhungen trotzdem behält und die steuerfreie Pauschale auch noch mal um 40 Prozent heraufsetzt.


Den eigenen Argumenten für eine „angemessene finanzielle Ausstattung“ (Nicole Razavi, CDU) traute die grün-schwarz-rote Selbstbedienungskoalition dabei wohl selbst nicht so recht. Also peitschte man den Griff in die Kasse in nicht mal drei Tagen unter Umgehung der vorgeschriebenen Fristen durchs Parlament.


Dumm nur, wenn die Opposition nicht schläft. AfD und FDP hatten die Rückkehr zur Staatspension von Anfang an konsequent abgelehnt. Nach nur 13 Jahren hätte ein Abgeordneter ohne eigenen Beitrag Anspruch auf 2.475 Euro Monats-Pension, rechnet AfD-Fraktionsvize Bernd Gögel vor – soviel wie ein gesetzlich Versicherter, der 45 Jahre lang den Höchstbeitrag zahlt. Dem vom Steuerzahlerbund angekündigten „Volksantrag“, der mit 40.000 Unterschriften das Parlament zur nochmaligen Befassung hätte zwingen können, sicherte die AfD umgehend ihre Unterstützung zu.


Ministerpräsident Winfried Kretschmann ging schließlich ebenso wie die Landes-SPD eilig auf Distanz. Bei den Fraktionen von Grünen, CDU und SPD, die sich sauber verrechnet haben, dennoch keine Spur von Einsicht: Statt ihre Pläne zu beerdigen, verweisen sie sie an eine „Expertenkommission“ zur Bewertung und verschieben die endgültige Entscheidung auf die Zeit nach der Bundestagswahl. Goldene Zeiten für nichtetablierte Spielverderber.