© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

Sandro Gaycken. Der Regierungsberater weiß, wie mit Problembürgern zu verfahren ist
Ab in die Demokratur
Thomas Fasbender


Sandro Gaycken war einst Hacker im legendären Chaos Computer Club – heute forscht der Berliner in Sachen Cybersicherheit, ist von der ARD bis zum Spiegel in allen großen Medien präsent, berät die Bundesregierung und die Bundeswehr und zeigt Verständnis für die nachrichtendienstliche Arbeit. Besonders groß jedoch ist sein Verständnis für den unbedarften, den hilflos überforderten Bürger. In der FAZ etwa warnte er unlängst, „zuviel Aufklärung“, „zuviel Wissen“ und „widersprüchliche Fakten und Meinungen“ führten dazu, daß der sich zu keinem Thema mehr „effektiv politisch bilden“ könne.


Vielleicht sind die langen Jahre vor dem Computer schuld daran, daß der 1973 geborene Gaycken, so scheint es, nur noch in zwei Zuständen denken kann: null oder eins, sprich: Wahrheit oder Lüge, Fakt oder Manipulation. Wobei Gaycken natürlich beansprucht, Spreu und Weizen blind unterscheiden zu können. Ganz im Gegensatz zu jenen Bürgern, die sich, so Gaycken, ihre Meinung „in einer Blase aus Blödsinn, Edutainment und Manipulationen“ bildeten. Für diese Problembürger schlägt er deshalb politische Zwangsbildung vor, sowie Wissensabfrage vor jedem Wahlakt. „Wer besteht, darf wählen“, so Gaycken großzügig. Ist das noch zum Lachen oder schon zum Weinen, Satire oder Ernst?


Der Wahrheitsanspruch, den Verfechter einer demokratischen Orthodoxie wie Gaycken neuerdings vertreten, erinnert mehr an konfessionelle Auseinandersetzungen als an politische. Religionsersatz für Säkulare. Es stimmt schon, die Feinde der Demokratie sind unterwegs. Aber es sind andere als jene, von denen das Fernsehen erzählt. Dort rufen sie „Haltet den Dieb!“, während man im Hinterzimmer die Daumenschrauben ölt. Die kommen dann zum Einsatz, wenn die postdemokratischen Eliten ihre Position durch die Mehrheit der Unbedarften, des tumben „Packs“, gefährdet sehen. An der moralischen Basis der Usurpatoren, der Putschisten mit der Wahrheit im Wappen, wird bereits fleißig gewerkelt.


Die Richtung ist eindeutig, untermauert von dem immer lauter werdenden Ruf nach Verboten. Die Inquisition 2.0 naht. Gaycken: „Wir werden grundlegendere Schritt ergreifen müssen.“ Sein „wir“ ist gerechtfertigt; er ist alles andere als allein. Nach dem Brexit etwa wunderten sich Kommentatoren einst reputierlicher Gazetten, wieso über 65jährige überhaupt noch wählen dürfen. Oder der renommierte Klimaforscher Jørgen Randers, der vorschlug, das demokratische Prinzip in Sachen Klimapolitik zu suspendieren und stattdessen auf diesem Feld eine „gute“ Diktatur zur Durchsetzung der  Klimarettungspolitik zu errichten.


Ob Veggieday, Rauchverbot, Forderung nach Gebärverzicht oder Warnungen vor bösen Russen, eine ungeheure Domestizierungskampagne bahnt sich an. Die Zähmung der „Dummen“ im Zeichen der „Demokratie“.