© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/17 / 24. Februar 2017

„Deutschland ist die Heimat meiner Werte“
Der Journalist und Filmemacher Imad Karim interessiert sich für Menschen und Kulturen. Dennoch warnt er vor islamischer Massenzuwanderung. Denn diese Politik der Eliten werde unsere plurale Gesellschaft zerstören
Moritz Schwarz

Herr Karim, Sie klagen: „Ich bin im Begriff, mein Deutschland zu verlieren.“ Was meinen Sie damit?

Imad Karim: Ein arabisches, vorislamisches Sprichwort sagt: „Weilst du bei einem Volke vierzig Tage, so sei einer von ihnen – oder wandere weiter!“ Aus den vierzig Tagen sind inzwischen vierzig Jahre geworden, in denen ich einen vielfältigen Alltag mit den Menschen in diesem Land teile. In Deutschland suchte ich – ohne Integrationsprogramme wohlgemerkt – die Verständigung. Ich fand sie schnell mit allen Gesellschaftsschichten und -gruppen. Ich saugte die Werte der Aufklärung auf, vermischte sie mit meinem kulturellen Erbe und schaffte so eine, wie ich meine, einzigartige Symbiose, um durch bewußt erlebten Alltag und durch meine Filme und Publikationen Brücken zu bauen.

Was bedeutet „bewußt erlebter Alltag“?

Karim: Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich kam 1977 weder als Flüchtling noch als Asylbewerber nach Deutschland, sondern als Student, so wie Goethe nach Italien ging, um zu lernen. Goethe kehrte zurück, ich blieb. 1974 hatten drei Gaststudenten, ein Norweger, ein Schweizer, ein Inder, mit meiner, formal islamischen, aber in Wahrheit agnostischen Familie in Beirut gelebt. Austausch der Kulturen, sogar Völkerwanderung erachte ich als wichtigen Prozeß zivilisatorischer Dynamik – aber bitte nicht auf Kosten der aufnehmenden Gesellschaft, so daß diese am Ende als Ethnie zu verschwinden droht!

Wie haben Sie Deutschland 1977 erlebt?

Karim: Es war für einen Agnostiker wie mich, der mit seinen Werten wie versteckt leben mußte, Inbegriff jener Vielfalt, nach der ich mich immer gesehnt hatte. Ich war neugierig auf Deutschland und seine Menschen. Wann immer es mir möglich war, wanderte ich durch das Land, erfreute mich an bayerischen Trachten und Gesängen, genoß die Weinfeste der Hessen und Pfälzer, bewunderte die Kohlen-Malocher der Ruhrgebietler und ihre polnischen Nachnamen, versuchte mit Freude die anglistischen Lieder der Norddeutschen zu entziffern und kehrte nach Berlin zurück, setzte mich in eine urige Kneipe und bestellte Berliner Weiße mit Schuß. Damals wohnte ich im Multikulti-Bezirk Neukölln, der so bunt war, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Es gab arabische Familien, die mit ihren deutschen Nachbarn grillten. Auf dem Grill lag rechts Rind und Lamm, links Schwein und Wurst. Ich ging mit Arabern und deutschen Linken demonstrieren, gegen Nato und „Imperialismus“, engagierte mich in der Arbeit der Dritte-Welt-Läden, besuchte mehrmals den Evangelischen Kirchentag. Ich suchte die Verständigung und glaubte, wir könnten diese wertvolle, zivile Gesellschaft ausbauen und von den humanistischen Werten der Deutschen und Europäer viel lernen. Vor Jahren besuchte ich dann, aus Südwestdeutschland kommend, erneut Neukölln: Ich erkannte es nicht wieder: Ich dachte, ich sei in Kabul! Die arabischen linken Freunde von damals sind heute alte, bärtige Männer, fromme und gläubige Muslime, die felsenfest davon überzeugt sind, daß Deutschland in Zukunft islamisch sein wird.


Was bedeutet deren Fanatismus für uns?

Karim: Seit einigen Jahren, besonders seit Spätsommer 2015, werden in diesem Land im Namen einer konstruierten – falschen – Toleranz die Werte einer säkularen und pluralistischen Gesellschaft zugunsten eines angeblich mit diesen Werten vereinbaren Islams, den es nicht gibt, beinahe gänzlich aufgegeben. Ich kritisiere die „Flüchtlingspolitik“ der Bundesregierung und den naiven Umgang der Gesellschaft mit dem politischen Islam. Ich beklage die Entstehung von Parallelgesellschaften, die immer größer werden. Heute werden Leute wie ich mitunter quasi zu Systemkritikern erklärt, die in der Diskurslandschaft nicht mehr erwünscht sind. Wir, deren Mutter- und Schriftsprache Arabisch ist, die wir uns fundiert mit dem Islam auskennen, sollen uns aus politischer Korrektheit mit Kritik zurückhalten. Für manche scheint es irrelevant zu sein, wie viele Argumente, Statistiken und empirisch belegte Studien wir vorlegen. Gerade wichtige Medien setzen sich nicht mehr mit uns auseinander, grenzen uns stattdessen aus, wenn sie uns nicht gar diffamieren. Neuerdings wird uns, den einst als Fremde gekommenen Exilanten, gar Xeno- und Islamophobie unterstellt. Dabei ist Deutschland zwar nicht die Heimat unserer Vorväter, aber dafür, und das ist für mich viel wichtiger, die Heimat unserer Werte.

Aber Sie leben doch frei in der „Heimat Ihrer Werte“, was wollen Sie ändern?

Karim: Viele Deutsche haben verlernt, oder nie kennengelernt, was der Unterschied zwischen Freiheit und Unfreiheit ist oder sein kann. Die Ostdeutschen kannten zwar Willkür, aber nicht eine religiös legitimierte Diktatur. Die in den Medien verharmloste Massenimmigration wird die Werte der Aufklärung und der offenen Gesellschaft massiv gefährden. Keiner fragt wirklich und aufrichtig, welche religiöse und kulturelle Prägung Menschen aus Nordafrika und dem Orient mit sich bringen; mit welchen Konsequenzen wir mittel- bis langfristig für die freie, offene Gesellschaft in diesem großartigen und – noch – aufgeklärten Land rechnen müssen?

Wer sind „wir“?

Karim: Wir, das sind jene Araber, die im Islam geboren und als Studenten nach Deutschland eingewandert sind und dem Islam als politischer Ideologie sehr kritisch gegenüberstehen. Einst waren wir, dazu gehören Bassam Tibi, Hamed Abdel-Samad und andere, mit unserer islamkritischen Haltung sehr willkommen. In den siebziger und achtziger Jahren glaubten wir, daß kritische und selbstkritische Auseinandersetzung ein Bestandteil der linken Bewegung sei, der wir angehörten. Vielleicht waren wir naiv und hatten die Frankfurter Schule falsch verstanden und übersehen, daß es bei diesem „Gesinnungsbetrieb“ eigentlich darum geht, die kulturelle Identität der europäischen und nordamerikanischen Völker zu zerstören, um doch noch zum marxistischen neuen Menschen zu gelangen, nachdem die Arbeiterklasse im von Adorno und Horkheimer erhofften Klassenkampf „versagt“ hatte.

Natürlich gibt es unter den Flüchtlingen auch Radikale und Gewalttäter. Aber ist die Mehrheit nicht friedlich und gutwillig?

Karim: Merken Sie nicht, welche falsche Annahme schon in Ihrer Formulierung steckt? Diese Leute sind keine Flüchtlinge! Weder im Sinne des Grundgesetzes noch der Genfer Konvention. Die große Mehrheit von ihnen sucht nach einem besseren Leben. Das ist legitim und verständlich. Aber es gibt auch das Recht dieser Gesellschaft, sie abzulehnen.

Warum?

Karim: Erstens weil auch Heimatrecht ein Menschenrecht ist. Zweitens weil Deutschland nur eine begrenzte Zahl aufnehmen kann. Drittens weil man selektiv Menschen belohnt, denen es gelingt hierher zu kommen und so Abermillionen andere animiert, dieselbe gefährliche Reise zu unternehmen. Viertens weil diese Einwanderung auf lange Sicht sowohl das soziale Gefüge wie die Wertebasis unserer Gesellschaft zerstört, weil die ohnehin geburtenschwache Aufnahmegesellschaft dank Familiennachzug und Geburtenverhalten der aus dem Nahen Osten und Afrika stammenden Einwanderer von diesen in einigen Generationen dominiert werden wird.
Medien und Politik argumentieren, die große Mehrheit der „Flüchtlinge“ sei anständig und friedfertig, was die statistischen Daten auch belegen.

Daher noch einmal die Frage: Warum also sollte von diesen eine Gefahr ausgehen?

Karim: Natürlich sind unter den Einwanderern sympathische und aufrichtige Menschen, die kreative Kraft mitbringen und neugierig auf Deutschland sind, aber das ist die absolute Minderheit. Lassen Sie mich Ihnen etwas erzählen: Ich habe mich in drei großen Facebook-Gruppen für syrische Flüchtlinge in Deutschland angemeldet. Die ersten beiden haben etwa 227.000 Mitglieder, die dritte über 100.000. Dort traf ich unter denen, die posteten und kommentierten, nahezu ausschließlich auf Menschen, die im politischen Islam das Allheilmittel für die Lösung ihrer Probleme sehen. Diese Gruppen werden also von Leuten dominiert, die das westliche Lebensmodell regelrecht verachten. Es gab nur selten Kommentare von Syrern, bei denen man sich vorstellen kann, daß sie Teil unserer offenen Gesellschaft werden könnten. In diesen Foren wurde etwa ein Interview mit einer Syrerin verbreitet, die sich als Atheistin outete. Die Reaktionen reichten von Beleidigungen bis hin zu Drohungen. Einige schrieben, sie wollten sie suchen und köpfen, andere sie würden sie in vier Teilen trennen etc. Eine andere Syrerin teilte ganz leidenschaftslos mit, sie werde das Kopftuch ablegen, respektiere aber Frauen, die es tragen. Auch sie wurde übelst beschimpft und bedroht.

Können Sie das Verhältnis der Kommentare quantifizieren?

Karim: Es gab über 4.300 Kommentare, nur sieben davon meinten, die Syrerin könne machen, was sie wolle. Der Rest schimpfte und drohte. Hier muß man sich fragen: Was spricht überhaupt dafür, daß solche Menschen jemals westliche Vorstellungen von Freiheit und Toleranz für sich und ihre Kinder akzeptieren werden? In allen Postings dieser Gruppen geht es nahezu ausschließlich darum, den Islam und seine Werte in Deutschland und Europa zu verbreiten, wie man sich am besten finanzielle Vorteile verschaffen oder wer wem falsche Dokumente besorgen kann. Es gibt regelrechte Annoncen für gefälschte Zeugnisse und andere Dokumente. Deutsche und Nichtmuslime im allgemeinen werden dort negativ dargestellt, quasi als Gesellschaft ohne Werte. Als eine Gesellschaft, die nur der Islam retten kann. Hat etwa jemand gepostet, daß in den Lehrplan einer deutschen Schule islamischer Unterricht aufgenommen wird, so zeigen die Kommentare, daß dies nicht als Zeichen von Toleranz verstanden wird, sondern als angeblicher Hilferuf der Deutschen, den Islam kennenlernen und annehmen zu wollen.Leider muß man Arabisch sprechen und schreiben können, um Zugang zu diesen muslimischen Stammtischgesprächen im Internet zu haben. Praktisch allen Deutschen bleibt deshalb diese Welt verschlossen – auch den Journalisten.

Deshalb haben Sie in einer Erklärung die Medien aufgefordert, das „absurde, bald tödliche Gutmenschentheater“ zu beenden?

Karim: Natürlich. Erinnern Sie sich, wie das anfing? Die Leute bejubelten die Ankunft der sogenannten Flüchtlinge. Wußten sie aber überhaupt, wer da kam? Nein, sie hatten keine Ahnung! Sie kannten diese Leute nicht! Also konnten sie sich auch nicht ehrlichen Herzens gefreut haben. Ist das etwa nicht absurd?

Warum aber taten sie es scheinbar doch?

Karim: Aus einer Gesinnungsethik heraus, nicht wegen der Flüchtlinge an sich. Sie selbst bezeichnen sich als Humanisten.

Sind Sie also nicht auch ein „Gutmensch“?


Karim: Für Humanisten stehen die Werte in Verbindung mit dem Menschen im Mittelpunkt, Werte die uns Würde geben. Für Gutmenschenen dagegen ihre Ideologie, die Ideologie des „Guten“. Aber das ist eine Täuschung. Das sehen Sie etwa daran, daß Gutmenschen nicht zwischen echten Flüchtlingen und Einwanderern unterscheiden. Oder daß sie kein moralisches Problem damit haben, daß dank ihrer Willkommenskultur Wirtschaftsmigranten den Rettungsweg verstopfen, der eigentlich für politisch Verfolgte offen sein muß. Für die Gutmenschen ist Hilfe für „Flüchtlinge“ lediglich Selbstzweck.

Inwiefern?

Karim: Ihnen, also den Befürwortern der sogenannten Willkommenskultur, geht es nicht darum, Gutes zu tun, sondern sich und anderen zu beweisen, wie „gut“ beziehungsweise „fortschrittlich“ sie sind. Außerdem handelt es sich um einen therapeutischen Vorgang, ja um eine Art Volkstherapie.

Was meinen Sie damit?

Karim: Im Hintergrund steht die historische Erfahrung der Verbrechen des Dritten Reichs. Seit ich hierher gekommen bin, verstand ich nie die implizite Reduzierung der deutschen Geschichte auf die zwölf Jahre des Nationalsozialismus. Zumal die neue Gesinnungsethik, in deren Zeit wir mittlerweile leben, die Vorstufe des Faschismus ist.

Wie bitte?

Karim: Natürlich! Denn Gesinnungsethik erlaubt es nicht, zu hinterfragen und selbständig zu einem Standpunkt zu kommen, sondern verlangt einen bestimmten Standpunkt einzunehmen, der allein als „gut“ definiert ist. Und die Medien sind, sehr zu meinem Erschrecken, inzwischen Teil dieser Gesinnungsethikmaschinerie geworden. Sie hinterfragen die Eliten nicht mehr, und sie berichten nicht objektiv – gut, vielleicht ist das auch eine Utopie –, sondern sehen ihre Aufgabe darin, eine Botschaft zu verbreiten, die sich mit jener der Eliten deckt.

Vielleicht ja, weil es die richtige Botschaft ist und die Verführungskraft der westlichen Kultur mit Freiheit und Konsum am Ende stärker ist als der Islam?

Karim: Genau das ist das, was die Eliten glauben: Es werde ein, zwei, drei Generationen dauern, aber dann wird es gelingen! Und all die Geschlagenen, Beraubten, Begrapschten, Vergewaltigten und Ermordeten bis dahin müssen wir als eine Art „Kollateralschaden“ angesichts dieses großen geschichtlichen Werkes hinnehmen. Das ist der Preis, den die Elite der einfachen Bevölkerung zumutet, um sich selbst diese historische Errungenschaft anheften zu können. Aber so wird es nicht ausgehen. Vielleicht werden sich die Einwanderer in ein paar hundert Jahren anpassen, aber früher nicht. Und zwar, weil einfach zu viele von ihnen physisch hier, geistig, mental und ideologisch aber noch in ihren Heimatländern zu Hause sind. Und unter anderem dank Mobiltelefon, Internet und Satellitenfernsehen diese Verbindung auch nicht abreißt.

Wer ist dafür verantwortlich?

Karim: Die Eliten glauben, die Dialektik der Geschichte bestimmen zu können. Sie irren sich leider. Sie sehen nicht, daß unsere Werte Werte sind, die man durch einen historischen, nicht selten schmerzhaften Prozeß erringen muß – und genauso auch wieder verlieren kann. Die Eliten glauben, unsere Werte seien universal und setzten sich daher irgendwann von allein durch. Das aber könnte sich für die pluralistische, freiheitliche Gesellschaft als ein tödlicher Irrtum erweisen. 





Imad Karim: Der ehemalige WDR-Journalist, Autor, Regisseur und Produzent drehte zahlreiche Berichte, Dokumentationen, Reportagen und Filmessays, die in ARD, ZDF, den Dritten, auf 3Sat und Phoenix ausgestrahlt wurden. Er gehörte verschiedenen Filmjurys an und ist Träger mehrerer Auszeichnungen, etwa des ARD-Civis-Preises. Geboren wurde Imad Karim 1958 in Beirut. Nach Deutschland kam er 1977 und studierte in Berlin, Mainz und Mannheim Medien- und Sozialwissenschaften. Heute ist er Geschäftsführer der Agentur Strong Shadow Media in Mannheim.   

 

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