© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

„Die Generation Fack-ju-Göhte versteht nur Bahnhof“
Karneval im Rheinland: Deutsche Jugendliche und zugewanderte Migranten können mit dem Brauchtum wenig anfangen
Martin Voigt

Karneval in Köln – gelebtes Brauchtum oder touristische Massenparty? Während der fünften Jahreszeit meidet manch ein Kölner die Altstadt und feiert lieber im kleinen Kreis. Der seit Jahrzehnten im Rheinland lebende Soziologe und Publizist Theo Homann (66) war selbst einmal Faschingsprinz. Die Tradition des Karnevals sieht er durch zwei Faktoren in Gefahr.

Zum einen werde durch die Einwanderung in den Rhein-Metropolen die Bevölkerung immer heterogener. Vor allem die immer stärker islamisch geprägte Jugend stehe dem Karnevalstreiben eher skeptisch gegenüber. „Verständlicherweise fremdeln die neuen Bürger mit Migrationshintergrund gegenüber der einheimischen Kulturprägung dort besonders segregativ, wo diese noch unverwechselbar christlich, näherhin katholisch ausgeformt in Erscheinung tritt“, meint Hohmann. Sie seien natürlich fasziniert von dem Spektakel, aber nähmen nicht im integrativen Sinne teil, verkleidet schon gar nicht. Auch das Mitsingen sei nicht so die Sache der Migranten. Das rheinische Liedgut bedürfe jedoch einer gewissen Inbrunst, um seine Wirkung zu entfalten. Stattdessen dröhne aus Lautsprechern die Pop-Version vom politisch korrekt gestalteten Motivwagen.

Zum anderen löse sich auch das einheimische Milieu durch die Individualisierung des Lebensstils auf, beobachtet Homann: „Auch die biodeutsche Jugend kann immer weniger mit dem ideellen Aspekt des jahrhundertealten Brauchtums anfangen. In einer Gesellschaft, die mehrheitlich aus Single-Haushalten und Einzelkind-Familien besteht, schwindet das kollektive Element zusehends.“ Das Gemeinschaftserlebnis beschränke sich zugespitzt formuliert auf Stadionbesuche, Volksfeste und Karneval. Wie bei den christlichen Festen schwinde der Bezug zu deren ursprünglicher Bedeutung. „Man interessiert sich, man nimmt teil, bleibt aber innerlich unbeteiligt“, so Homann.

Schließlich verweist der ehemalige Faschingsprinz im Gespräch mit der JF auch noch auf einen anderen Aspekt. Heute herrsche an fähigen Büttenrednern Mangel. Die Redner und Sängergruppen seien aus wahren Karnevals-Dynastien erwachsen. „Über Generationen hinweg wurde der politisch gewürzte, kritische Humor in die Form der Büttenrede verpackt“, erzählt Theo Homann. „Wo es die autochthone Generationenfolge schwer hat, schrumpft naturgemäß auch diese Fertigkeit und zugleich das ihr entsprechende Publikum. Die Generation Fack-ju-Göhte versteht bei den Pointen nur Bahnhof.“