© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Streben nach Erkenntnis
Weltgeheimnis: Eine Ausstellung in Halle widmet sich der Alchemie
Fabian Schmidt-Ahmad

Wenn sich im Lutherjahr die Augen auf die kulturelle Blüte Wittenbergs bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges richten, so bietet eine Ausstellung Gelegenheit, einen eher unbekannten Aspekt der Reformationszeit zu entdecken – die Alchemie. Der legendäre Johann Faust soll zwischen 1525 und 1532 in der Wittenberger Collegienstraße 31 gewohnt haben, unmittelbar gegenüber der 1502 durch Friedrich den Weisen gegründeten Universität, der berühmten Leucorea. Aber bis auf Legenden war nichts über alchemistische Praktiken an diesem Ort bekannt.

Doch fünf Minuten Fußweg von hier entfernt, im ehemaligen Franziskanerkloster, dessen Räume von der Universität genutzt wurden, gelang 2012 ein Sensationsfund: Zahlreiche Glasscherben in einer alten Abfallgrube entpuppten sich als Apparaturen einer umfangreichen Alchemistenwerkstatt. Dieser ist jetzt auf 350 Quadratmetern die Ausstellung „Die Suche nach dem Weltgeheimnis“ im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle gewidmet, ergänzt durch moderne naturwissenschaftliche Beispiele.

Zwar gibt es Darstellungen solcher Labore häufig, auch Schilderungen der vorgenommenen Umwandlungsprozesse, doch Funde einer tatsächlichen Laborarbeit fehlten bisher nahezu völlig. Hier aber wurden Glasreste gefunden, die eindeutig Spuren alchemistischer Experimente zeigen. Die Rückstände in den Gerätschaften sind nun Grundlage für die Rekonstruktion der abgelaufenen chemischen Arbeitsprozesse. 

Im Gegensatz zur späteren, aus ihr hervorgegangenen Chemie, betrachtete die Alchemie das Experiment nicht losgelöst vom Experimentator als Ablauf äußerer Naturgesetze. Der Alchemist war immer auch selbst Teil des Umwandlungsprozesses von Stoffen. Ihre Reinigung und Veränderung, der Calzination und Transmutation, er sollte sie innerlich als Läuterung und Höherentwicklung wahrnehmen. Mit Beginn des 16. Jahrhunderts revolutionierte der berühmte Alchemist Paracelsus die Herstellung von Medikamenten, indem er anorganische Substanzen verwendete. 

Die in Wittenberg entdeckte Alchemistenwerkstatt zeigte sich auf dem damals aktuellsten Stand der Forschung. Chemische Reste beweisen das Arbeiten mit Antimon und Quecksilber, hochgiftigen Schwermetallverbindungen, wie sie Paracelsus zur Heilung nutzte. Legendär ist sein Ausspruch: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.“ Hinweise auf metallurgische Experimente, also der Goldmacherei, finden sich dagegen nicht. Offensichtlich konzentrierte sich das Labor auf die Produktion von Heilmitteln.

Auch für anatomische Studien an der Leucorea gibt es jetzt Belege. Der Halswirbel einer jungen Frau zeigt Spuren einer Enthauptung. Die Sezierung ihrer Leiche belegt die abgesägte Schädeldecke. Der Schädel selbst wurde in einem Keramikgefäß unter ihrem Körper gefunden. Daß die Leichen der zum Tode Verurteilten der Forschung dienten, ist bekannt. Die nun gefundenen Belege sind im Zusammenhang mit der Tätigkeit namhafter Mediziner in Wittenberg zu sehen. All das bietet Einblick in eine Zeit, als die Stadt bedeutendstes Zentrum humanistischer Bildung war.

Wittenberg als wichtiger Druck- und Verlagsort, die bildkünstlerischen Leistungen Lucas Cranachs des Älteren, der Ruf Philipp Melanchthons als „Praeceptor Germaniae“, die enorme Konzentration wissenschaftlicher Forschung auf verschiedenen Gebieten in der Universität – die nun entdeckte Alchemistenwerkstatt faßt dieses zusammen. Nicht ohne Grund hat Johann Wolfgang von Goethe seinen Faust zu dem Symbol menschlichen Strebens gestaltet. Der unbedingte Drang nach Erkenntnis und die einhergehende moralische Höherentwicklung sind Kernpunkte der Alchemie. 

Ein Gedanke, dem sich unsere modernen Naturwissenschaften vielleicht wieder bewußt werden sollten. In einer Installation ist ein Teilchenbeschleuniger des CERN abgebildet. Hier, wo die Materie beginnt geistig zu werden, nähern sich diese unweigerlich wieder einem Gedanken der Alchemie an, nämlich der Rückführung auf ein höchstes Prinzip, und, hiervon abgeleitet, der Entsprechung von Mikrokosmos und Makrokosmos, die der Alchemist als sittliches Weltganzes erfaßt. So ist Wittenberg ein Kapitel gelebter Menschheitsalchemie.

Die Ausstellung „Alchemie – Die Suche nach dem Weltgeheimnis“ ist bis zum 5. Juni im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, Richard-Wagner-Str. 9, täglich außer montags von 9 bis 17 Uhr, Sa./So. 10 bis 18 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 45 / 52 47 - 30

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