© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Zu den Skulpturen abtauchen
Auf dem Meeresgrund oder in der Wüste: Faszinierende Kunstwerke an ungewöhnlichen Orten
Wolfgang Kaufmann

Schon in der Steinzeit war es Usus, Kunstwerke an ungewöhnlichen Orten zu plazieren – damals bevorzugt im Inneren von Höhlen. Noch heute pflegen manche Künstler diesen Brauch ebenfalls. Die dahinterstehende Absicht ist dabei die gleiche wie früher: eine besondere Wirkung zu erzielen, welche sich nicht zuletzt aus der Lebensfeindlichkeit der jeweiligen Umgebung ergibt, die nun aber doch den Stempel menschlichen Schöpfergeistes aufgedrückt bekommt.

Das fasziniert viele moderne Betrachter mehr als Kunstwerke in der wohlbehüteten Sterilität von Museen und Galerien. Zudem unterstreicht es das Genie eines Künstlers, wenn er das Risiko eingeht, neue Wege zu beschreiten, um mittlerweile Selbstverständliches in einem anderen Licht zu zeigen oder Aussagen zu treffen, welche nur so möglich sind. Allerdings besteht dabei die Gefahr, daß viele Menschen keine Möglichkeit mehr haben, die Kreationen in ihrem originären Kontext zu rezipieren. Aber das ist dann eben das besondere Markenzeichen des Elitären … 

So verhält es sich beispielsweise im Falle des britisch-guayanischen Bildhauers Jason deCaires Taylor. Der stellte nicht nur vier überlebensgroße Apokalyptische Reiter ans Themse-Ufer in London, wo diese periodisch von der steigenden Flut verschlungen werden, sondern verfiel 2006 auch noch darauf, seine Skulpturen direkt am Meeresboden zu verankern. Der erste Versuch dieser Art war sinnigerweise „The Lost Correspondent“ – die Statue eines Journalisten bei der Arbeit am Schreibtisch – auf dem Grund der Molinere Bay im Südwesten des Karibik-Eilands Grenada. Dem folgten später unter anderem die rund 450 Plastiken des Ensembles „The Silent Evolution“ in neun Metern Tiefe am Manchones-Riff unweit von Punta Nizuc in Mexiko sowie die derzeit größte Unterwasserfigur überhaupt: der fünfeinhalb Meter hohe und 60 Tonnen schwere „Ocean Atlas“ im Meer vor der Bahama-Insel Nassau.

Im Januar 2017 konnte deCaires Taylor dann zudem noch das Museo Atlántico auf Lanzarote eröffnen. Hier, in der Bucht von Las Coloradas, findet der zum Abtauchen bereite Kunstliebhaber in zwölf Metern Tiefe weitere 240 Betonskulpturen. Besonders beeindruckt dabei die Installation „El Rubicón“, die 35 Menschen zeigt, welche alle wie somnambul in die gleiche Richtung wandeln – ein überaus treffliches Symbol für die ebenso konformistische wie orientierungslose Gesellschaft von heute.

Deutlich weniger spektakulär als die Unterwasserkunst von deCaires Taylor, aber immerhin doch gleichfalls sehr innovativ und originell, war das Projekt des Hamburger Malers und Bildhauers Ruben Zickmann. Der kreierte die nur wenige Zentimeter große, embryoähnliche Figur des „Hans Wurst“, die mittels eines 3D-Druckers hergestellt und anschließend auf die Reise um die Welt geschickt wurde. In deren Verlauf gelangte sie 2016 auch auf den Gipfel des Mount Everest – womit „Hans Wurst“ das erste Kunstobjekt am höchsten Punkt über dem Meeresspiegel gewesen sein dürfte. Dadurch übertraf Zickmann alle andere Vertreter seines Genres, welche ihre Schöpfungen schon auf den Spitzen der Alpen und weiterer Gebirge präsentiert hatten, was freilich nicht immer auf ungeteilte Begeisterung stieß. Erinnert sei hier nur an den Fall des Schweizers Christian Meyer, der das Gipfelkreuz des Appenzeller Berges Freiheit durch einen drei Meter großen Halbmond aus weißem Acrylglas ersetzte, der zu allem Überfluß des Nachts leuchtete.

Neben dem Meeresgrund und den Hochgebirgen zählen auch die Wüsten und Polregionen zu den besonders extremen und wenig einladenden Regionen der Erde, was Kunstschaffende aber ebenfalls nicht davon abhält, sich genau hier zu verwirklichen. Den Anfang machte 1962/63 der Hesse Heinz Mack mit seinem „Jardin artificiel“, einer Kombination aus Sandreliefs, Metall- und Glasobjekten, reflektierenden Folien sowie Lichtstelen, die er an verschiedenen Stellen der Sahara installierte, bevor er 1976 in die Arktis wechselte und dort mit Lichtblumen, künstlichen Eiskristallen und Feuer-Flößen experimentierte.

Das vorerst letzte spektakuläre Produkt dieser sogenannten „Land Art“ sind die „Magic Mountains“ von Ugo Rondinone: sieben große, bunt bemalte künstliche Kalksteinfelsen, die der Schweizer Konzept- und Installationskünstler Anfang 2016 südlich von Las Vegas in der Wüste von Nevada auftürmte, wo sie nun zwei Jahre stehen bleiben sollen.

Schließlich gibt es auch noch die moderne Höhlenkunst, mit der der Mensch quasi den Bogen zu den Anfängen seiner Karriere als Homo aestheticus schlägt. In ihrem Rahmen entstanden Werke von ganz unterschiedlicher Qualität – beginnend mit den reichlich dilettantischen Bildnissen von Johnny Bale, der 1894 darauf verfiel, die Wände des Bacon Hole auf der südwalisischen Halbinsel Gower zu „verzieren“, und endend mit diversen, künstlerisch sehr viel anspruchsvolleren Aktionen beziehungsweise Ausstellungen in europäischen Höhlen zum Ende des 20. Jahrhunderts. Besonders hervorzuheben sind hier die „Reflets de Pierre“ in der belgischen Grotte von Han-sur-Lesse (1989), einige Expositionen in der Kluterthöhle bei Ennepetal (ab 1997) und die „Fragments de Temps II“ im Inneren der gigantischen Cro de Granville nahe dem südwestfranzösischen Ort Rouffignac (2011/12).

Das diesbezügliche Nonplusultra sind aber zweifellos die Schöpfungen des US-Amerikaners Robert („Ra“) Paulette, der sich selbst „Cavedigger“ nennt und seit drei Jahrzehnten damit beschäftigt ist, in der Wüste von New Mexico nördlich von Santa Fe in reiner Handarbeit Höhlen in den Sandstein zu schlagen und diese als begeh- oder gar bewohnbare Kunstwerke voller surrealer Details zu gestalten. So entstanden bereits über ein Dutzend solcher Grotten, welche bei Käufern überaus begehrt sind. Erst kürzlich wechselte eine für knapp 740.000 Euro den Besitzer.

Derzeit schuftet Paulette an den „Luminous Caves“: Die „Leuchtenden Höhlen“ sollen die Krönung seines Schaffens darstellen, und erste Fotos deuten darauf hin, daß der nunmehr fast Siebzigjährige dieses ambitionierte Ziel wohl auch erreichen wird.