© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/17 / 17. Februar 2017

Ungeheures Schneeballsystem
Eurokrise: Im Januar sind die Target-2-Forderungen der Bundesbank auf ein Allzeithoch von 796 Milliarden Euro angestiegen / Wirtschaftliche Ungleichgewichte
Thomas Fasbender

Wird 2017 zum Schicksalsjahr des Euro und der EU? Zwei Erdbeben hintereinander, Brexit und Donald Trump, haben die Selbstgewißheit der europäischen Eliten erschüttert. Gleichzeitig wird offen über einen Euro-Austritt Griechenlands und Italiens diskutiert. „Sollte ein Land das Eurosystem verlassen“, warnte daher Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), „müßte dessen Nationalbank die Ansprüche oder Verbindlichkeiten mit der Europäischen Zentralbank vollständig ausgleichen.“

Wenn sie dies kann, denn eine neue Drachme oder Lira würde im Vergleich zum Euro deutlich weniger wert sein als beim Start der Eurozone. Das verbilligte die Exporte und lockte mehr Urlauber aus Hartwährungsländern an. Aber: die Einfuhren würden empfindlich teurer. Und vor allem würde wohl der griechische und italienische Schuldendienst zusammenbrechen. Die – auch vom deutschen Steuerzahler verbürgten – griechischen Rettungsmilliarden wären verloren, ausländische Banken und Lieferanten blieben auf ihren Forderungen an Athen und Rom sitzen.

Das gilt auch für die Verbindlichkeiten im Rahmen des Verrechnungssystems Target 2, die Draghi anspricht. Schon auf dem Höhepunkt der Eurokrise 2012 standen die sogenannten Target-2-Salden im Licht der Öffentlichkeit. Es war der damalige Präsident des Münchener Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, dedr in der Wirtschaftswoche (8/11) darauf aufmerksam machte, daß die Euro-Schuldnerländer, deren Anleihen niemand mehr haben wollte, sich via Target 2 quasi durch die Hintertür finanzierten. In seinem Buch „Die Target-Falle: Gefahren für unser Geld und unsere Kinder“ (JF 44/12) schildert Sinn den komplizierten Mechanismus und die Konsequenzen anschaulich: „Aus Freunden und Nachbarn wurden Gläubiger und Schuldner“, so Sinn.

Eigentlich regelt das Target-2-System nur den laufenden Zahlungsverkehr zwischen den Euro-Zentralbanken. Diese Geldflüsse spiegeln den grenzüberschreitenden Handel mit Waren und Dienstleistungen. Vereinfacht ausgedrückt, bilden die täglichen Salden die Handelsbilanz der beteiligten Volkswirtschaften ab. Notorische Exporteure wie Deutschland bauen Forderungen auf, die in den Einfuhrländern als Verbindlichkeiten zu Buche schlagen. Der Trick ist: Euro-Länder genießen bei Target 2 einen unbegrenzten Überziehungsrahmen. Sie importieren und lassen anschreiben wie in einer altdeutschen Eckkneipe.

Beispiellose Liquiditätsflut

Bis 2007 wurden die Target-2-Verbindlichkeiten beglichen, indem die betroffenen Zentralbanken sich im Ausland refinanzierten. Das funktionierte seit Beginn der Weltfinanzkrise nicht mehr – 2010 mußte Griechenland (und somit auch dessen Gläubiger) erstmals „gerettet“ werden, in der Folge dann auch Irland, Portugal, Spanien und Zypern. Da diese Länder keine Anleihen mehr zu bezahlbaren Zinsen plazieren konnten, stellten ihnen die Rettungsschirme EFSF, ESM und EFSM sowie der Währungsfonds IWF die fehlende Liquidität zur Verfügung.

Seit 2015 wird aber wieder hemmungslos „anschrieben“ – sprich: die Target-2-Forderungen von Exportländern wie Deutschland steigen rasant an. Der dafür letztlich bürgende Kreditgeber – der deutsche Steuerzahler – wird nicht gefragt. Target-2-Forderungen sind daher praktisch Target-2-Risiken, wie Draghi zugibt. Zum Stichtag 31. Januar 2017 waren es für die Deutsche Bundesbank 795.621.293.492,45 Euro.  Zusammen mit den Forderungen aus Luxemburg, den Niederlanden und Finnland summiert sich das Ganze auf weit über eine Billion Euro.

Hauptschuldner im Target-System ist aber nicht Griechenland, sondern Italien (364 Milliarden) und Spanien (333 Milliarden). Griechenland hatte wie Portugal im Dezember 2016 nur 72 Milliarden „angeschrieben“. Frankreich mit 36,5 Milliarden die Hälfte davon. Solange die Eurozone hält, sind die Target-Forderungen zumindest auf dem Papier werthaltig. Doch seit 2012 lagen die Target-Forderungen der Bundesbank nie mehr unter 400 Milliarden Euro. Die deutsche ESM-Haftung liegt bei 190 Milliarden.

„Wenn die Länder, deren Banken die Kredite gegeben wurden, zahlungsunfähig werden, haftet Deutschland. Es tun sich Abgründe auf, warnte Sinn schon vor sechs Jahren. De facto hat die Bundesregierung sechs Jahre lang sehenden Auges über 400 Milliarden Euro zusätzliches Risiko übernommen – und alles nur, damit der Euro-Traum nicht platzt. Wie sie dieses ungeheure Schneeballsystem verantworten will, sollte Kanzlerin Angela Merkel als Richtlinienverantwortliche der deutschen Politik dem Souverän einmal erklären.

Target-2-Forderungen der Bundesbank:  bundesbank.de

Dokumentation der Target-Debatte:  www.hanswernersinn.de